Akquisen sind in der Pharmabranche keine Seltenheit. Der Zeitpunkt und das Volumen der Übernahme des amerikanischen Unternehmens Varian durch Siemens Healthineers (DE:SHLG) ist trotzdem außergewöhnlich. Für den Münchner Medizintechnikhersteller ist das gleichermaßen ein strategisch kluger als auch risikoreicher Schachzug. Vontobel bietet die Aktienanleihe VP6XZQ auf Siemens (DE:SIEGn) und Siemens Healthineers. Der Kupon beträgt 6,50 Prozent.
Die Übernahme von Varian passt in die Strategie von Siemens
Die Medizintechnikbranche ist stark durch einen Hang zur Übernahmen von Mitbewerbern gekennzeichnet. Im Jahre 2015 wechselten nach Schätzungen über 250 Medizintechnik-Firmen im Gesamtwert von USD 130 Mrd. den Besitzer. Auch in den Folgejahren setzte sich der Trend weiter fort. Vergangenes Jahr lag das Transaktionsvolumen etwa bei USD 80 Mrd. Selbst der Corona Krise zum Trotz hält dieser Trend auch aktuell an. Die geplante Akquisition von Varian Medical Systems durch Siemens Healthineers ist mit einem Transaktionsvolumen von USD 16,4 Mrd. die größte Medtech-Transaktion in diesem Jahr. Varian gilt im Bereich der Strahlentherapie zur Krebsbekämpfung als führender Anbieter und soll der Siemens-Medizintechniktochter dabei helfen, sich von einem reinen Gerätehersteller zu einem Anbieter einer Wertschöpfungskette im Gesundheitswesen zu wandeln. Mit der Eingliederung Varians in das bestehende Geschäftsmodell bleibt man der Strategie des Wachstums durch Übernahme – wie in der Branche üblich – treu. So hat Varian selbst nicht zuletzt durch Übernahmen von amerikanischen und chinesischen Unternehmen die Marktführerschaft bei der Strahlentherapie erreicht.
Eine geplante Kapitalerhöhung soll bei der Realisierung des ambitionierten Plans helfen. Die Ausgabe neuer Aktien soll den halben Kaufpreis finanzieren. Die neu ausgegebenen Titel sollen überwiegend an institutionelle Investoren gehen. Dadurch kommt der Siemens Konzern dem strategischen Ziel näher, weniger Einfluss auf die Entscheidungen der Tochter Siemens Healthineers zu haben. Geplant ist, die Beteiligung von Siemens von 85 Prozent auf 72 Prozent zu reduzieren. Durch den größeren Streubesitz erhofft man sich, den Aufstieg von Healthineers vom M-Dax in den Dax zu erleichtern.
Für Siemens ist die Akquisition von Varian ein weiterer Schritt zu einer neu aufgestellten Konzernstruktur. Die Vision des Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser ist, dass der Einfluss des Mutterkonzerns geringer werden soll, damit den einzelnen Einheiten die Möglichkeit geschaffen wird selbstständiger und flexibler arbeiten zu können als unter dem Dach eines riesigen Konglomerats. Unter diesen Voraussetzungen strebt man mit Siemens Healthineers die Marktführerschaft bei Diagnostikverfahren an. Strukturell wird das neue Siemens-Ökosystem künftig aus drei börsennotierten Gesellschaften bestehen, die in absehbarer Zeit alle im DAX gelistet sein könnten. Neben Healthineers und der Siemens AG als digitalem Industrieunternehmen wird am 28. September auch die Energietechniksparte Siemens Energy in den Börsenhandel einbezogen.
Schwache Quartalszahlen aber gute Perspektiven
Die Corona-Pandemie hat auch das zweite Quartal der Medizintechnikbranche beeinflusst. Weil Kliniken und Arztpraxen weltweit sowohl die Behandlungen abseits von Covid-19 als auch die Investitionen drosseln mussten, verbuchten die Medtech Unternehmen starke Verluste – Varian miteingeschlossen. Für das erste komplett von Corona belastete Quartal wies Varian Ende Juni einen Umsatzrückgang von 16 Prozent aus. Der operative Gewinn ging verglichen mit dem Vorjahresquartal um 41 Prozent zurück. Die aktuelle Flaute könnte jedoch indirekt mitgeholfen haben, die Transaktion zu beschleunigen. Durch die Unsicherheit an den Märkten sei die Bewertung von Varian, bezogen auf den Umsatz und die operative Ertragskraft, leicht unter dem Industrieschnitt. Nichtsdestotrotz bezahlt Siemens Healthineers einen Preis der dem 40-fachen des Reingewinns von Varian entspricht. Das Münchner Unternehmen begründet den teuren Zukauf vor allem mit der guten langfristigen Performance von Varian. Der bereinigte Reingewinn, bei dem diverse Kostenpositionen außen vorgelassen werden, zeichnet mit USD 426 Mio. und einer konstanten Wachstumsrate ein positives Bild. Die Ertragsentwicklung stagniert hingegen bei einem Wert von USD 292 Mio. und ist damit rund ein Viertel niedriger als Mitte des letzten Jahrzehnts. Die Marktreaktionen auf den milliardenschweren Deal fallen überwiegend positiv aus. „Die Akquisition ist ein kluger Schachzug“, kommentierte Berenberg-Analyst Bardo. Der strategische Vorteil, den Siemens Healthineers durch den Zukauf erhält, wird allgemein höher eingestuft als das entstandene Risiko aufgrund der unischeren wirtschaftlichen Lage und des hohen Preises der Transaktion. Seitens Siemens ist man zuversichtlich mit dem Deal in einen Markt investiert zu haben, der langfristig beständig sein wird.
Quelle: Vontobel