Aktien hatten in den letzten 18 Monaten einen fantastischen Lauf. Viele Anleger verdanken ihr Glück wohl den niedrigen Zinsen, die Aktien vergleichsweise attraktiv machen. Dies hat viele zu der Annahme verleitet, dass auch in Zukunft alles gut bleibt, solange die Zinssätze niedrig sind. Doch das ist so nicht ganz korrekt. An vielen Orten der Welt sind die Zinsen sogar noch niedriger, aber die Bewertungen dort sind nicht annähernd so hoch.
Deutschland und Japan sind zwei derartige Beispiele. Beide Märkte verfügen über niedrigere Zinsen als die USA, und beide leben seit mehreren Jahren mit einem Zinsniveau nahe oder unter Null. Man sollte meinen, dass diese Märkte die gleiche Bewertungsexpansion durchlaufen sollten wie die USA. Die Anleger in diesen Ländern mussten jedoch zu ihrem Leidwesen feststellen, dass die Aktien in Japan und Deutschland zu viel niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnissen gehandelt werden als in den USA.
US-Aktien mit gewaltiger Prämie
Am 16. September wurde der S&P 500 zum etwa 21,2-fachen seines geschätzten Gewinns in den nächsten zwölf Monaten gehandelt. Das ist viel höher als der deutsche DAX, der etwa das 13,5-fache kostet oder der japanische Topix, der zu rund dem 15,1-fachen seiner Gewinnschätzung für die nächsten zwölf Monate gehandelt wird. Diese niedrigen Bewertungen ergeben sich trotz deutlich niedrigerer Zinsen in Japan und Deutschland, deren 10-jährige Renditen bei 0,04% bzw. -0,31% liegen, während die 10-jährige US-Anleihe eine Rendite von 1,31 % aufweist.
Die niedrigeren Anleiherenditen in beiden Ländern hatten eindeutig nicht annähernd die gleichen Auswirkungen auf die Bewertungsverhältnisse wie auf dem US-Markt. In der Vergangenheit wurden die USA stets mit einem Aufschlag gegenüber dem deutschen und japanischen Markt gehandelt. Interessant ist jedoch, dass sich diese Prämie im letzten Jahr sogar noch vergrößert hat. Die niedrigeren Zinsen haben sich also keineswegs auf den japanischen oder deutschen Markt ausgewirkt.
Die Differenz nimmt zu
Von 2014 bis 2019 lag das KGV des S&P 500 um 3,8 Punkte über dem des DAX und um 2,8 Punkte über dem des Topix. Mittlerweile ist diese Differenz auf 7,7 bzw. 6,1 Punkte angewachsen. Offensichtlich hat das Niedrigzinsumfeld im vergangenen Jahr nicht allen Märkten gleichermaßen Auftrieb gegeben.
Wachstum kein Faktor hier
Man kann noch nicht einmal argumentieren, dass in den USA ein schnelleres Wachstum erwartet wird. Das ist nicht der Fall. Für den japanischen Topix wird in den nächsten zwölf Monaten mit 18,5 % ein wesentlich schnelleres Gewinnwachstum erwartet, gefolgt von 15 % für den S&P 500 und 11,8 % für den DAX.
Womöglich ist es eine Flucht in Qualität, die dazu führt, dass die Anleger in unsicheren Zeiten ihr Heil in Amerika suchen, wo sie die bekanntesten und sichersten Unternehmen der Welt vorfinden. Das kann aber auch bedeuten, dass die Anleger ihr Geld aus den USA und ihrer wahrgenommenen Sicherheit abziehen könnten, sobald ein Ende der Unsicherheit in Sicht ist. Der US-Aktienmarkt wäre dann anfällig für einen deutlichen Rückgang der Kurs-Gewinn-Verhältnisse. Dies würde die Bewertungsspannen auf ihre historischen Trends zurückführen.
Man weiß nie, was sich tatsächlich abspielt. Es erscheint jedoch klar, dass niedrigere Zinsen die Bewertungen an den Aktienmärkten nicht von allein nach oben treiben, denn wenn sie das täten, wären die USA nicht so hoch bewertet. Eines ist jedoch ganz klar: Die aktuellen Bewertungen deuten darauf hin, dass entweder die USA extrem überbewertet oder Deutschland und Japan sehr günstig sind.