- Mittelfristig wird der europäische Aktienmarkt seine Hausse fortsetzen. Schon alleine, weil durch den Mangel an Alternativen im Rentenbereich, der durch die EZB-Maßnahmen wohl noch länger anhalten wird, Dividendentitel relativ attraktiv bleiben. Schließlich hat die Notenbank nicht nur den Einlagezins von -0,2% auf -0,3% gesenkt, sondern auch beschlossen, das QE-Programm bis mindestens März 2017 fortzusetzen, nachdem zuvor die Mindestdauer bei September 2016 lag.
- Die Erholungsrallye des Euros dürfte im Hinblick auf die Zinswende in den USA nicht nachhaltig sein. Die durch die Zinserhöhung vom 16. Dezember von uns erwartete erneute Abschwächung des Euro spricht ebenfalls mittel- und längerfristig für Aktien der Euroregion.
- Die US-Zinsen werden nur sehr langsam angehoben. Und vielleicht wird Janet Yellen die Zinserhöhung vom 16. Dezember benötigen, damit sie den Leitzins dann später wieder senken kann.
- Eine Kombination aus liquiditätsgetriebenem Bullenmarkt und einer durch den Schwachen Euro begünstigten Fortsetzung der durch die Stimmungsindikatoren (Einkaufsmanager, ifo-Index)bereits sichtbaren Erholung der Wirtschaft in Europa ist ein guter Boden für eine Fortsetzung des Aufwärtstrends am Aktienmarkt.
- Man sollte weiterhin sehr genau die Entwicklungen auf dem Rohstoffmarkt beobachten. Denn nach wie vor sehen wir hierin ein Anzeichen für eine Abschwächung der Weltwirtschaft, die in einzelnen Regionen sogar zu neuerlichen Rezessionen führen kann. Auch Europa und die USA sehen wir gefährdet. Alleine bei Betrachtung des üblichen Wirtschaftszyklus kann man zu dem Schluss kommen, dass nach einem jahrelang anhaltenden Aufschwung einfach eine Rezession bald wieder fällig ist.
Nachdem die OPEC Anfang Dezember in Wien entschieden hat, an ihrer bisherigen Förderpolitik festzuhalten, stürzten die Ölpreise in erhöhtem Tempo weiter ab. Die OPEC liefert rund ein Drittel des weltweiten Erdöls und besitzt drei Viertel der Reserven. Damit hat sie einigen Einfluss auf die Ölpreisentwicklung. Durch die neu geschürte Aussicht auf eine anhaltende Rohölschwemme haben die Preise des schwarzen Goldes daher inzwischen die Tiefs aus der Finanzkrise 2008/2009 erreicht.
Hinzu kam, dass sich in der Abschlusserklärung der OPEC keine Angabe für die Ölförderobergrenze mehr fand, die bislang offiziell bei 30 Millionen Barrel pro Tag lag. Seit 1982 hielt die OPEC fast ohne Unterbrechungen zumindest offiziell ein Produktionsziel aufrecht, auch wenn die Mitgliedsländer oft über die Quote hinaus Öl förderten. So liegt auch aktuell die tatsächliche Fördermenge der OPEC-Mitglieder bereits seit 18 Monaten in Folge oberhalb der Quote. Im November habe das Kartell durchschnittlich 31,7 Millionen Barrel (je 159 Liter) täglich produziert, hieß es im OPEC-Monatsbericht. Das ist der höchste Stand seit April 2012. Und ausgerechnet jetzt strich die Organisation die Obergrenze einfach komplett und will weiterhin so viel fördern wie bisher. Zudem kündigte der Iran bereits an, seine Produktion bis Ende 2016 von aktuell 3,3 Millionen auf rund vier Millionen Barrel täglich zu erhöhen, nachdem er zuvor jahrelang wegen seines Atomprogramms mit Sanktionen belegt war.
Prognosen für den Ölpreis gleichen einem Glücksspiel
Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass die Preise zum Beispiel nach Einschätzung des französischen Energieriesen Total auch im kommenden Jahr niedrig bleiben werden. Am Rande eines Besuchs in Katar soll der Total-Chef Patrick Pouyanné am Montag gesagt haben, dass er für 2016 nicht mit einer Erholung rechnet, aber nicht wisse, ob der Preis bei 40, 45, 50 oder 60 Dollar pro Barrel liegen werde. Wenn Branchenexperten hier schon keine klare Preisvorstellung haben, dann brauchen wir gar nicht erst versuchen, seriöse Prognosen aufzustellen. In diesem Zusammenhang möchten wir auf unsere Öl-Analyse vom 1. April 2015 mit dem Titel „Schwarzes Gold? – Die Folgen der Turbulenzen am Ölmarkt“ verweisen.
Rohstoffpreise erreichen das Tief der Finanzkrise
Aber nicht nur bei den Ölpreisen hält der Abwärtstrend an. Auch der vielbeachtete Rogers Commodity-Index, der die wichtigsten Rohstoffe vereint, hat die Rezessionstiefs 2009 bereits unterboten. Daher werden die Aktienmärkte derzeit insbesondere von Kursverlusten bei Rohstoffunternehmen belastet. So kennt der Aktienkurs von Anglo American (L:AAL) (siehe Chart), um nur ein Beispiel von vielen zu nennen, aktuell nur eine Richtung.
Das fünftgrößte Minenunternehmen der Welt mit Sitz in London und Johannesberg hat in der vergangenen Woche am meisten Schlagzeilen gemacht, weil es meldete, 85.000 seiner insgesamt 135.000 Angestellten zu entlassen. Die 1917 gegründete Firma macht mit der Förderung von Eisenerz, Kohle und Platin einen Umsatz von jährlich rund 27 Milliarden Dollar.
China erlebt das schwächste Wachstum seit 25 Jahren
Zudem fürchten die Anleger, dass die sinkenden Rohstoffpreise ein Indiz dafür sind, dass sich die Weltwirtschaft auf dem Weg in eine neue Rezession befindet. Dazu passen auch die jüngsten Daten aus China. Wie die dortige Zollverwaltung mitteilte, fielen die Ausfuhren im November im Jahresvergleich um 6,8%, womit sie bereits den fünften Monat in Folge einen Rückgang aufweisen. Und nachdem die Jahresrate bereits im Oktober auf 6,9% abgesackt war, hatte man eigentlich mit einer geringeren Abnahme von -5% gerechnet. Noch schlimmer sieht es bei den Importen aus, die mit 8,7% einbrachen. Hier hatten die Erwartungen allerdings sogar bei -12,6% gelegen, nach -19% im Oktober.
Und auch hier machen sich die Rohstoffpreise bemerkbar. Zwar sind in der Volksrepublik die allgemeinen Verbraucherpreise im November mit +1,5% im Vergleich zum Vorjahresmonat etwas schneller gestiegen als im Vormonat (+1,3%) und auch als zuvor prognostiziert, doch war der Grund dafür vor allem höhere Ausgaben für Nahrungsmittel wie frisches Obst und Gemüse, deren Preise besonders infolge des Wintereinbruchs im Norden des Landes gestiegen sind. Demgegenüber sind die Produzentenpreise mit einem Minus von stolzen 5,9% im Vergleich zum Vorjahresmonat wie bereits in den Vormonaten infolge schwacher Nachfrage erneut gesunken.
Schwellenländer erleben schwächstes Jahr seit der Finanzkrise
Und nicht nur China ist eine Gefahr für die Weltwirtschaft. So sind die UN-Experten auch um die Schwellenländer besorgt. Nach ihren Berechnungen haben diese das schwächste Jahr seit der Finanzkrise 2008/2009 erlebt, die Wirtschaft sei 2015 um 2,8% eingebrochen. Besonders betroffen sei auch Russland, dessen Wirtschaft in diesem Jahr um 3,8% geschrumpft sei und auch im nächsten Jahr nicht wachsen werde. Der russische Staatspräsident Wladimir Putin hat in dieser Woche in seiner Ansprache an die Nation eingeräumt, dass das Land in einer schwierigen Lage steckt. „Wenn wir nichts ändern, werden wir schlicht unsere Reserven verlieren“, mahnte Putin. Für die übrigen früheren Sowjetrepubliken, mit Ausnahme der baltischen Staaten, haben die UN-Experten ein Minus von 3,0% errechnet. Auch Brasilien habe ein Minus von 2,8% hinnehmen müssen und im nächsten Jahr sollen es noch einmal 0,8% weniger sein.
Womöglich münden die Schwellenländer sogar in eine lange Phase der wirtschaftlichen Stagnation ein. Diese Sorge drückt die Weltbank in einem jetzt veröffentlichten Bericht aus. Seit fünf Jahren schon schwäche sich das Wachstum in den Aufsteigerländern von Jahr zu Jahr ab. Sie warnt daher abermals vor dem Risiko einer Zinswende in den USA, die die fragilen Länder schwer treffen könnte. Durch starke Kapitalabflüsse könnten wichtige Unternehmen in den Ländern in Schieflagen geraten. Man sollte also im aktuellen Umfeld einen Blick über den Tellerrand auf die Schwellenländer werfen, denn immerhin steuerten sie zwischen 2010 und 2014 rund 60% des globalen Wirtschaftswachstums bei.
Flaue Weltkonjunktur lastet auch auf deutschen Exportgeschäften
Und falls Sie glauben, das wäre nicht auch ein Problem von uns hier in Deutschland: Die flaue Weltkonjunktur lastet inzwischen auch auf den deutschen Exportgeschäften. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lagen die Exporte im Oktober zwar um 3,3% höher, gegenüber dem Vormonat gingen sie jedoch kalender- und saisonbereinigt um 1,2% auf 99,0 Milliarden Euro zurück, wie das Statistische Bundesamt kürzlich mitteilte. Und die Importe fielen im Oktober um 3,4% gegenüber dem Vormonat auf 78,3 Milliarden Euro. Auf Jahressicht ergab sich hier noch ein Anstieg von 3,0%.
Fazit
Die Sorgen über die Weltwirtschaft, die Baisse der Rohstoffpreise und die feste Tendenz des Euro haben den europäischen Aktienmärkten heftige Verluste beschert. Auch wenn man den sinkenden Rohstoffpreisen als Verbraucher und auch als Unternehmer etwas Positives abgewinnen kann – weil dadurch die Energiekosten sinken und andere Waren entweder billiger werden oder bei gleichbleibendem Verkaufspreis die Gewinnspanne der Unternehmen durch geringere Produktionskosten steigt - so muss man die aktuellen Trends am Rohstoffmarkt und in China sehr kritisch und als deutliche Warnsignale sehen.
EZB ebnete der Fed den Weg zur Zinserhöhung
Übrigens hat die EZB, bewusst oder unbewusst, mit ihrer Marktenttäuschung der Fed den Weg für die Zinsanhebung am 16. Dezember geebnet. Denn hätte EZB-Chef Mario Draghi die Markterwartung erfüllt oder gar übererfüllt, wäre der Euro womöglich auf Parität zum Dollar abgesackt. Eine so starke Dollaraufwertung hätte aber die Situation für die US-Notenbank schwieriger gemacht, weil dies den Export belastet. Es könnte also durchaus sogar sein, dass die EZB die Erwartungen der Anleger bewusst geschürt hat, um der Fed den Weg für eine Zinsanhebung frei zu machen.
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Sven Weisenhaus
(Quelle: Geldanlage-Brief vom 16.12.2015)