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Twitter: Wie wahrscheinlich ist eine Übernahme durch Musk wirklich?

Veröffentlicht am 18.05.2022, 15:19
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Es hat wohl kaum jemals eine Übernahme gegeben, die mehr Aufmerksamkeit erregt hat als der Kauf von Twitter (NYSE:TWTR) durch den Chief Executive Office von Tesla Elon Musk.Twitter Tageskurse

Die dramatische Geschichte des Deals begann Anfang April, als Musk überraschend bekanntgab, dass er eine 9%ige Beteiligung an der Online-Plattform erworben hatte. Seitdem ist es die dickste Schlagzeile in den Finanzmedien. Die Angelegenheit ist inzwischen auch zu einem politischen Thema geworden, bei dem sich Politiker und Experten über die Bedeutung des Kurznachrichtendienstes und die Gefahr seiner Übergabe in private Hände äußern.

Die angestrebte Übernahme für rund 44 Milliarden Dollar hat mehr als nur Aufsehen erregt. Sie führte zu einem drastischen Kurseinbruch der Tesla-Aktie (NASDAQ:TSLA), die im vergangenen Monat noch eine Marktkapitalisierung von mehr als 1 Bio. USD aufwies. Die Angelegenheit könnte sich sogar auf das Präsidentschaftsrennen im Jahr 2024 auswirken, sollte Musk (was wahrscheinlich ist) den ehemaligen Präsidenten Donald Trump wieder auf die Plattform zurückholen.

Der ganze Lärm hat auch ein Quäntchen Ironie. Der Aktienmarkt hat seine eigene Meinung, und die ist eindeutig skeptisch, ob dieser Deal überhaupt über die Bühne gehen wird.

Fusionen haben eine ganz eigene Dynamik

Anleger können mit einem einfachen Modell grob überschlagen, welche Wahrscheinlichkeit der Markt dem erfolgreichen Abschluss einer Übernahme gibt. Hier ein einfaches Beispiel.

Angenommen, die ABC Corporation notiert bei 70 USD, als ein anderes Unternehmen ankündigt, dass es ABC für 100 USD je Aktie in bar übernehmen möchte. In diesem Beispiel wird die ABC-Aktie fast immer nicht unmittelbar auf 100 USD steigen, denn es gibt ja auch gewisse Risiken.

In fast allen Fällen kommt der Deal nämlich nicht zustande. Viele Marktteilnehmer waren überzeugt, dass der Verwaltungsrat von Twitter das Angebot von Musk nicht akzeptieren würde, was er aber trotzdem tat. Selbst wenn der Verwaltungsrat zustimmt, ist es dennoch möglich, dass die Aktionäre die Übernahme ablehnen.

Und selbst wenn die Aktionäre zustimmen, können die Kartellbehörden einschreiten. Ein hervorragendes aktuelles Beispiel ist die geplatzte Fusion zwischen NVIDIA (NASDAQ:NVDA) und Arm Holdings. Die Unternehmen beschlossen am Ende, ihre Vereinbarung ad acta zu legen, nachdem die Kartellbehörde US Federal Trade Commission und andere Aufsichtsbehörden die Fusion in Frage gestellt hatten.

Um zu unserem vereinfachten Beispiel zurückzukehren, nehmen wir an, dass ABC nach dem Angebot von 100 USD bei 95 USD handelt. Mit diesem Kurs können wir die Wahrscheinlichkeit berechnen, die der Markt für das Zustandekommen des Geschäfts erwartet.

Eine Fusion, die garantiert zustande käme, würde den Wert von ABC zum jetzigen Zeitpunkt auf 100 USD steigern. (Wir ignorieren den Zeitwert des Geldes bis zum Abschluss der Fusion; es handelt es sich um ein vereinfachtes Beispiel). Wenn die Übernahme nicht zustande kommt, können wir davon ausgehen, dass ABC auf den ursprünglichen Kurs von 70 USD zurückfällt. Wie wir sehen werden, ist diese Annahme keine ganz genaue Wissenschaft, aber in einer vereinfachten Berechnung ist sie unsere genaueste Schätzung des Wertes im Falle eines Scheiterns der Fusion.

Unsere Wahrscheinlichkeit ist gleich der Differenz zwischen dem ursprünglichen und dem aktuellen Kurs (in diesem Fall 95 USD minus 70 USD, also 25 USD), geteilt durch die Differenz zwischen dem ursprünglichen Kurs und dem angebotenen Kaufpreis (in diesem Fall 100 USD abzüglich 70 USD, also 30 USD). In diesem Beispiel wird bei ABC bei 95 USD eine Wahrscheinlichkeit von 83,3 % (25/30 USD) einkalkuliert, dass die Fusion zustande kommt.

Sind die 54,20 USD garantiert?

Dieses vereinfachte Modell erklärt den Mechanismus für die erwartete Wahrscheinlichkeit der Übernahme von Twitter - aber eben nur einen Mechanismus. In dieser Situation gibt es mehrere variable Elemente.

Beginnen wir mit dem Aufwärtspotenzial. Musk bietet 54,20 USD in bar pro Aktie für das Unternehmen. Aber es gibt einen Haken. Am Wochenende hatte Musk getwittert, dass der Deal "vorübergehend auf Eis gelegt" sei. Der Grund: Fake-Konten bei Twitter.

Eine Fusion "vorübergehend auf Eis zu legen" ist nicht per se etwas Neues. Es hat aber zu Spekulationen geführt, dass Musk in der Öffentlichkeit nur eine Show abzieht, um die Übernahme zu einem niedrigeren Preis neu zu verhandeln. Diese Spekulationen verdichteten sich, nachdem der Milliardär selbst gegenüber den Medien kommentierte, dass ein niedrigeres Angebot "nicht ausgeschlossen" sei.

Ein Anleger sollte daher die 54,20 USD nicht als ausgemachte Sache betrachten. Es ist durchaus möglich, dass Musk deutlich weniger als den vorherigen Betrag bieten will und damit droht, den Deal ganz platzen zu lassen, wenn der Twitter-Verwaltungsrat Nein sagt.

Rechtlich gesehen kommt Musk nicht aus diese Nummer heraus. Die häufig geäußerte Meinung, Musk könne die 1 Milliarde Dollar Breakup-Fee bezahlen und die ganze Angelegenheit vergessen, ist falsch. Musk hat sich bereiterklärt, das Unternehmen zu kaufen, sofern kein so genannter Material Adverse Effect (MAE), also eine wesentliche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse, eintritt. Eine solche Verschlechterung der Vermögensverhältnisse hat es nicht gegeben. Theoretisch könnte Twitter Musk verklagen, um ihn zu zwingen, den vereinbarten Deal durchzuführen.

In der Praxis hat der Verwaltungsrat jedoch möglicherweise nicht den langen Atem für langwierige Konflikte, die sich wiederum negativ auf das Geschäft auswirken könnten. (Vor allem konservative Kräfte könnten die Unnachgiebigkeit des Verwaltungsrats als weiteren Beweis für politische Voreingenommenheit sehen.) Es gibt also eine Welt, in der Musk beispielsweise 44,20 USD anbietet und Twitter annimmt.

Das Abwärtsrisiko

Es gibt noch einen weiteren Grund, warum der Verwaltungsrat einen niedrigeren Preis akzeptieren könnte. Ohne einen Verkauf in irgendeiner Form (und es gibt keine offensichtlichen anderen Bieter), droht die Twitter-Aktie sogar vom aktuellen Stand aus drastisch zu fallen.

Auch hier deutet das simple Modell zum Verständnis der Fusionswahrscheinlichkeit darauf hin, dass die TWTR-Aktie ohne Musk auf den Preis vor dem Angebot fallen würde. TWTR schloss jedoch am 13. April bei 45,85 USD. Erstaunlicherweise liegt die Aktie unter dem Schlusskurs von 39,31 USD am 1. April, also noch bevor Musk seinen Einstieg ankündigte und damit den Kurs der Aktie um 27 % hochschnellen ließ.

Sollte Musk die Übernahme fallenlassen, erhält Twitter zwar 1 Mrd. USD, aber das entspricht knapp 1 USD pro Aktie nach Steuern. Und auf keinen Fall wird der Markt Twitter nach dem Übernahmeangebot so bewerten wie davor.

Vor allem Tech-Aktien (NYSE:XLK), dazu gehören auch Social-Media-Aktien, sind seit Musks Angebot vom 14. April gefallen. Hier sehen Sie, wie sich der NASDAQ 100 Index und die größten Social-Media-Titel seit dem Börsenschluss am 13. April entwickelt haben:

  • NASDAQ 100: -12,1 %
  • Twitter: -15,9 %
  • Meta Platforms: -6,6 %
  • Snap: -30,2 %
  • Pinterest: -5,2 %

Meta Platforms (NASDAQ:FB) und Pinterest (NYSE:PINS) haben sich relativ stabil gehalten, aber die FB-Aktie war bereits Anfang des Jahres eingebrochen, und Pinterest hatte Ende April einen starken Gewinnbericht vorgelegt.

Der Bericht für das 1. Quartal von Twitter war allerdings durchwachsen, das Umsatzwachstum blieb hinter den Erwartungen des Marktes zurück. In der Zwischenzeit haben Änderungen der Datenschutzvorschriften bei Apple (NASDAQ:AAPL) weiterhin Druck auf Online-Werbeaktien aller Art ausgeübt. The Trade Desk (NASDAQ:TTD) ist in den letzten fünf Wochen um 22 % eingebrochen.

In einer Welt, in der sich Musk nicht beteiligt und ein Angebot gemacht hätte, würde die TWTR-Aktie wahrscheinlich unter 30 USD notieren. Ohne die Größe von Facebook oder den starken Gewinnbericht von Pinterest würde das Unternehmen voraussichtlich der allgemeinen Entwicklung bei Tech-Unternehmen wie Snap (NYSE:SNAP) oder von Online-Werbeunternehmen wie TTD folgen. In Anbetracht dieser Kurseinbrüche wäre ein Rückgang des TWTR-Kurses um 25 bis 30 % gegenüber dem Schlusskurs (39 USD) vor der Bekanntgabe der Beteiligung von Musk keine Überraschung. Somit dürfte der faire Wert von Twitter ohne die Übernahmespekulationen lediglich zwischen 27 und 29 USD liegen.

Die Wahrscheinlichkeit einer Übernahme

Die Schätzungen zu Gunsten oder zu Ungunsten eines Deals sind nichts anderes als Schätzungen. In jedem Fall aber preist der Markt eine relativ geringe Wahrscheinlichkeit ein, dass die Transaktion am Ende tatsächlich zustande kommt.

Unter der Annahme, dass Musk nicht neu verhandelt, liegt die implizite Wahrscheinlichkeit für einen Deal bei einem Twitter-Kurs von 38 USD bei nur 38 %. Bei einem Kurs von 49,20 USD liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 %, dass Musk 54,20 USD zahlt. Die gleiche Wahrscheinlichkeit ergibt sich auch für einen Kaufpreis von 44,20 USD je Aktie.

Die Investoren können dieses Modell auf der Grundlage ihrer Einschätzung der Chancen eines niedrigeren Übernahmeangebots und des potenziellen Aktienkurses eines eigenständigen Twitter erstellen.

Damit der Markt die Chance einer Übernahme durch Musk mit mehr als 50 % bewertet, bedarf es schon etwas Fantasie seitens der Anleger. Diese These geht davon aus, dass Musk sein Angebot höchstwahrscheinlich auf unter 45 Dollar drücken wird. Andernfalls sind Twitter-Aktien ohne Musk-Beteiligung nur 25 USD oder weniger wert.

Beide Thesen bewegen sich zumindest im Bereich des Möglichen. Aber selbst bei aggressiven Annahmen (z. B. ein neues Angebot bei 42 USD und ein Abwärtsrisiko der Twitter-Aktie bei 24 USD) liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die Übernahme durchgeht, immer noch nur bei 75 %.

Alles in allem begegnet der Markt diesem Deal mit erheblicher Skepsis. Anleger, die daran glauben, dass Musk den Deal tatsächlich durchzieht, sollten sich Twitter bei 38 USD auf die Watchlist setzen - sie sollten sich aber auch darüber im Klaren sein, dass der Besitz dieser Aktie zu diesem Zeitpunkt ein Contrarian-Trade ist, also eine Strategie, die dem Trend entgegengesetzt handelt.

Vince Martin hält zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Positionen in hier besprochenen Wertpapieren.

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