Dieser Artikel erschien zuerst auf GoldGeldWelt
Die meisten Marktteilnehmer rechnen mit einer baldigen Zinswende in den USA – und auch die Notenbank Federal Reserve hat zuletzt an ihrem Plan für drei Zinssenkungen noch in diesem Jahr festgehalten. Anleger sollten sich jedoch darauf einstellen, dass es auch anders kommen könnte.
Es gibt ein Szenario, in dem die Zinswende ausfallen könnte: Sollte sich das Wirtschaftswachstum in den USA abkühlen und die Inflation auf nach wie vor zu hohem Niveau verharren, müsste die Fed auf der geldpolitischen Bremse bleiben.
Ein solches stagflationäres Szenario ist derzeit alles andere als ausgeschlossen. Die US-Inflation war im Januar und Februar höher als erwartet. Die Einzelhandelsumsätze im Februar enttäuschten dagegen ebenso wie Umfrage zur Stimmung unter den Verbrauchern durch die Universität von Michigan.
BoA: Stagflation statt Goldilocks in den USA?
Die Bank of America (NYSE:BAC) äußerte in einem Bericht die Einschätzung, das makroökonomische Gesamtbild könne „vom Goldlöckchen zur Stagflation kippen“, was das Institut als Wachstum unter 2 % in Verbindung mit einer Inflation zwischen 3 % und 4 % definiert.
Andere Analysten allerdings sehen die US-Wirtschaft lediglich in eine neue Phase eintreten – mit langsamer sinkenden Inflationsraten und einem stärker durch Unternehmensinvestitionen als durch den privaten Konsum getriebenem Wachstum.
Diese Auffassung wird durch verschiedene gute angebotsseitige Konjunkturdaten gestützt. Die Industrieproduktion stieg im Februar um 0,1 %, während sie im Januar um 0,5 % gesunken war. Dabei waren die Zahlen für Februar durch einen Rückgang der Produktion im Versorgungssektor um 7,5 % aufgrund von untypisch warmen Temperaturen verzerrt.
Die Produktion des verarbeitenden Gewerbes stieg um 0,8 %, die Produktion von Geschäftsausrüstungen um 1,7 %, wobei Zuwächse in den Bereichen Verkehr, Industrie und Informationsverarbeitung gleichermaßen zu beobachten waren - Analysten zufolge ein gutes Vorzeichen für die gesamten Ausrüstungsinvestitionen im ersten Quartal.
Allerdings erfordert eine starke Konjunktur nicht zwingend Zinssenkungen – schon gar nicht bei Teuerungsraten jenseits des offiziellen Zielkorridors. Das weitere Vorgehen der Federal Reserve ist also möglicherweise nicht so sicher, wie die Marktteilnehmer derzeit glauben.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Erwartungen nicht eintreffen: Zu Beginn des Jahres 2024 erwarteten die Anleger, dass die Fed den Leitzins in diesem Jahr sechsmal auf 3,75 % bis 4 % senken würde.
Der Markt erwartet drei Zinssenkungen – aber die langfristigen Renditen steigen wieder
Aktuell liegt die Wahrscheinlichkeit für drei Zinssenkungen in diesem Jahr laut dem FedWatch-Tool der CME (das sich an Zins-Futures orientiert) bei 35 %. 29,4 % beträgt demnach die Wahrscheinlichkeit für weniger als drei Zinssenkungen, 35,7 % für mehr als drei Zinsschritte. Sollte die Fed Zinssenkungen im Frühsommer inflationsbedingt eine Absage erteilen, bestünde für die Märkte somit ein gewisses Rückschlagspotenzial.
Doch selbst wenn die Fed die Zinsen (in etwa) wie erwartet senkt, könnte die Zinswende anders verlaufen, als es die Marktteilnehmer noch vor kurzer Zeit erwarteten. Der Grund: Die langfristigen Zinsen stiegen zuletzt wieder an. Die Bondmärkte erwarten also eine sehr viel längere Phase mit höheren Zinsen. Lag die Rendite zehnjähriger US-Bonds zum Jahreswechsel noch bei 3,78 %, sind es aktuell 4,26 %.
Die Renditen von Staatsanleihen spiegeln wider, wo die Anleger den kurzfristigen Leitzins der Fed während der Laufzeit einer Anleihe erwarten. Wenn dieser Zins für einen Zehnjahreszeitraum um 0,45 Prozentpunkte steigt, entspricht dies deutlich höheren Erwartungen in der kurzen und mittleren Frist. Gerade eine solche langfristige Verschiebung könnte sich jedoch auf die Aktienmärkte auswirken.
Fazit: Die Zinswende ist immer noch wahrscheinlich. Sie könnte aber später kommen und geringer ausfallen als erwartet, was die langfristigen Renditen am Anleihemarkt derzeit bereits einzupreisen beginnen.