Das Corona-Virus entwickelt sich zur biblischen Plage für die Weltwirtschaft. Hochkonjunktur haben derzeit nur Hiobsbotschaften. Für Amerika befürchten auch seriöse Ökonomen Konjunktureinbrüche wie zu Zeiten der Großen Depression und im exportstarken Deutschland werden je nach Länge des Wirtschaftsstillstands zweistellige Prozentpunkte Schrumpfung für 2020 nicht ausgeschlossen.
Geldpolitik serviert und Fiskalpolitik isst
Neben der Virusbekämpfung hat die Politik jetzt die ultimative Verantwortung, die laufenden Schäden für Konjunktur und Beschäftigung so gering wie möglich zu halten und zügig alles für den nach-viralen Wirtschaftswiederaufbau zu tun. 2021 muss die Wirtschaft wieder auf allen Zylindern laufen.
Die Geldpolitik hat zunächst die Pflicht, noch unorthodoxer als bisher gegen jede Banken- und Kreditkrise vorzugehen. Ein Zweifrontenkrieg gegen den viralen Wirtschaftseinbruch und dann auch noch gegen eine systemische Finanzkrise ist insgesamt nicht zu gewinnen. Daneben wird sie wie im Märchen der Gebrüder Grimm für „Tischlein deck dich“ sorgen. Für den noch größeren staatlichen Schulden-Hunger zum Zweck der Konjunkturstützung wird sie gigantische All you can eat-Buffets zu geringsten Kosten bereitstellen. Die Fed als Mutter aller Notenbanken kennt beim Ankauf von Staats- und Hypothekenanleihen keine Grenzen mehr. Auch die EZB wird bei ihrer Geldversorgung noch ihre letzten Stabilitäts-Feigenblätter fallen lassen und sich in ihrer ganzen nackten prallen Schönheit zeigen. Die „Modern Monetary Theory“, die auch Staatsfinanzierung durch die Zentralbank als legitim erachtet, ist Praxis geworden.
Tatsächlich wird die Finanzpolitik regelrechte „Fressgelage“ aufführen. Allein die USA werden ihre Wirtschaft beispiellos mit mehr als zwei Billionen Dollar füttern. An dem neuen dramatischen Verschuldungsrekord stört sich dort niemand. In der Eurozone hat man vorbeugend bereits alle Stabilitätskriterien ausgesetzt. Jetzt werden die einzelnen Mitgliedsländer mit schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen „redbullisiert“. Selbst in Deutschland sind die Jahre der Überschusshaushalte Geschichte.
Stabilität macht nicht satt
Für Stabilitätsanhänger ist das alles nur schwer zu verdauen. Die Stabilitätskriterien werden ja bereits seit vielen Jahren mit Füßen getreten. Und jetzt werden sie sogar zertreten.
Doch muss man eine Faust in der Tasche machen. Ohne eine schuldenfinanzierte Finanzpolitik würde die EU sehenden Auges nicht nur eine deflationäre Depression zulassen. Sie würde ebenso schwere soziale Unruhen in Kauf nehmen, die auch das europäische Gemeinschaftswerk aufs Spiel setzen. Ein Europa mit Einzelstaaten kann dann nur noch mit Wattebällchen gegen Amerika, China und Russland kämpfen, verlieren und schnell aus der Champions League der Wirtschaftsnationen absteigen. Europa läuft nun wirklich nicht rund. Aber an Selbstmord sollte niemand denken.
Überhaupt geht es doch nicht um Hilfen für „böse“ Finanzinstitutionen oder Staaten, die auf unhaltbare Wetten gesetzt oder dramatisch über ihren Verhältnissen gelebt und damit die Wirtschaftskrise verursacht haben. Die Corona-Krise ist ein Schock von außen, den kein Mensch, kein Unternehmen und kein Staat verschuldet hat, unter dem aber alle massiv leiden.
Not macht erfinderisch
Zur Verhinderung des wirtschaftlich Schlimmsten müssen die Staaten in ganz neuen Kategorien denken. Heute ist es nicht mehr ausreichend, Unternehmens- oder Privatkredite noch billiger als billig zu machen. Zwar wirken Aussetzungen von Leistungspflichten für Firmen und Bürger bei Mieten, Krediten und Steuern entspannend. Diese Strategie hat aber einen Haken. Die Zahlungspflichten sind nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Neben der ordentlichen Leistung müssen dann auch noch die Altlasten beglichen werden. Viele Mieter haben doch schon in normalen Zeiten Schwierigkeiten, die Miete zu zahlen, die in Großstädten teilweise über 50 Prozent des Nettoeinkommens ausmacht. Nach nur gut 20 Tagen Umsatzausfall ist im Durchschnitt ein Unternehmen pleite. Und wer in der Krise untergeht, wird auch nach der Krise nicht wiederauferstehen.
In der jetzigen Krise müssen Umsätze und Einkommen durch umfassende Transferzahlungen, durch ein Existenzminium, eine Art Grundeinkommen ersetzt werden, damit möglichst viele Unternehmen, Arbeitnehmer und auch Selbstständige und Freiberufler durchkommen. Viel hilft viel.
„Keine deutschen Industrie-Perlen vor die Säue werfen“
Jetzt in der Krise fallen selbst substanz- und innovationsstarke Unternehmen in Ungnade. An der Börse gibt es Schnäppchenpreise, die windige Investoren und ausländische Staatskonzerne anziehen wie Licht die Motten. Ihrer Shopping Tour der Marke „Schlussverkauf“ muss die deutsche Politik einen Riegel vorschieben. Über einen üppig dotierten Staatsfonds als Zweckgesellschaft muss sich der Staat an diesen Unternehmen vorübergehend beteiligen, um ihnen Sicherheit und Übernahmeschutz vor Heuschrecken zu bieten sowie die deutsche Wirtschaft vor dem Ausverkauf des Industrie-Know Hows zu bewahren. Denn diese Unternehmen - übrigens auch im nicht börsennotierten Mittelstand - sind die Basis für die Wirtschaftserholung nach der Virus-Krise. Niemand soll mir jetzt mit freier Marktwirtschaft kommen. Ich bin es zweimal satt, dass wir immer das hohe Lied auf sie singen, während andere sie als Alibi nutzen, um an die industriellen Objekte der Begierde zu kommen. Ein bisschen Egoismus kann auch in Deutschland nicht schaden. Kehren wir aber nach der Virus-Krise zur Normalität zurück, ist der Zweck erfüllt und der Staat hat sich wieder zu verabschieden. Nachhaltige Staatswirtschaft mit all ihren Ineffizienzen über die Hintertür von Notbeteiligungen soll uns bloß vom Leib bleiben.
Die deutsche Wirtschaft kann man leider nicht in ein künstliches Koma versetzen
Man mag sich wünschen, die deutsche Volkswirtschaft über vielleicht vier Monate ruhig zu stellen und in dieser Zeit die Krise mit unendlicher Staatshilfe ohne Schmerzen der Wirtschaftsteilnehmer auszusitzen. Und nach dem Aufwachen wäre alles wieder beim guten Alten. Das gibt es nur im Märchen. Die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaftsleistung zum Staatshaushalt im Verhältnis 10 zu 1 steht, zeigt, dass die Politik zwar nicht zaubern kann. Wohlstandsverluste sind unvermeidbar. Auch der Immobilienmarkt dürfte - zumindest temporär - einen Dip machen. Wer Existenzsorgen hat, wird keine Muße für den Kauf von Häusern oder Wohnungen haben. Die Tatsache, dass ein Immobilienmakler in meiner Nachbarschaft den zweiten Samstag in Folge im Garten gesessen hat, ist symptomatisch.
Dennoch sollte der Staat jetzt über seinen Schatten springen und auch mit möglichst viel Staatsverschuldung das Schlimmste verhindern. Wäre es wirklich dramatisch, wenn die Staatsverschuldung von aktuell unter 60 Richtung 80 Prozent springt? Ich bin alles andere als ein Stabilitäts-Hallodri. Aber wer heute zu wenig tut, kommt morgen vielleicht zu spät.
Deutschland ist in puncto Verschuldung ohnehin privilegiert. Unsere Kreditzinsen sind negativ, wir verdienen also Geld mit Schulden und die EZB kauft uns diese auch noch ab. Es gibt Schlimmeres. Das ist ein Luxusproblem.
Es ist falsch, die aktuellen Zustände in die Zukunft fortzuschreiben
Die schlechten Virus- und Wirtschaftsmeldungen werden zunächst anhalten. Doch es wird auch kein Dauerzustand bleiben. Besserung tritt dann ein, wenn das Virus wie in Asien mehr und mehr seinen Lauf nimmt und auch bei uns die Immunisierung steigt. Dann wird auch der ökonomische Lockdown allmählich aufgehoben, was die Stimmung in Wirtschaft, Bevölkerung und an den Aktienmärkten nachhaltig steigen lässt.
Bleiben Sie gesund! Glück auf!
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725