FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 8. März 2012. Roger Peeters befasst sich in dieser Woche mit der moralischen Versuchung, die dem Umtauschangebot an die privaten Gläubiger Griechenlands innewohnt - und deren Effekte für Ökonomie und Gesellschaft der Eurozone.
Zu den zahlreichen in die deutsche Sprache übergegangenen Anglizismen aus dem Bereich der Wirtschaft gehört auch die schöne Umschreibung 'Moral Hazard', womit wörtlich eine sittliche Gefährdung, im übertragenen Sinne eine Form der moralischen Versuchung gemeint ist. Der Begriff wurde ursprünglich in der Versicherungswirtschaft benutzt, mittlerweile wird er auf eine Vielzahl von ökonomischen Sachverhalten angewandt.
Vereinfacht gesprochen geht es um den Widerspruch zwischen Allgemeinwohl und Individualwohl. Individuen nutzen die Allgemeinheit aus, weil es ihnen zu einfach gemacht wird und die Allgemeinheit für den Schaden aufkommt, während der Nutzen sehr voll persönlich wahrgenommen werden kann. Dieses Missverhältnis (beispielsweise basierend auf unterschiedlichen Wissensständen) und die daraus resultierenden Probleme findet sich bei Versicherungsthematiken, Transferleistungen oder auch im Gesundheitssystem wider.
Das plakativste Beispiel aus der Praxis wiederum heißt momentan schlicht 'Griechenland'. Die scheinbar unendliche Geschichte um die Entschuldung des südosteuropäischen Staats offenbart gleich an mehreren Stellen das 'Moral Hazard'-Dilemma. Zum Einen natürlich in der Frage, wie sich der Staat Griechenland samt seiner wählenden Bevölkerung angesichts der doch vorhandenen Bereitschaft der größeren EU-Nachbarn zur Unterstützung in Hinsicht auf seine künftige Ausgabedisziplin verhält.
Noch anschaulicher und derzeit gerade im deutschen Kapitalmarkt sehr plakativ nach zu verfolgen ist das 'Moral Hazard'-Thema beim derzeitigen Top-Thema in der Woche, dem geplanten 'freiwilligen' Schuldenschnitt mitzumachen oder eben nicht. Angesichts der doch sehr ordentlichen Umsätze mit kurz laufenden griechischen Bonds in den vergangenen Monaten (zumindest bis zur kürzlich erfolgten Aussetzung des Handels mit den Anleihen an deutschen Börsen) liegt die Vermutung offensichtlich nahe, dass Anleger einen hohen Profit auf Kosten derer erzielen wollen, die dem Haircut zustimmen und somit die Pleite verhindern.
Auf den ersten Blick scheint es ja auch einfach zu sein: Die großen Investoren bekommen politischen Druck und stimmen in einer hohen Quote dem Schuldenschnitt zu. Durch diesen ist genug Geld vorhanden, die verbleibenden Anleihen zu bedienen. Deren Inhaber können dabei, insbesondere wenn sie zu einem Bruchteil des Nominalwerts zugelangt haben, dick absahnen. Das Problem scheint dabei erst mal nur die kritische Masse zu sein. Bildlich gesprochen: Wenn die gesamte Schiffsbesatzung auf das Rettungsboot springt, kentert dieses und keiner kommt davon.
Donnerstag kam Hoffnung in den Markt, dass genug 'Große' mitmachen und die erforderliche Quote erreicht wird. Bekommen diejenigen, die sich nun unter dem Radar bewegen ein ausgiebiges 'Free lunch', um eine weitere 'denglische' Formulierung zu bemühen?
Eine derartige Lösung hätte sicherlich gravierende Auswirkungen. Man sollte nicht unterschätzen, wie breit dieses Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Viele Anlegerschützer und ähnliche Gruppierungen raten dazu, kurz laufende Papiere weiter zu halten. Selbst eine große Boulevard-Zeitung macht bei dem Spielchen mit und kündigte ihren Lesern an, dass die Zeitung vor kurzem eigens erworbene (!) Griechenland-Anleihen nicht zum Umtausch anmeldet. Auch vor dem Hintergrund dieser Publicity sind Lösungen ohne eine komplette Einbeziehung aller privaten Gläubiger zumindest schwer vorstellbar.
Denn sonst wären zwei Effekte nahezu unabdinglich: Erstens: Die hart gesottenen Spekulanten, die kürzlich gekauft hätten, würden eine sensationelle Rendite einstreichen. Zweitens: Die Fragen an die europäische Spitzenpolitik, wie denn so etwas, was schlussendlich zu Lasten der Steuerzahler in der Eurozone geht, zu Stande kommen kann, würden laut werden. Einfacher würden dadurch kommende Maßnahmen auch bei anderen überschuldeten Staaten nicht.
© 8. März 2012/Roger Peeters
*Roger Peeters ist Vorstand der Close Brothers Seydler Research AG, einer Tochter der Close Brothers Seydler Bank. Zuvor leitete Peeters viele Jahre die Redaktion der 'Platow Börse' und beriet den von ihm konzipierten DB Platinum III Platow Fonds. 2008 erschien von ihm 'Finde die richtige Aktie - ein Profi zeigt seine Methoden' im Finanzbuchverlag. Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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Zu den zahlreichen in die deutsche Sprache übergegangenen Anglizismen aus dem Bereich der Wirtschaft gehört auch die schöne Umschreibung 'Moral Hazard', womit wörtlich eine sittliche Gefährdung, im übertragenen Sinne eine Form der moralischen Versuchung gemeint ist. Der Begriff wurde ursprünglich in der Versicherungswirtschaft benutzt, mittlerweile wird er auf eine Vielzahl von ökonomischen Sachverhalten angewandt.
Vereinfacht gesprochen geht es um den Widerspruch zwischen Allgemeinwohl und Individualwohl. Individuen nutzen die Allgemeinheit aus, weil es ihnen zu einfach gemacht wird und die Allgemeinheit für den Schaden aufkommt, während der Nutzen sehr voll persönlich wahrgenommen werden kann. Dieses Missverhältnis (beispielsweise basierend auf unterschiedlichen Wissensständen) und die daraus resultierenden Probleme findet sich bei Versicherungsthematiken, Transferleistungen oder auch im Gesundheitssystem wider.
Das plakativste Beispiel aus der Praxis wiederum heißt momentan schlicht 'Griechenland'. Die scheinbar unendliche Geschichte um die Entschuldung des südosteuropäischen Staats offenbart gleich an mehreren Stellen das 'Moral Hazard'-Dilemma. Zum Einen natürlich in der Frage, wie sich der Staat Griechenland samt seiner wählenden Bevölkerung angesichts der doch vorhandenen Bereitschaft der größeren EU-Nachbarn zur Unterstützung in Hinsicht auf seine künftige Ausgabedisziplin verhält.
Noch anschaulicher und derzeit gerade im deutschen Kapitalmarkt sehr plakativ nach zu verfolgen ist das 'Moral Hazard'-Thema beim derzeitigen Top-Thema in der Woche, dem geplanten 'freiwilligen' Schuldenschnitt mitzumachen oder eben nicht. Angesichts der doch sehr ordentlichen Umsätze mit kurz laufenden griechischen Bonds in den vergangenen Monaten (zumindest bis zur kürzlich erfolgten Aussetzung des Handels mit den Anleihen an deutschen Börsen) liegt die Vermutung offensichtlich nahe, dass Anleger einen hohen Profit auf Kosten derer erzielen wollen, die dem Haircut zustimmen und somit die Pleite verhindern.
Auf den ersten Blick scheint es ja auch einfach zu sein: Die großen Investoren bekommen politischen Druck und stimmen in einer hohen Quote dem Schuldenschnitt zu. Durch diesen ist genug Geld vorhanden, die verbleibenden Anleihen zu bedienen. Deren Inhaber können dabei, insbesondere wenn sie zu einem Bruchteil des Nominalwerts zugelangt haben, dick absahnen. Das Problem scheint dabei erst mal nur die kritische Masse zu sein. Bildlich gesprochen: Wenn die gesamte Schiffsbesatzung auf das Rettungsboot springt, kentert dieses und keiner kommt davon.
Donnerstag kam Hoffnung in den Markt, dass genug 'Große' mitmachen und die erforderliche Quote erreicht wird. Bekommen diejenigen, die sich nun unter dem Radar bewegen ein ausgiebiges 'Free lunch', um eine weitere 'denglische' Formulierung zu bemühen?
Eine derartige Lösung hätte sicherlich gravierende Auswirkungen. Man sollte nicht unterschätzen, wie breit dieses Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Viele Anlegerschützer und ähnliche Gruppierungen raten dazu, kurz laufende Papiere weiter zu halten. Selbst eine große Boulevard-Zeitung macht bei dem Spielchen mit und kündigte ihren Lesern an, dass die Zeitung vor kurzem eigens erworbene (!) Griechenland-Anleihen nicht zum Umtausch anmeldet. Auch vor dem Hintergrund dieser Publicity sind Lösungen ohne eine komplette Einbeziehung aller privaten Gläubiger zumindest schwer vorstellbar.
Denn sonst wären zwei Effekte nahezu unabdinglich: Erstens: Die hart gesottenen Spekulanten, die kürzlich gekauft hätten, würden eine sensationelle Rendite einstreichen. Zweitens: Die Fragen an die europäische Spitzenpolitik, wie denn so etwas, was schlussendlich zu Lasten der Steuerzahler in der Eurozone geht, zu Stande kommen kann, würden laut werden. Einfacher würden dadurch kommende Maßnahmen auch bei anderen überschuldeten Staaten nicht.
© 8. März 2012/Roger Peeters
*Roger Peeters ist Vorstand der Close Brothers Seydler Research AG, einer Tochter der Close Brothers Seydler Bank. Zuvor leitete Peeters viele Jahre die Redaktion der 'Platow Börse' und beriet den von ihm konzipierten DB Platinum III Platow Fonds. 2008 erschien von ihm 'Finde die richtige Aktie - ein Profi zeigt seine Methoden' im Finanzbuchverlag. Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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