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Börse Frankfurt-News: Versailles in Griechenland? (Hüfners Wochenkommentar)

Veröffentlicht am 01.03.2012, 16:54
Aktualisiert 01.03.2012, 16:56
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - 1. März 2012. Die Eurokrise differenziert sich. In einigen Ländern geht es ordentlich voran, in Griechenland werden die Dinge dagegen immer schwieriger. Griechenland ist mit den bisherigen Mitteln nicht zu retten. Es sollte seinen Weg mit Selbstbewusstsein auf andere Weise suchen. Der Schuldenschnitt für Griechenland dürfte ein einmaliges Event sein und nicht auf die anderen angewendet werden.

Die Eurokrise geht getrennte Wege. In 16 der 17 Länder der Währungsunion hat sich die Situation in den letzten Monaten entspannt (siehe die Zinsentwicklung in der Grafik). Die Krise ist jedoch nicht vorbei. Es lauern noch eine Reihe von Stolpersteinen, die im Augenblick von der großen Liquidität verdeckt werden. Aber die Dinge bewegen sich in die richtige Richtung. Im 17. Land ist das anders. In Griechenland geht nichts mehr. Die Wirtschaft steckt in einer tiefen Rezession. Das neue Hilfsprogramm in Höhe von 130 Milliarden Euro wird vorne und hinten nicht reichen. Das Ziel, die Verschuldung bis 2020 auf angeblich akzeptable 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu verringern, ist eine Farce.

Entspannung in Italien und Spanien

Es gibt also jetzt zwei Krisen: Eine Eurokrise und eine Griechenlandkrise.

Was am Fall Griechenland so schlimm ist: In den Verhandlungen über das Hilfspaket ist das Vertrauen zwischen den Partnern verloren gegangen. Keiner traut dem anderen noch über den Weg. Die Griechen haben wichtige Zusagen nicht eingehalten, deshalb verlässt sich der Rest des Euroraums nicht auf die Zusagen von Athen. Der deutsche Finanzminister schlug sogar vor, die für April angesetzten Wahlen zu verschieben, um zu verhindern, dass eine Mehrheit zusammenkommt, die sich nicht an die Beschlüsse hält. Ohne gegenseitiges Vertrauen kann eine Gemeinschaft nicht funktionieren.

Die Lage ist für keinen der Beteiligten hinnehmbar. In der Bundestagsdebatte diese Woche wurde die Lage Athens mit Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg und den Auflagen des Versailler Vertrags verglichen. Das ist zwar etwas pointiert, zeigt aber das Problem. Das Land wird entmündigt. Es kann doch nicht sein, dass Deutschland Steuerbeamte nach Athen schicken will, die den Griechen zeigen sollen, wie man Steuern eintreibt. Griechenland ist kein Entwicklungsland. Es hat über 2.000 Jahre auf seine Art gelebt. Wenn das so weitergeht, kann das gravierende politische Konsequenzen haben (Radikalisierung bis hin zu einer neuen Militärdiktatur). Es ist nicht vorstellbar, dass das Land in dieser Lage den Mut zu einem von Unternehmen getragenen Neuanfang findet (wie ihn ein Marshall-Plan erfordert).

Es macht auch für die Partnerländer keinen Sinn, den jetzigen Status quo weiterzuführen. Sie geben nur Geld aus, das sie vernünftiger für eine Aufstockung des Rettungsschirms nutzen könnten. Sie können Griechenland nicht zu seinem Glück zwingen.

Schließlich ist die Politik ökonomisch nicht vertretbar. Das Beharren auf mehr Sparmaßnahmen treibt die Wirtschaft immer stärker in die Rezession. Das widerspricht allem, was wir aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise gelernt haben. Griechenland bräuchte jetzt nicht mehr Ersparnis. Es bräuchte mehr Wachstum, um aus der Misere herauszukommen. Das Geld dazu wäre eigentlich da. Aber man will es Griechenland nicht geben, weil man glaubt, dass es in dunklen Kanälen versickern könnte. Deutsche Unternehmer sind bereit in Griechenland zu investieren, wenn es stabile Rechtsbedingungen gibt. Pharmaunternehmen und andere haben Forderungen in Milliardenhöhe, die noch nicht beglichen worden sind.

Ich war überrascht, dass die Märkte auf die Schwierigkeiten Griechenlands so gelassen reagiert haben. Der Euro hat aufgewertet. Die Aktienkurse halten sich gut. Ich kann das nur so interpretieren, dass sich die Märkte mit der neuen Situation Griechenlands arrangiert haben. Die Investoren haben viel Geld in Athen verloren. Jetzt wollen sie davon nichts mehr wissen. Es wird lange dauern bis sie dort wieder Gelder anlegen.

Ich war bisher immer dafür, den Griechen die Stange zu halten. Ich fand es richtig, ihnen zu helfen, eine Staatspleite zu vermeiden und ihnen den Verbleib in der Währungsunion zu ermöglichen. Jetzt fange ich an, das zu überdenken. Athen braucht keine Hilfen von außen mehr. Es hat inzwischen einen ausgeglichenen Primärhaushalt; es kommt also mit seinen eigenen Einnahmen aus, wenn es keine Zinsen und Tilgungen mehr leisten muss. Manche sagen, dass Griechenland keine Industrie habe und daher auf der Basis der gegenwärtigen Strukturen nicht leben könne. Griechenland war nie eine Industrie-, sondern immer eine Händlernation. Es hat gute und gut gelegene Häfen. Die Chinesen waren so clever, sich einen Teil von Piräus zu sichern. Athen hat Reedereien. Es hat damit bisher zusammen mit den Einnahmen aus der Touristik leben können.

Die Griechen können dann mit allem Selbstbewusstsein entscheiden, ob sie in der Währungsunion bleiben wollen. Wenn sie austreten, wäre das natürlich zuerst ein Schock. Dann müsste noch mehr abgeschrieben werden. Auch die EZB, der IWF und die Regierungen der anderen Mitglieder kämen in Schwierigkeiten. Es ist aber machbar. Die Ansteckungsgefahren auf andere Länder sind nicht mehr so groß, weil jeder die Konsequenzen in Griechenland sieht. Man könnte die Non-Bail-Out-Klausel reaktivieren und Geld nur noch für temporäre Anpassungen geben, nicht aber für fundamentale Umstrukturierungen. Wer die Regeln nicht einhält, sollte freilich auch keine sonstigen EU-Mittel bekommen.

Für den Anleger

Freuen wir uns, dass sich die Krise im Großteil des Euroraums entspannt hat. Täuschen wir uns aber nicht: Die Kuh ist noch nicht vom Eis, die grundlegenden Weichen in Richtung einer wirklichen Währungsunion stehen noch aus. Griechenland sollten sie aus Anlageentscheidungen heraushalten. Bei dem Schuldenschnitt, der jetzt ansteht, sollen die Anleger eine neue, sehr lange laufende Anleihe bekommen. Vieles spricht dafür, dass dies ein einmaliges Event ist, das nicht auf die anderen Länder des Euroraums angewendet wird.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.

© 1. März 2012/Martin Hüfner

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. 'Europa Die Macht von Morgen' und 'Comeback für Deutschland'.

(Für den Inhalt der Kolumne ist allein Deutsche Börse AG verantwortlich. Die Beiträge sind keine Aufforderung zum Kauf und Verkauf von Wertpapieren oder anderen Vermögenswerten.)

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