(Neu: Mit Debatte, 1.-3. Abs.)
BERLIN (dpa-AFX) - Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland gibt es einen neuen Anlauf für eine grundlegende Änderung der Spenderegeln. Der Bundestag debattierte erstmals über eine fraktionsübergreifende Initiative für die Einführung einer Widerspruchsregelung. Das hieße: Jeder gilt zunächst als Organspender - außer, man widerspricht ausdrücklich. Doch eine Entscheidung noch vor der vorgezogenen Neuwahl am 23. Februar ist offen.
Pro und Contra im Plenum
In der Debatte warb die SPD-Abgeordnete Sabine Dittmar als Mit-Initiatorin für einen Paradigmenwechsel, damit Todkranke eine Überlebenschance erhielten. "Die Menschen haben keine Zeit zu verlieren." Das Ergebnis bisheriger Anstrengungen sei aber ernüchternd.
Zur geplanten Neuregelung sagte sie: "Niemand wird gezwungen, Organspender zu sein - er muss nur widersprechen." Angesichts dramatischer Zahlen auf der Warteliste sei es auch zumutbar, dass sich jeder einmal im Leben mit der Frage einer Organspende befasse.
Die FDP-Abgeordnete Kristine Lütke warnte dagegen mit Blick auf die Widerspruchsregelung, dass eine staatliche Entscheidung die Grundrechte eines jeden einzelnen zutiefst berühre. Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper auch über den Tod hinaus sei von zentraler Bedeutung. Es gebe noch viele mildere Mittel, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen. Man sollte sich auch genau überlegen, ob man eine solche Gewissensentscheidung in Zeiten des Wahlkampfes diskutiere. "Ich halte das nicht für den richtigen Weg."
Der Vorstoß
Den Gesetzentwurf stellte die Gruppe von Abgeordneten aus SPD, FDP, Grünen, Union und Linke im Juni vor - da ahnte noch niemand, dass es zeitlich eng werden könnte. Konkret soll das Transplantationsgesetz geändert werden, das Organ-Entnahmen bisher nur zulässt, wenn eine Spenderin oder ein Spender eingewilligt haben. Künftig sollen Entnahmen auch möglich sein, wenn Volljährige und Einwilligungsfähige "nicht ausdrücklich widersprochen" haben.
"Zentral ist weiterhin das Recht der oder des Einzelnen, sich für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende zu entscheiden", heißt es in der Begründung des Entwurfs. Vorgesehen sind demnach auch eine umfassende Aufklärung und Information vor Inkrafttreten des Gesetzes und fortlaufend danach. Vorab sollen alle ab 18 Jahren einmal schriftlich über die neuen Regeln informiert werden.
Der zweite Anlauf
Für die Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchsregelung ist es schon der zweite Anlauf - nachdem ein erster 2020 gescheitert war. Der Bundestag beschloss damals stattdessen ein Gesetz, das das geltende Zustimmungsprinzip bestätigte, aber auf mehr Information und eine leichtere Dokumentation von Erklärungen zur Spendebereitschaft zielte.
Ein zentrales Online-Register als Kernelement dieses Gesetzes startete dann aber erst mit zwei Jahren Verspätung im März 2024, was Patientenschützer kritisierten. Inzwischen haben sich rund 212.000 Menschen dort eingetragen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Betreiberin mitteilte. Der Anteil der Widersprüche liegt demnach bei knapp sieben Prozent.
Der Bedarf nach Organspenden
Organe wie Nieren, Lebern oder Herzen für schwer kranke Patienten werden seit Jahren dringend benötigt. Im vergangenen Jahr gaben 965 Menschen nach dem Tod ein Organ oder mehrere Organe für andere frei, wie die koordinierende Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Zugleich standen aber 8400 Menschen auf Wartelisten. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres gab es demnach 789 Organspenden, eine mehr als von Januar bis Ende Oktober 2023.
Generell gilt es als Problem, dass viele Menschen - ganz allgemein - positiv zu Organspenden stehen, dann aber doch keinen Willen dazu festhalten. In dem Gesetzentwurf heißt es daher: "Der Möglichkeit eines Widerspruchs kommt in Zukunft eine besondere Bedeutung zu." Dokumentieren kann man ein Ja oder Nein im Online-Register, einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder anders schriftlich oder mündlich. Vor einer Organentnahme sollen auch Angehörige gefragt werden - aber nur als Boten eines ihnen bekannten Willens.
Die Aussichten
Vorab unterstützt wird der Entwurf von rund 220 der 733 Abgeordneten
- darunter sind auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), sein
Vorgänger Jens Spahn (CDU) und Kanzler Olaf Scholz (SPD). Nach der Debatte zur ersten Lesung kommt der Entwurf nun als nächstes in den Gesundheitsausschuss. Wie es dann weitergeht und ob und wann eine Abstimmung ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben im Bundestag zustande kommt, ist aber vorerst ungewiss.
Aus dem Kreis der Initiatoren kommen Signale, sich für eine Entscheidung bis zur Wahl einzusetzen. Unter anderem aus der Union kommen aber Bedenken wegen der kurzen Zeit. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, der neue Bundestag müsse "mit Tiefgang und in der dafür erforderlichen Zeit" darüber beraten. "Das Parlament tut gut daran, ethische Themen nicht in einem politischen Schlussverkauf zu verhandeln." Eines gibt es diesmal anders als 2020 nicht: einen Gegenentwurf für eine andere Lösung.