BERLIN (dpa-AFX) - Mit der Enthüllung geheimer TTIP-Verhandlungsdokumente hat Greenpeace die Debatte über das geplante Freihandelsabkommen neu befeuert. Befürworter des Deals zwischen EU und USA kritisieren die Aktion als Panikmache und betonen, es liege noch gar kein endgültiges Ergebnis vor. TTIP-Gegner sprechen hingegen von einem wichtigen Akt zur Stärkung der Transparenz und Demokratie. Eine Übersicht der Reaktionen aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft vom Montag:
POLITIK
Die Bundesregierung hält nach Worten ihres Sprechers Steffen Seibert "den zügigen Abschluss eines ehrgeizigen Abkommens für sehr wichtig" und will daran trotz der Veröffentlichung festhalten. Deutschland sei zwar wie kaum eine andere Volkswirtschaft auf einen freien Welthandel angewiesen, werde aber keine Absenkung von Sozial-, Umwelt- und Verbraucherschutz-Standards akzeptieren. Laut Agrarminister Christian Schmidt (CSU) dienen sensible Bereiche wie Lebensmittelsicherheit auch nicht als "Tauschobjekt gegen gemeinsame Technikstandards".
Die EU-Kommission wies Vorwürfe zurück, durch TTIP könnten Standards ausgehöhlt werden. Das Schutzniveau für Verbraucher, Lebensmittel oder Umwelt werde durch ein neues EU-Handelsabkommen nicht sinken, versicherte die verantwortliche Kommissarin Cecilia Malmström. Ein Sprecher des US-Handelsbeauftragten Michael Froman nannte die Interpretation der TTIP-Texte "bestenfalls irreführend, im schlimmsten Fall aber schlichtweg falsch". TTIP werde die starken Standards "bewahren und nicht untergraben".
Die einflussreichen SPD-Linken im Bundestag hingegen forderten nach den Enthüllungen den Abbruch der Gespräche. Die Opposition begrüßte den "Leak" als Dienst an der Demokratie - Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch etwa bedankte sich auf Twitter bei den Journalisten und resümierte: "Das war es doch wohl mit TTIP." Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter sagte, es sei "bitter, dass wieder einmal erst Whistleblower für mehr Transparenz sorgen mussten".
Ganz anders sieht das der Vize-Präsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP). Er warf der "Süddeutschen Zeitung" gezielte Stimmungsmache gegen TTIP vor - und verzerrende Schlagzeilen über längst bekannte Verhandlungspositionen im "Sensationsduktus". Auch Unionsfraktions-Vize Michael Fuchs sprach von "reiner Angstmacherei".
ZIVILGESELLSCHAFT
"Bei den Verhandlungen soll hinter verschlossenen Türen ein mächtiger Rammbock gezimmert werden, der auch den fest verankerten Schutz für Umwelt und Verbraucher wieder aus dem Weg räumen kann", sagt Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verlangt den sofortigen Abbruch der Gespräche, denn "die TTIP-Leaks zeigen eindeutig, dass es in den Verhandlungen darum geht, auf Kosten hoher Verbraucherschutzstandards die Interessen der Agrar- und der Chemieindustrie durchzusetzen".
Lena Blanken von der Verbraucherschutz-Organisation Foodwatch betont, dass das sogenannte Vorsorgeprinzip im EU-Mandat nicht einmal erwähnt werde und deshalb nicht nur die USA am Pranger stehen dürften: "Anders als es von den Verhandlern und der Bundesregierung behauptet wird, hat die EU das Vorsorgeprinzip schon freiwillig vor Beginn der Verhandlungen geopfert - und nicht erst auf Druck der US-Seite."
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) wies den Vorwurf zurück, die Enthüllungen würden das Vertrauen zwischen den TTIP-Unterhändlern untergraben und unbegründete Panik schüren. Anders als bei nationalen Gesetzgebungsprozessen habe es schließlich bislang keine Möglichkeit gegeben, Einblick in die Kernforderungen der USA und EU zu bekommen, erklärte vzbv-Vorstand Klaus Müller. "Doch Transparenz hat Priorität. Weitreichende Handelsabkommen wie TTIP müssen sich an einer öffentlichen Debatte messen lassen und in ihr bestehen können."
WIRTSCHAFT
Der deutsche Autoverband VDA reagierte verärgert. "Mit der Veröffentlichung von Verhandlungszwischenständen werden bewusst Ängste geschürt, um das gesamte Vorhaben zu diskreditieren", erklärte Chef Matthias Wissmann. Unabhängig vom Stand der Verhandlungen gehe es bei TTIP "nicht darum, Sozial-, Produkt- oder Umweltstandards aufzuweichen, sondern Doppelregulierungen und Bürokratie abzubauen".
Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) warf den Informanten von Greenpeace unlautere Methoden vor. "Um das Misstrauen der Bevölkerung gegen TTIP zu schüren, scheuen einzelne Personen offensichtlich nicht davor zurück, durch die Veröffentlichung vertraulicher Dokumente das in sie gesetzte Vertrauen zu missbrauchen", kritisierte VCI- Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann. Im Übrigen sei es völlig normal, dass in solchen Verhandlungen Maximalforderungen gestellt würden.