BERLIN (dpa-AFX) - Im Ringen um mehr lebensrettende Organspenden in Deutschland beginnt ein neuer Anlauf für eine grundlegende Änderung der Spenderegeln. Der Bundestag debattiert heute über eine fraktionsübergreifende Initiative für die Einführung einer Widerspruchsregelung. Das heißt: Jeder gilt zunächst als Organspender - außer, man widerspricht ausdrücklich. Doch eine Entscheidung noch vor der vorgezogenen Neuwahl am 23. Februar ist offen.
Der Gesetzentwurf
Eine Gruppe von Abgeordneten aus SPD, FDP, Grünen, Union und Linke hatte im Juni einen Entwurf vorgestellt - da ahnte noch niemand, dass es zeitlich eng werden könnte. Konkret soll das Transplantationsgesetz geändert werden, das Entnahmen von Organen bisher nur zulässt, wenn eine Spenderin oder ein Spender eingewilligt haben. Künftig sollen Entnahmen auch möglich sein, wenn Volljährige und Einwilligungsfähige "nicht ausdrücklich widersprochen" haben.
"Zentral ist weiterhin das Recht der oder des Einzelnen, sich für oder gegen eine Organ- oder Gewebespende zu entscheiden", heißt es in der Begründung des Entwurfs. Vorgesehen sind demnach auch eine umfassende Aufklärung und Information vor Inkrafttreten des Gesetzes und fortlaufend danach. Vorab sollen alle ab 18 Jahren einmal schriftlich über die neuen Regeln informiert werden.
Der zweite Anlauf
Für viele Befürworterinnen und Befürworter der Widerspruchsregelung ist es nun schon der zweite Anlauf - nachdem ein erster 2020 gescheitert war. Der Bundestag beschloss damals stattdessen ein Gesetz, das das geltende Zustimmungsprinzip bestätigte, aber auf mehr Information und eine leichtere Dokumentation von Erklärungen zur Spendebereitschaft zielte.
Ein zentrales Online-Register als Kernelement dieses Gesetzes startete aber erst mit zwei Jahren Verspätung im März 2024, was Patientenschützer kritisierten. Inzwischen haben sich rund 212.000 Menschen dort eingetragen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Betreiberin mitteilte. Der Anteil der Widersprüche liegt demnach bei knapp sieben Prozent.
Der Bedarf nach Organspenden
Organe wie Nieren, Lebern oder Herzen für schwer kranke Patienten werden seit Jahren dringend benötigt. Im vergangenen Jahr gaben 965 Menschen nach dem Tod ein Organ oder mehrere Organe für andere frei, wie die koordinierende Deutsche Stiftung Organtransplantation ermittelte. Zugleich standen aber 8400 Menschen auf Wartelisten. In den ersten zehn Monaten dieses Jahres gab es demnach 789 Organspenden, eine mehr als von Januar bis Ende Oktober 2023.
Generell gilt es als Problem, dass viele Menschen - ganz allgemein - positiv zu Organspenden stehen, dann aber doch keinen Willen dazu festhalten. In dem Gesetzentwurf heißt es daher: "Der Möglichkeit eines Widerspruchs kommt in Zukunft eine besondere Bedeutung zu." Dokumentieren kann man ein Ja oder Nein im Online-Register, einem Organspendeausweis, einer Patientenverfügung oder anders schriftlich oder mündlich. Vor einer Organentnahme sollen auch Angehörige gefragt werden - aber nur als Boten eines ihnen bekannten Willens.
Die Aussichten
Vorab unterstützt wird der Entwurf von rund 220 der 733 Abgeordneten
- darunter sind auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), sein
Vorgänger Jens Spahn (CDU) und Kanzler Olaf Scholz (SPD). Nach der Debatte zur ersten Lesung soll der Entwurf als nächstes in den Gesundheitsausschuss überwiesen werden. Wie es dann weitergeht und ob und wann eine Abstimmung ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben im Bundestag zustande kommt, ist vorerst ungewiss.
Aus dem Kreis der Initiatoren kamen schon Signale, sich für eine Entscheidung bis zur Wahl am 23. Februar einzusetzen. Unter anderem aus der Union wurden aber auch schon Bedenken laut, dass die knappe Zeit bis dahin keine seriöse Beratung solcher grundlegenden Fragen mehr ermögliche. Üblicherweise gibt es zu ethischen Themen meist auch eine Expertenanhörung. Eines gibt es anders als 2020 diesmal nicht: Einen "Gegenentwurf" für eine andere Lösung.