(Neu: Struktur, Aktienkurs, Details aus Telefonkonferenzen)
BERLIN (dpa-AFX) - Der Kochboxenversender Hellofresh (ETR:HFGG) blickt nach einem starken Endspurt 2022 nur vorsichtig auf das laufende Jahr. Der Konzernvorstand kann sich bei der Entwicklung des operativen Gewinns sowohl einen Rückgang als auch einen deutlichen Sprung nach oben vorstellen, liegt mit seiner Prognose aber unter den Durchschnittserwartungen von Analysten. Die Vorsicht verwundert, nachdem Hellofresh im Abschlussquartal 2022 ergebnisseitig deutlich besser als erwartet abgeschnitten hatte. Der Aktienkurs brach ein.
Für die Aktien des Konzerns hieß das nichts Gutes: Die Aktie büßte im frühen Handel bis zu 13 Prozent ein. Zuletzt konnte das Papier die Verluste zwar etwas verringern, lag aber mit einem Abschlag von fast fünf Prozent auf 21,66 Euro immer noch am MDax-Ende . Damit näherte sich der Kurs wieder dem Mehrjahrestief von 19,21 Euro, auf das die Aktie erst vergangene Woche gefallen war.
Damit kostet die Aktie derzeit wieder in etwa so viel wie vor der Corona-Pandemie. Das Papier war einer der großen Finanzmarkt-Gewinner während der Corona-Krise. Der Kurs war im November 2021 bis auf fast 100 Euro und der Unternehmenswert bis auf rund 17 Milliarden Euro geklettert - zwischenzeitlich war das Papier sogar im deutschen Leitindex Dax notiert. Doch diese Zeiten sind vorbei; immerhin hat sich der Kurs seit dem Börsengang im November 2017 noch mehr als verdoppelt.
2023 rechnet die Konzernführung mit einem währungsbereinigten Umsatzplus von zwei bis zehn Prozent, wie das Unternehmen am Dienstag in Berlin mitteilte. 2022 hatte das Unternehmen seinen Erlös um knapp 27 Prozent auf 7,6 Milliarden Euro gesteigert. Bereinigt um die Umrechnungseffekte wegen des im Jahresverlauf schwachen Plus geringer. Größter Treiber beim Umsatzplus sollen verzehrfertige Mahlzeiten im Segment Nordamerika sein, wo Hellofresh von 2023 an die USA und Kanada bündelt.
Pessimistischer ist der Vorstand allerdings beim operativen Gewinn: Bereinigt um Sondereffekte dürften vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) 460 bis 540 Millionen Euro vom Umsatz übrig bleiben, während sich Branchenexperten im Schnitt mehr erhofft hatten. Das Unternehmen hält damit einen weiteren Rückgang für möglich. 2022 sank das operative Ergebnis um fast zehn Prozent auf 477 Millionen Euro. Ein Börsianer sprach gar von einem "Desaster".
Hellofresh begründete seine vorsichtige Prognose damit, dass das Unternehmen im ersten Halbjahr 2022 noch stark von der Pandemie profitiert hatte - dieser Effekt dürfte sich nach der Normalisierung und dem Wegfall von Corona-Maßnahmen nicht wiederholen. Zudem dürfte das Konsumumfeld für den größten Teil des Jahres gedämpft bleiben.
Der Kochboxenversender gilt als einer der stärksten Profiteure der Corona-Pandemie: Als Menschen zu Hause bleiben mussten und Restaurants keine Gäste vor Ort bewirtschaften durften, rückten Bestell- und Lieferdienste in den Fokus. Seitdem die Restriktionen aber weggefallen sind, stellen Skeptiker ein weiteres Wachstum bei Unternehmen wie Just Eat Takeaway (LON:JETJ) , Delivery Hero (ETR:DHER) oder Deliveroo (LON:ROO) infrage.
Ferner dürften erhöhte Marketingkosten, etwa für Gratis-Boxen oder Gutscheine, negativ auf dem operativen Gewinn lasten. Für das laufende Jahr sollen die bestehenden Märkte profitabler werden, sagte Richter in einer Konferenz mit Journalisten. Neue Märkte zu erschließen, stehe nicht auf dem Zettel. Hellofresh war in den vergangenen Jahren stark expandiert, musste aber zum Jahreswechsel seinen Testlauf in Japan eindampfen. Es hätte zu lange gedauert, bis sich das Kochboxenmodell in Fernost etabliert hätte, sagte der Manager.
Damit die Geschäfte dennoch wachsen, will Richter 2023 den Absatz zusätzlicher mehr Mahlzeiten und Zusatzprodukte wie Vorspeisen, Snacks oder Desserts weiter treiben. So soll etwa der Hellofresh Market in weiteren Ländern starten, auf dem Kunden abseits der bekannten Kochboxen zum Beispiel Frühstücksartikel oder Knabbereien ordern können.
In den vergangenen Jahren hatte das Unternehmen ferner sein Angebot rund um die Pakete mit vorportionierten Zutaten ausgeweitet. Seit der Übernahme von Factor in den USA und Youfoodz in Australien bietet Hellofresh auch verzehrfertige Mahlzeiten an, die dieses Jahr ebenfalls stärker vertrieben werden sollen,
Bereits im Abschlussquartal stieg der durchschnittliche Bestellwert auf Konzernebene währungsbereinigt um zwölf Prozent. Der Konzernvorstand führte dies darauf zurück, dass er mehr sogenannter "Add-Ons" absetzen konnte. Über das Jahr gesehen sei der durchschnittliche Bestellwert "signifikant" gestiegen, sagte Hellofresh-Chef Dominik Richter laut Mitteilung.
Der Umsatz kletterten in den Monaten Oktober bis Dezember um fast ein Fünftel auf knapp 1,9 Milliarden Euro. Zudem steigerte Hellofresh den um Sondereffekte bereinigten Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) um 22,4 Prozent auf 160 Millionen Euro und übertraf damit deutlich die durchschnittlichen Analystenschätzungen.
Allerdings bestellten im vierten Quartal weniger Kunden in den USA - dem mit Abstand wichtigsten Markt des Unternehmens. In allen anderen Ländern, die im Segment International zusammengefasst sind, stieg die Zahl aktiver Kunden leicht. Für Hellofresh gelten Kunden als aktiv, wenn sie innerhalb der vergangenen drei Monate mindestens eine Box (NYSE:BOX) erhalten hat - egal, ob Verbraucher diese zum Vollpreis bestellt haben oder diese im Rahmen von Tests oder Rabattaktionen zugestellt wurden.
Insgesamt verfehlte Hellofresh die Zahl aktiver Kunden bei weitem. An dieser negativen Entwicklung dürfte sich erst einmal nichts ändern. Finanzchef Christian Gärtner rechnet für das erste Quartal mit einem Rückgang im mittleren einstelligen Prozentbereich. Auf Jahressicht dürfte die Zahl weitgehend stabil bis leicht rückläufig ausfallen, ergänzte Richter.