(neu: Äußerungen Zachert aus Investoren-Call, Details zu Synergiepotenzial, Nettoverschuldung, Analystenkommentar von Jefferies, Hintergrund Spartenkauf von IFF, Aktienkurs aktualisiert.)
KÖLN (dpa-AFX) - Der Chemiekonzern Lanxess (ETR:LXSG) treibt seinen Umbau mit dem perspektivischen Ausstieg aus dem Geschäft mit Hochleistungskunststoffen für die Auto- und Elektroindustrie voran. Der MDax-Konzern bringt diesen Geschäftsbereich in ein Gemeinschaftsunternehmen mit der Beteiligungsgesellschaft Advent ein, das im gleichen Zuge in einem Milliardendeal das Kunststoffgeschäft Engineering Materials des niederländischen Konzerns Royal DSM (NASDAQ:ABMD) übernimmt. Bei den Anlegern kam der Schritt sehr gut an.
"Lanxess wird noch einmal deutlich weniger abhängig von Konjunkturschwankungen", sagte Konzernchef Matthias Zachert laut Mitteilung vom Dienstag. In einer Telefonkonferenz mit Analysten betonte er in diesem Zusammenhang, dass das Geschäftsvolumen mit der Autoindustrie sinken werde.
Die Aktien legten kräftig zu. Sie führten am Mittag den MDax mit gut zehn Prozent Plus auf 43,10 Euro an. Damit gewann der jüngste Erholungsversuch an Schwung, nachdem die Papiere bis Anfang Mai stark unter Konjunktursorgen im Zuge der hohen Inflation, des russischen Krieges in der Ukraine und der harten Corona-Maßnahmen Chinas gelitten hatten. Für 2022 ergibt sich aber immer noch ein Kursminus von mehr als einem Fünftel.
Das neue Gemeinschaftsunternehmen der Kölner und des Finanzinvestors Advent zahlt für das Engineering-Materials-Geschäft von DSM 3,7 Milliarden Euro. Lanxess bringt zudem seinen Geschäftsbereich High Performance Materials (HPM) in das neue Unternehmen ein. Über einen solchen Deal wurde schon seit Monaten spekuliert, denn Lanxess überführte eigene Aktivitäten, die denen von DSM ähneln, unter dem Namen HPM bereits in eine eigenständige Gesellschaft. Diese produziert Hochleistungskunststoffe vor allem für die Automobil- sowie die Elektro- und Elektronikindustrie.
Das Lanxess-Geschäft mit 1900 Mitarbeitern und dem wichtigsten Standort in Antwerpen stehe für einen jährlichen Umsatz von rund 1,5 Milliarden Euro bei einem Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sowie vor Sondereinflüssen von rund 210 Millionen Euro, wie Lanxess weiter mitteilte. Der Geschäftsbereich von DSM erwirtschaftet den Angaben zufolge mit 2100 Mitarbeitern bei einem Umsatz von ebenfalls rund 1,5 Milliarden Euro eine operative Marge von etwa 20 Prozent, absolut also in etwa 300 Millionen Euro operativen Gewinn.
An dem neuen Gemeinschaftsunternehmen soll Advent mindestens 60 Prozent halten. Lanxess werde im Gegenzug eine erste Zahlung von mindestens 1,1 Milliarden Euro sowie einen Anteil von bis zu 40 Prozent erhalten, hieß es weiter. Der Vollzug werde in der ersten Jahreshälfte 2023 erwartet. Mit dem Geld will Zachert Schulden tilgen. Auch ein Aktienrückkaufprogramm für bis zu 300 Millionen Euro ist angedacht.
Mit dem Schritt wird Lanxess das HPM-Geschäft nicht länger vollkonsolidieren, womit der Konzern noch aus drei Spezialchemie-Segmenten bestehen wird. Den größten operativen Gewinnanteil mit 40 Prozent soll künftig die Sparte Consumer Protection rund um Materialschutz- und Konservierungsmittel liefern - inklusive des Microbial-Control-Geschäfts, das Lanxess aktuell vom US-Duftstoff- und Aromenhersteller IFF für 1,3 Milliarden US-Dollar kauft. Für die im vergangenen Jahr angekündigte Übernahme nimmt Lanxess Schulden auf, die mit dem Geld aus dem Advent-Deal gedrückt werden könnten.
Das Geschäft mit Basis- und Feinchemikalien für die Industrie (Sparte Advanced Intermediates) sowie mit Spezialzusätzen etwa für Reifenkautschuk, Kunststoffe und Schmierstoffe (Specialty Additives) sollen dann je rund 30 Prozent des operativen Gewinns erzielen.
Nach frühestens drei Jahren kann Lanxess dann den 40-Prozent-Anteil am neuen Gemeinschaftsunternehmen versilbern und an Advent weiterreichen - und das in Relation zum Gewinn zur gleichen Bewertung wie beim aktuellen Deal. Da der Gewinn in dem Zeitraum dank erwarteten Einsparungen im Zuge der Zusammenlegung steigen könnte, könnten die Kölner für die Minderheitsbeteiligung dann eventuell sogar noch mehr bekommen. So kalkuliert Zachert bei dem neuen Unternehmen mit Einsparungen von zumindest gut einer halben Milliarde Euro auf Ebene des operativen Gewinns. Damit wären die Synergien so hoch wie das zusammengerechnete operative Ergebnis derzeit.
Analyst Chris Counihan vom Investmenthaus Jefferies schreibt in einer ersten Reaktion von einem großen Schritt für den Schuldenabbau von Lanxess. Sobald auch der restliche Joint-Venture-Anteil verkauft sei, dürfte das Verhältnis von Nettoschulden zu operativem Gewinn auf das 1,4-fache sinken, vorausgesetzt das Geld werde zur Reduzierung der Nettoverschuldung eingesetzt. Diese Kennziffer zeigt, wie viele Jahre ein Unternehmen bräuchte, um mit dem operativen Gewinn die Nettoschulden zu begleichen. Sie wird laut Lanxess nach Erhalt der 1,1 Milliarden Euro zunächst in Richtung des 2,5-fachen sinken.