SAARLOUIS (dpa-AFX) - Tausende Beschäftigte der Automobilindustrie im Saarland bangen um ihren Arbeitsplatz: Der US-Konzern Ford (NYSE:F) hat sich gegen Investitionen für neue Elektroautos in seinem Werk in Saarlouis entschieden. Stattdessen soll eine Elektroauto-Plattform im spanischen Valencia entstehen, wie der Konzern am Mittwoch bekanntgab. Dort sei "das am besten positionierte Werk", um Fahrzeuge auf Basis einer Elektro-Architektur zu produzieren, teilte Ford mit.
Die Entscheidung trifft die 4600 Ford-Beschäftigten im Saarland hart. Denn die Autoproduktion ist an dem Standort nur bis Mitte 2025 gesichert, dann läuft die Herstellung des Verbrenner-Modells Ford Focus aus. Ab dann stehen die Bänder still - es sei denn, Ford legt doch noch andere Pläne auf den Tisch.
Ihrem Protest machten die Mitarbeiter nach einer Betriebsversammlung spontan Luft: Rund 3000 Teilnehmer gingen nach der Betriebsversammlung auf die Straße und zogen in einem langen Demonstrationszug zu einer Kundgebung auf die B51 - darunter auch Beschäftigte aus den Zuliefererbetrieben, Stahlarbeiter und Politiker. Der Landtag hatte seine Sitzung unterbrochen und war mit Kabinettsmitgliedern und Abgeordneten vor Ort.
Viele Teilnehmer hatten Tränen in den Augen, doch es herrschte Empörung vor. Für das, wie sich das Management verhalten habe, habe er nur vier Worte, sagte Lars Desgranges von der IG Metall Völklingen: "Wortbruch, Lüge, Hinhaltetaktik, Versagen." Doch aufgeben werde man nicht: "Das ist keine Beerdigung, das ist eine Kampfansage." Der Ford-Betriebsratsvorsitzende Markus Thal sagte: "Wir wurden belogen, betrogen und verarscht."
Die Belegschaft hatte gehofft, dass Jobs dank Elektroinvestitionen auch nach 2025 großteils sicher sind. Dafür habe man seit Ende 2018 unter anderem 2500 Arbeitsplätze abgebaut, sagte Thal. "Weil wir auf das Management gehört haben. Weil wir vertraut haben", sagte er. "Wir haben geliefert!" Der Einzige, der nicht geliefert habe sei das Management gewesen - "außer für die Aktionäre".
Auch aus der Politik kam scharfe Kritik. Die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger und Wirtschaftsminister Jürgen Barke (beide SPD) bezeichneten die Entscheidung als "Farce". Es dränge sich der Eindruck auf, dass das interne Bieterverfahren nie fair gewesen sei. Denn tatsächlich liege Saarlouis im Vergleich zu Valencia "deutlich vorn". Dass die Belegschaften beider Standorte in dem Bieterverfahren gegeneinander ausgespielt worden seien, sei "schäbig". "Das ist empörend, so geht man nicht mit Beschäftigten um", sagte Rehlinger bei der Kundgebung.
Nach Ansicht Rehlingers ist es "schon per se ein unwürdiger Prozess gewesen, die Beschäftigten auf den Laufsteg zu schicken und zu sagen, jetzt zeigt mal, was Ihr zu bieten habt, damit ihr eure Arbeitsplätze behalten dürft". Wenn es allerdings gar nicht darauf ankomme, was man abliefere und es sich nur um ein Scheinverfahren gehandelt habe, um eine vorher getroffene Entscheidung im Nachhinein rechtfertigen zu wollen, "dann hat man sich als Führungskraft diskreditiert."
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) forderte von Ford "zeitnah konkrete Pläne für die Zukunft des Werks in Saarlouis". Der Konzern sei als Eigentümer des Werkes, Arbeitgeber und bedeutender Automobilhersteller im größten europäischen Automobilmarkt Deutschland in einer besonderen Verantwortung.
Ford-Europachef Stuart Rowley sagte der dpa, dass die Entscheidung pro Spanien keine Entscheidung zur Schließung des Standorts in Saarlouis sei. "Wir bemühen uns nun um Wege, um so vielen betroffenen Beschäftigten wie möglich eine Zukunft zu geben." In technischer und strategischer Hinsicht seien die beiden Standorte gleichauf gewesen, in finanzieller Hinsicht sei Valencia hingegen im Vorteil gewesen.
Auf die Frage, ob Saarlouis im Ford-Konzern nach 2025 noch eine Zukunft habe, sagte Rowley, man werde eine Task Force gründen und das weitere Vorgehen mit Arbeitnehmervertretern und der Landesregierung besprechen. Man blicke auf Möglichkeiten, die innerhalb und außerhalb von Ford liegen. Konkreter wurde er nicht. Zu dem Vorwurf, die Entscheidungsfindung sei unfair verlaufen, sagte Rowley: "Das ist nicht richtig - wir haben binnen sechs Monaten viel Zeit investiert, um uns mit den Entscheidungsträgern beider Standorte zu beraten."
Der Betriebsrat glaubt nicht mehr an entsprechende Angebote von Ford. "Das sind Beruhigungspillen, von denen haben wir genug bekommen", sagte Thal. Nun müsse man sehen, welche rechtlichen Möglichkeiten es noch im Rahmen des Tarifvertrages gebe.
Ford ist im Umbruch. Im Zeitalter der Elektromobilität hinkte der US-Autobauer zunächst Wettbewerbern hinterher und schien die Zeichen der Zeit zu verschlafen. Inzwischen investiert Ford aber kräftig in die Elektromobilität, um auch in Zukunft im Wettbewerb bestehen zu können. In den Plänen der Amerikaner spielt die Kölner Europazentrale eine große Rolle, insgesamt zwei Milliarden US-Dollar will der Konzern dort in den kommenden Jahren investieren und Elektroautos herstellen, die Produktion soll Ende 2023 starten.
In der Domstadt hat Ford rund 15 000 Beschäftigte. Dort basieren die geplanten Stromer auf der Elektroplattform von VW (ETR:VOWG) . In Valencia will Ford eine eigene Plattform installieren, um damit weitere Elektromodelle zu bauen. Wann dort die ersten Ford-Stromer vom Band rollen, ist unklar - "später im Jahrzehnt", heißt es hierzu vage.
In Richtung der Kollegen in Valencia, die laut Desgranges genauso betrogen wurden wie die in Saarlouis, appellierte der Gewerkschafter: "Sobald die Investitionen bei euch sind, sobald die Anlagen aufgebaut sind: Holt euch eure Löhne zurück, holt euch euren Lebensstandard zurück, holt euch eure Würde zurück und zeigt diesem Ford-Konzern, wie stark Gewerkschaften wirken können.