von Robert Zach
Investing.com - Gemäßigtere US-Inflationszahlen haben die Anleger im gestrigen Handel euphorisiert. So explodierte der Dow Jones um 1.200 Punkte und der S&P 500 legte um 5,5 Prozent zu. Der Nasdaq 100 legte über 7 Prozent zu.
Besonders deutlich legten die Sektoren zu, die in diesem Jahr aufgrund der Inflations- und Zinsproblematik am stärksten unter Druck geraten sind: Technologie (NYSE:XLK) (+8,22 Prozent), Immobilien (NYSE:XLRE) (+7,67 Prozent), zyklische Konsumgüter (NYSE:XLY) (+7,31 Prozent) und Kommunikationsdienstleistungen (NYSE:XLC) (+6,05 Prozent).
Inflationszahlen
Mit den neuesten Inflationszahlen wächst aber nun die Hoffnung, dass die Teuerung endlich umschlägt und fortan spürbar zurückgeht, so dass die Fed die geldpolitischen Zügel nicht mehr ganz so stark anziehen muss, wie noch vor wenigen Tagen befürchtet - und vor allem, dass die Terminal Rate doch nicht höher ausfällt. Powell hatte auf seiner letzten Pressekonferenz allerdings genau das in Aussicht gestellt.
Zu den Inflationszahlen:
- Die Gesamtinflation ging auf 7,7 Prozent zurück. Erwartet wurde ein Rückgang auf 8,0 Prozent.
- Die Kernrate sank auf 6,3 Prozent und fiel damit besser aus als die erwarteten 6,5 Prozent.
- Auf Monatssicht stiegen die Preise um 0,4 bzw. 0,3 Prozent. Erwartet wurden 0,6 bzw. 0,5 Prozent.
Seit jeher ist es so, dass die Inflation, wenn sie ihren Höhepunkt erreicht hat, recht schnell zurückgeht. So war es zumindest seit 1970:
Quelle: St. Louis Fed
Aus dem obigen Chart lassen sich zwei Dinge ableiten:
- Sowie die Inflation ihren Höchststand erreicht und zu sinken beginnt, gewinnt der Abwärtstrend deutlich an Fahrt. So war es etwa 1970, 1975, 1980, 1990, 2001 und 2008.
- Jedes Mal, als die Teuerung in diesen Zeiträumen stark zurückging, rutschte die US-Wirtschaft in eine Rezession, wie durch die graue Schattierung im Schaubild erkennbar ist.
Und die Wahrscheinlichkeit, dass die US-Wirtschaft bis August 2023 in eine Rezession abrutscht, nimmt nach jüngsten Berechnungen der New Yorker Fed zu:
Quelle: New York Fed
Neben den staatlichen Konjunkturschecks während der Corona-Pandemie, bei denen Geld von der US-Regierung direkt in die Brieftaschen der Amerikaner floss, waren die Lieferketten einer der größten Inflationstreiber. Inzwischen gibt es aber erste Anzeichen dafür, dass China seine Null-Covid-Politik irgendwann im nächsten Jahr lockern könnte, was zu einer sukzessiven Normalisierung der Lieferketten führen würde. Schon heute hat sich die Lage in der Lieferkette spürbar entspannt, wie der New Yorker GSCPI-Index zeigt:
Quelle: New York Fed
Seit seinem Höchststand im Dezember 2021 ist der Index, der die Situation in den Lieferketten misst, in einem steilen Abwärtstrend. Mittlerweile nähert er sich sogar wieder seinem historischen Mittel. Das sind gute Nachrichten für Corporate America, zumal auch die Frachtraten signifikant zurückgehen und sich allmählich dem Niveau von vor Covid nähern:
Quelle: Freightos
Und dank der aggressiven Zinserhöhungen der Fed kommt es auch auf dem US-Immobilienmarkt allmählich zu einer Entspannung. Betrug der Preisanstieg im April 2022 noch 20,1 Prozent, so hat er sich bis August 2022 auf 13,5 Prozent abgekühlt.
Quelle: New York Fed
Da die Wohnkomponente im Verbraucherpreisindex mehr als ein Drittel der Gesamtberechnung ausmacht, dürften sinkende Hauspreise in den kommenden Monaten ein wesentlicher Faktor für sinkende Inflationsraten sein, was der Fed Spielraum gibt, den Umfang der Zinserhöhungen zu drosseln, aber auch, um ihren Zinszyklus im nächsten Jahr zu beenden. Für die Aktienmärkte stellt dies naturgemäß einen positiven Faktor dar, zumal man sagt, dass sie der Entwicklung der Realwirtschaft stets rund 12 Monate voraus sind. Allerdings geht ein Rückgang der Inflation auch mit einem Nachlassen der Konjunktur einher, was sich natürlich auch auf die Unternehmensgewinne auswirkt. So gesehen kommt es künftig vor allem darauf an, wie die Märkte das Gewinnrisiko für das kommende Jahr im Hinblick auf eine mögliche Rezession einschätzen.
Laut FactSet erwarten die Analysten für das vierte Quartal 2022 einen Gewinnrückgang von 1,0 Prozent, für das Gesamtjahr 2022 aber ein Gewinnwachstum von 5,6 Prozent. Für das erste und zweite Quartal 2023 prognostizieren die Experten ein Gewinnwachstum von 2,3 Prozent bzw. 1,5 Prozent. Für das Gesamtjahr 2023 schätzen sie das Gewinnwachstum auf 5,9 Prozent. Obwohl die Schätzungen in den letzten Wochen merklich gesenkt wurden, halten sie sich dennoch im positiven Bereich. Und das erwartete Kurs-Gewinn-Verhältnis des S&P 500 liegt derzeit bei rund 16 (vor der gestrigen Rallye), was unterhalb des fünf- (18,5) und zehnjährigen Durchschnitts (17,1) ist.
Vor dem Hintergrund der gestrigen Marktrallye sollte klar sein, dass die Anleger derzeit eher davon ausgehen, dass die Unternehmen recht gut durch das Jahr 2023 kommen werden, besonders jene, die ihre Bilanzen für den aufziehenden Sturm gerüstet haben.
Aktienrückkäufe
Ein weiterer Treiber für die Aktienmärkte könnten die von den Unternehmen genehmigten Aktienrückkäufe sein. Mit dem Ende der US-Berichtssaison geht auch die sogenannte Blackout-Periode zu Ende, d.h. die Unternehmen können wieder eigene Aktien zurückkaufen, was eine stützende Funktion auf ihre Aktienkurse hat.
Börsennotierte Unternehmen unterliegen einer Regelung, die den Handel mit ihren eigenen Aktien zwei Wochen vor Quartalsende bis 48 Stunden nach Veröffentlichung der Ergebnisse einschränkt.
Laut FactSet übertrifft die angekündigte Rückkaufsumme von fast 1 Billion Dollar in diesem Jahr den Spitzenwert aus dem Jahr 2021 (knapp über 900 Milliarden Dollar). Ein Vorziehen der angekündigten Käufe ist angesichts der 1-Prozent-Steuer aus dem Anti-Inflationsgesetz, die die Unternehmen im neuen Jahr auf ihre Rückkäufe zahlen müssen, nicht völlig ausgeschlossen, zumal die Investoren auch fordern, dass Unternehmen, die noch über genügend Cash verfügen, Aktienrückkäufe tätigen.
Fed-Zinserwartungen
Im Zuge der gestrigen Inflationszahlen schraubten die Marktteilnehmer außerdem ihre Zinserhöhungserwartungen zurück. Zwar dürfte die Fed die Zinsen im Dezember und Anfang 2023 weiter erhöhen, aber bereits am Ende des zweiten Halbjahres 2023 wieder senken. Diese Neubewertung der marktseitigen Erwartungen war sicherlich mit einer der wichtigsten Gründe für die gestrigen Rallye des S&P 500 um über 5 Prozent.
Gleichwohl sei daran erinnert, dass Powell erst letzte Woche gesagt hatte, dass das FOMC die Zinsen 2023 weiter erhöhen würde und nicht senken. Umso größer ist die Bedeutung der Fed-Sitzung am 14. Dezember und die beiliegenden Zinsprognosen der US-Notenbanker, ob hier eine Abschwächung der Ansichten zu sehen ist.
Kurzfristig besteht also eine gute Chance, dass der Aktienmarkt seine gestrige Rallye fortsetzt, womöglich sogar bis ins Jahresende hinein. Gleichwohl mahnt der VIX zur Vorsicht.
Das Volatilitätsbarometer schloss am gestrigen Handelstag bei 23,53 und damit über seinem langfristigen Durchschnitt von 20. In diesem Jahr begann jede Rallye mit einem VIX-Wert zwischen 34 und 35 und endete mit einem VIX-Stand von etwa 19. So gesehen hat die aktuelle Bewegung noch etwas Luft nach oben. Vorsicht ist aber dennoch geboten, insbesondere im Hinblick auf 2023.