Investing.com - Die US-Aktienmärkte befinden sich im Sturzflug. Seit Jahreswechsel hat der S&P 500 bereits knapp rund 18 Prozent verloren. Damit steht der US-Leitindex, der die 500 größten US-Unternehmen nach Marktkapitalisierung enthält, kurz vor dem Eintritt in einen Bärenmarkt, von dem per offizieller Definition ab einem Minus von 20 Prozent seit dem letzten Hochpunkt gesprochen wird.
Die Gründe für den Kursrutsch liegen auf der Hand: aggressive Straffung der Fed-Geldpolitik, Verlangsamung des Gewinnwachstums, explodierende Inflationsraten und eine Abkühlung des Wirtschaftsbooms in Reaktion auf die Corona-Pandemie, als Zentralbanken und Regierungen unverantwortlich mit Geld um sich warfen und damit das Prinzip der Schöpferischen Zerstörung völlig aushebelten.
Die Analysten von JPMorgan (NYSE:JPM) glauben nun aber, dass sich der Aktienmarkt allmählich Regionen nähert, wo das eine oder andere Schnäppchen gemacht werden kann. Ihre These untermauern die Experten mit einem Schaubild, das eine gewaltige Lücke zwischen Inflationserwartungen und Anleiherenditen zeigt. Diese Kluft war den Analysten schon seit einiger Zeit ein Dorn im Auge. Sie argumentierten, dass sich diese Schere erst schließen müsse, d.h. die Anleiherenditen müssten aufholen, bevor sich der Aktienmarkt wieder stabilisieren könne.
Mittlerweile hat sich diese Kluft fast geschlossen. Ergo, so JPMorgan, könnte die Fed fortan nicht mehr als ganz so problematisch angesehen werden wie bisher.
Sollte sich diese Einschätzung bewahrheiten, könnte der Markt allmählich zu der Überzeugung gelangen, die Fed sei nicht mehr so weit hinter der Kurve her, sagte JPMorgan.
Mit 8,5 Prozent hatte die US-Inflation im März so hoch gelegen wie seit etwa 40 Jahren nicht mehr. Im April kühlte sich die Teuerung etwas ab, verblieb aber mit 8,3 Prozent auf extrem hohem Niveau.
Bei einem Schließen der Gap dürften "die Erwartungen nicht noch weiter durch eine noch hawkischere Rhetorik angeheizt werden. Für den Aktienmarkt insgesamt wäre das überaus hilfreich, denn Wachstumswerte hatten es in den letzten Monaten besonders schwer und verloren gegenüber Value-Aktien weltweit 20 %", hieß es in der Notiz.
Nach wie vor halten die Experten an ihrer Empfehlung fest, Value (NYSE:IVE) gegenüber Growth (NYSE:IVW) zu bevorzugen, aber: "Wir gehen davon aus, dass der Growth-Sektor in absoluten Zahlen nicht weiter fallen wird. Das sollte die Aktienindizes stützen", so die Fachleute, die darauf hinweisen, dass mehr als 45 Prozent der Nasdaq-Werte inzwischen mindestens 50 Prozent unter ihrem Höchststand aus dem Jahr 2020 notieren.
Steigende oder höhere Anleiherenditen gelten als förderlich für Value-Titel, d.h. für etablierte erfolgreiche Unternehmen mit gesunden Fundamentaldaten.
"Von diesem Punkt aus erwarten wir, dass sich der Growth-Sektor in absoluten Zahlen stabilisiert und auch Teile des Value-Sektors die Lücke zu den Anleiherenditen schließen werden. Eine weniger aggressiv agierende Fed wäre in dieser Hinsicht sicherlich förderlich", hieß es in der Kundenmitteilung.
In dem folgenden Schaubild lässt sich die enorme Kluft zwischen US-Bankaktien und Anleiherenditen gut erkennen. Wenn sich die Geschichte wiederholt, dürfte der Bankensektor in den kommenden Monaten einen Gang höher schalten und zu den hochgehenden Renditen aufschließen.
"Der Finanzsektor sieht günstig aus, die Gewinne verbessern sich, außerdem wird er von steigenden Anleiherenditen profitieren", hieß es in der Notiz.
Der KBW Bank Index, der sich aus Aktien wie US Bancorp (NYSE:USB), JPMorgan Chase, Bank of America (NYSE:BAC), Citigroup (NYSE:C), Wells Fargo (NYSE:WFC) und First Republic Bank (NYSE:FRC) zusammensetzt, hat seit Jahresbeginn rund 16 Prozent an Wert verloren. Zum Vergleich: die Zehnjahresrendite hat im gleichen Zeitraum einen Satz von 150 Basispunkten auf 2,884 Prozent gemacht. Für Banken wichtiger ist wohl aber die Zinskurve, die seit Anfang April wieder steiler geworden ist.
Primäre Einnahmequelle der Banken ist die Nettozinsmarge, also die Differenz zwischen Zinserträgen und dem für die Refinanzierung erforderlichen Zinsaufwand. Für Kreditinstitute spielt dabei nicht nur die absolute Höhe der Zinsen eine Rolle, sondern vor allem die Differenz zwischen den Kosten für kurz- und langfristige Finanzierungen, die durch die Neigung der Zinskurve beschrieben wird.
Eine Stabilisierung des Aktienmarktes erhofft sich JPMorgan auch deshalb, weil der Kreditimpuls in China nach oben gedreht hat.
Der Kreditimpuls beschreibt den Umstand, in welchem Maße die Kreditexpansion die wirtschaftliche Entwicklung antreibt oder bremst.
"Die Bodenbildung beim chinesischen Kreditimpuls sollte für den Risk-on-Trade relevant sein, insbesondere im Bereich China und Emerging Markets, aber auch bei globalen Zyklikern, die zu rezessiven relativen Kurs-Gewinn-Multiples gehandelt werden", so JPMorgan abschließend.
von Robert Zach