Investing.com - Uneinheitliche Konjunkturdaten und Firmenbilanzen auf der einen Seite, positive Entwicklungen in China und sinkende Gaspreise in Europa. Die Anleger durchleben derzeit eine schwierige Zeit. Die Phasen geradliniger Kursanstiege am Aktienmarkt gehören wohl der Vergangenheit an. Was jetzt wichtig ist, erläutert Bryan Perry, Marktstratege bei Navellier.
Obwohl einige Unternehmen im Rahmen der laufenden Berichtssaison weniger gute Zahlen als erwartet präsentierten und die Prognosen eher zurückhaltend ausfielen, legten deren Aktienkurse in der Folge zu. "In diesem Kursverhalten spiegelt sich ein Markt wider, der annimmt, dass die Unternehmensgewinne im vierten Quartal bzw. im laufenden ersten Quartal die Talsohle erreicht haben und dass sich die Ergebnisse im zweiten Quartal verbessern und danach wieder anziehen werden", schreibt Perry.
Laut den Daten von Refinitiv erwarten die Märkte für das vierte Quartal einen Gewinnrückgang von 2,9 %, während der Umsatz um 4,2 % zunehmen soll. Für das erste Quartal dürfte sich der EPS-Rückgang auf 1,2 % verringern und der Umsatz um 2,2 % steigen. Erst ab dem dritten Quartal 2023 sollen sowohl die Gewinne als auch die Umsätze wieder anziehen.
Ein weiteres positives Zeichen für den Markt sei die Kursrallye um fast 30 Prozent beim Ark Innovation Fund (NYSE:ARKK) von Cathy Wood, der sich aus Aktien mit extrem hohen Kurs-Gewinn-Verhältnissen wie Tesla (NASDAQ:TSLA), Zoom (NASDAQ:ZM) und Roku (NASDAQ:ROKU) zusammensetzt. Dies mache Hoffnung, weil dies ein Indiz darauf sei, wie schnell Risikofreudige bereit sind, wieder in die spekulativsten Aktien einzusteigen, während so viele der prominentesten Chefstrategen der Wall Street mit den roten Fahnen wedeln und zur Vorsicht raten", erklärte Perry. Trotz der jüngsten Rallye weist der ETF immer noch ein Minus von fast 60 Prozent seit Anfang 2022 auf.
Trotz einiger positiver Anzeichen meint Perry, dass "irgendetwas am aktuellen Marktbild" nicht stimmt, und das sei wohl auch der Grund dafür, dass die Meinungen und Einschätzungen der Wall Street-Strategen derzeit so widersprüchlich sind. "Die Meinungen von äußerst cleveren und hoch angesehenen Experten gehen weit auseinander und sind kontrovers, zumal auf professioneller Ebene ein enormer Druck besteht, den Übergang des Marktes zu einem neuen und nachhaltigen Bullenmarkt nicht zu verpassen", fügte er hinzu.
Treiber der Rallye in diesem Jahr waren bisher qualitativ minderwertige Aktien und stark geshortete Papiere, wie Perry feststellte. Zudem seien zyklische Aktien in Relation zu defensiven Titeln extrem stark gestiegen.
"Diese zyklische Rotation lässt die Investoren glauben, dass sie die Talsohle verpasst haben und nun ihre Portfolios neu ausrichten müssen. Und es war ein gewaltiger Richtungswechsel, aber Bärenmärkte sind dafür bekannt, dass sie die Investoren mit einer Aufwärtsbewegung ködern, bevor die Baisse wirklich zu Ende ist."
Perry glaubt, dass der Markt seine Januar-Gewinne wieder abgeben könnte, sollte es zu einer Margenerosion kommen. Denn dann droht den Unternehmensgewinnen zur Jahresmitte ein deutlicher Rückgang.
"Wenn die Kosten schneller steigen als der Umsatz, erodieren die Gewinnmargen. Am Ende der laufenden Berichtssaison werden die Investoren wissen, ob die künftigen Umsätze und Gewinne die derzeitigen Konsenserwartungen enttäuschen werden. Der S&P-Konsens für den Gewinn je Aktie von 230 Dollar wird in etwa zwei Wochen auf den Prüfstand kommen, wenn etwa 85 % der S&P-Unternehmen ihre Zahlen für das vierte Quartal 2022 vorgelegt haben werden. Dann werden wir eine bessere Vorstellung von den Gewinnprognosen für 2023 haben", resümierte Perry.
Zuletzt hatten Unternehmen wie Microsoft (NASDAQ:MSFT), Alphabet (NASDAQ:GOOGL) und Amazon (NASDAQ:AMZN) allesamt Stellenstreichungen bekannt gegeben, um ihre Margen zu schützen. Ob das ausreicht, muss sich noch zeigen.
von Robert Zach