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INSIGHT-"Operation Schutzmaske" - Warum Unabhängigkeit von China so schwierig ist

Veröffentlicht am 18.11.2020, 08:00
© Reuters.

* Bundesregierung will heimische Produktion von 7 Milliarden

* Ziel Autonomie kollidiert mit Markt- und EU-Gesetzen

* Südwesttextil: "Lektion nicht gelernt"

* Deutsche Hersteller suchen Nischen und lokale Abnehmer

- von Andreas Rinke

Berlin, 18. Nov (Reuters) - Im April lagen die Nerven blank: Als in Deutschland die Corona-Zahlen stiegen, versuchten Bundesregierung, Länder und Kommunen verzweifelt, Schutzmasken etwa für Krankenhäuser zu beschaffen. Doch in China war ausgerechnet das globale Zentrum für die Produktion medizinischer Produkte in Wuhan lahmgelegt und zudem der Masken-Bedarf im eigenen Land riesig. Also aktivierten Wirtschaftsminister Peter Altmaier und Gesundheitsminister Jens Spahn nicht nur unorthodoxe Wege, um sich auf Umwegen doch Masken aus China zu beschaffen. Das Wirtschaftsministerium legte auch neue Förderprogramme auf, um die Produktion in Deutschland anschieben und so die Abhängigkeit von China in diesem plötzlich für die Gesundheit als essenziell angesehenen Produkt reduzieren zu können. Die Schutzmaske wurde zum Symbol für die Anstrengung einer "strategischen Autonomie" Europas.

Doch sechs Monate später zeigt sich, wie schwer es ist, dieses Ziel zu erreichen. "Die Lektion wäre gewesen, dass Deutschland wieder unabhängiger von außereuropäischen Produzenten wird. Diese Lektion hat man nicht gelernt", bilanziert der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Südwesttextil, Peter Haas, ernüchtert. Zwar hatte sich auch sein Verband der Initiative der Bundesregierung angeschlossen, Unternehmer zur Investition in die Maskenproduktion und das dafür nötige Vlies zu animieren. Doch aus verschiedenen Gründen habe man es nicht geschafft, einen nachhaltigen Markt zu entwickeln.

Dabei hatte Altmaier mit Geld und großen Zahlen gelockt. Zehn Milliarden Masken hat er als Zielmarke für die Produktion von OP-, FF2- und FFP3-Masken ausgegeben - sieben Milliarden davon durch Unternehmer, die staatliche Förderung in Anspruch genommen haben. Dafür legte das Wirtschaftsministerium mehrere Förderprogramme in Höhe von rund 100 Millionen Euro etwa für die Anschaffung von Maschinen auf. Das Wirtschaftsministerium betont, dass mehrere hundert Anträge eingegangen seien und es ebenfalls bereits eine dreistellige Anzahl an Bewilligungen gegeben habe. Allein die Zuschüsse für die Vliesproduktion sollen es ermöglichen, dass fünf Milliarden Schutzmasken pro Jahr produziert werden könnten. Und das Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass die 110 Unternehmen, deren Anträge bisher positiv entschieden wurden, etwa 500 Millionen FFP2/3 Masken und 1,5 Milliarden OP-Masken produzieren wollten.

Doch Haas hält diese Erwartungen für "sehr optimistisch". Längst seien die ersten Unternehmer, die im Sommer mit der Produktion von Masken als Zusatzgeschäft begonnen oder geliebäugelt hatten, wieder ausgestiegen. Der bayerische Unternehmer Bernd Siegmund etwa hat sich nach kurzer Prüfung für einen anderen Weg entschieden: Er lässt zwar nun jährlich eine Milliarde Masken produzieren - aber in China, bei drei verschiedenen Herstellern. Als Grund gibt er an: Preis, Verlässlichkeit und Professionalität. "Was in Deutschland verloren gegangen ist, ist der Sinn für Geschwindigkeit im Geschäft", sagt er. Während in Deutschland erst einmal Förderbedingungen entwickelt wurden, habe der chinesische Markt sofort auf die Krise reagiert. Vieles von dem Maschinen-Knowhow für die Maskenherstellung sitze ohnehin dort.

"DIE MUSTER SIND NOCH GUT"

Einen genauen Überblick hat niemand: Aber in der Branche munkelt man von bis zu 160.000 Masken-Produzenten in China. Die Antwort auf die Corona-Krise im eigenen Land und weltweit war dort, die Produktion sofort drastisch nach oben zu fahren - und den Weltmarkt mit Masken der unterschiedlichsten Qualität zu fluten. Genau das aber droht nun den Versuch zu unterminieren, eine eigene deutsche und europäische Produktion aufzubauen - zumal es miteinander konkurrierende Ziele selbst in der Bundesregierung gab. Spahn musste schnell möglichst viele Masken besorgen - das ging am besten aus China. Nun hat das Gesundheitsministerium genug Masken - und verschenkt 290 Millionen aus Bundesbeständen an Pflegeeinrichtungen. Das freut die Heime. Aber bei solchen Nachrichten stöhnen die neuen heimischen Produzenten auf, weil sie um ihr mühsam aufgebautes Geschäft fürchten.

Unterschiedliche Akteure haben auf dem Schutzmasken-Markt völlig unterschiedliche Interessen: Krankenhäuser etwa benötigen hohe Mengenzahlen und das angesichts der angespannten Budgets möglichst billig. "Das Grundproblem in Deutschland ist nicht nur beim Essen, sondern auch bei Gesundheitsartikeln: Einkäufe werden über den Preis statt über Qualität entschieden", ärgert sich der geschäftsführende Gesellschafter des Berliner Maskenherstellers Zühlsdorf, Nico Feichtinger. Er ist gerade in die Produktion von 200.000 hochwertigen OP-Masken des Typs II R pro Woche eingestiegen. Ähnlich sieht dies Phil Arnold, Juniorchef des Filderstedter Maskenherstellers Artex, das ebenfalls auf kleine Stückzahlen setzt. "Das Problem mit den Lieferungen aus China ist vor allem die Qualität. Die Muster sind noch gut, doch dann lässt die Qualität bei späteren Lieferungen oft nach", kritisiert Arnold und bemängelt, dass es unterschiedliche Qualitäten auch bei der Zertifizierung gebe.

Großproduzent Siegmund, der eigentlich Schweißtische herstellt, weist die Zweifel an seiner China-Ware zurück - und macht keinen Hehl daraus, dass er ohnehin nicht viel von der Idee einer Verlagerung der Produktion eines relativ einfachen Produkts wie einer Schutzmaske nach Deutschland hält. Er verweist vielmehr auf die Dynamik und Logik der Globalisierung mit einer Arbeitsteilung - und auf die niedrigen Produktionskosten in China.

TÜFTLERLAND BADEN-WÜRTTEMBERG

Auch deshalb scheinen viele neue deutsche Masken-Produzenten jetzt eher in die Nische ausweichen zu wollen. Die Firma Artex, eines der vom Wirtschaftsministerium geförderten Unternehmen, etwa produziert die Masken derzeit mit einer halbautomatisierten Produktion für einen Preis von fünf Euro - und betont dafür die hohe Qualität. Abnehmer der kleinen Produktionslinie findet Arnold vor allem lokal. Einen ähnlichen Weg geht Zühlsdorf in Berlin-Marzahn mit lokalen oder regionalen Abnehmern. Ob er überhaupt staatliche Förderung annehmen will, weiß Geschäftsführer Feichtinger noch nicht. Denn die Förderung ist mit Bürokratie und Auflagen verbunden, die sich nicht einfach erfüllen lassen.

Dazu gehört vor allem die Unsicherheit, wie lange der Markt für Masken überhaupt so groß bleibt wie derzeit. Denn eine Pandemie dauert nicht ewig. Gerade in den vergangenen Tagen hatte eine Impfstoff-Euphorie Hoffnungen auf ein Ende der Corona-Krise vielleicht im kommenden Sommer angefacht. Danach dürfte auch der Absatz des heutigen Alltagsproduktes Schutzmaske wieder stark sinken, auch wenn Krankenhäuser und Pflegeheime Abnehmer bleiben werden.

Ein theoretischer Ausweg wäre eine Abnahmegarantie für die heimische Produktion. Nur stößt sich dies nach Erfahrungen von Haas mit EU-Regeln. "Die öffentliche Hand ist sehr zurückhaltend bei der Beschaffung vor Ort, auch hier in Baden-Württemberg. Immerhin ist hier festgelegt worden, dass ein Drittel der Masken in Europa ausgeschrieben werden darf." Im Umkehrschluss heißt dies aber: Zweidrittel können ohnehin woanders eingekauft werden - etwa in China. Regeln, die eigentlich einen effektiven Wettbewerb in Europa garantieren sollen, unterminieren also derzeit den Versuch einer Rückverlagerung von Produktion nach Deutschland und in die EU.

Bleibt wie in anderen Branchen die Flucht in den Hightech-Bereich - auch bei einem relativ einfachen Produkt wie der Schutzmaske. Einen typisch deutschen Weg geht etwa das Deutsche Institut für Textilforschung (DIFT) bei Stuttgart. Dort wird an neuen Masken getüftelt. Wenn deutsche Mittelständler den Wettbewerb langfristig nicht über den Preis gewinnen können, müssen sie eben in das Segment hochwertiger und besserer Masken ausweichen, so die Überlegung. Deshalb wird gerade im deutschen Tüftlerland Baden-Württemberg fleißig geforscht - etwa an Strick- oder Webmasken, die mehrfach verwendet werden können und dennoch sehr gute Schutzfunktionen vorweisen.

(Mitarbeit: Jeff Mason, Ankit Ajmera redigiert von Alexander Ratz Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an die Redaktionsleitung unter den Telefonnummern 069-7565 1236 oder 030-2888 5168.)

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