Die Aktienmärkte haben vorgestern noch einmal deutliche Schwäche gezeigt und neue Tagestiefs erreicht. Der Dow Jones fiel dabei sogar unter das Hoch vom 22. Januar bei 38.110 Punkten zurück.
(erstellt mit: comdirect.de)
Dadurch wurden mit dem Kursrutsch eines einzigen Tages die Kursgewinne von mehr als 3 Wochen zunichte gemacht. Möglich war dies, da der Dow Jones (wie vorgestern bereits geschrieben) in dieser Zeit nur noch relativ kleine Kursgewinne erzielen konnte. Zumal zwischenzeitlich immer wieder scharfe Rücksetzer aufgeholt werden mussten, zu denen es nach jedem Kursanstieg kam, insbesondere am 31. Januar und 5. Februar. Doch der vorgestrige Einbruch stellte diese in den Schatten.
Und bis kurz vor Ende des offiziellen Handels in den USA sah es so aus, als würde es bei den Kursverlusten bleiben. Das wäre ein erstes Signal für deren Nachhaltigkeit gewesen. Doch eine halbe Stunde vor Handelsschluss setzte eine starke Kurserholung ein. Beim Nasdaq 100 begann diese an einer wichtigen Aufwärtstrendlinie, so dass deren Bruch verhindert wurde (siehe grüner Pfeil im folgenden Chart).
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Gestern kehrte der Technologieindex sogar wieder über die Hochs von Ende Januar und Anfang Februar zurück (ca. 17.682 Punkte), so dass hier bereits Entwarnung gegeben kann. Die Kursschwäche scheint wieder nur von kurzer Dauer gewesen zu sein. Die Bären haben die vorgestrige Steilvorlage also nicht genutzt (siehe „Die US-Inflationsdaten liefern den Bären eine Steilvorlage“).
Ähnliches gilt für den DAX. Der flache Aufwärtstrendkanal, der sich seit dem 24. Januar beim deutschen Leitindex gebildet hat (grün im folgenden Chart), wurde zurückerobert.
Im Börsenbrief „Target-Trend-Spezial“, in dem dieser Chart täglich analysiert wird, war gestern früh dazu zu lesen, dass es statt der Aufwärtstendenz auch noch bei einer Seitwärtstendenz bleiben könnte. Und wenn dem DAX eine schnelle Rückkehr in den Aufwärtstrendkanal gelingt, „hätte der gestrige Bruch erst einmal keine bearishen Konsequenzen“, hieß es dazu. Das ist nun der Fall.
Auch hatte ich den Lesern geschrieben, dass charttechnische Signale im kurzfristigen Bereich zu vernachlässigen sind, solange sich der DAX nach wie vor innerhalb der tagelangen Seitwärts- bzw. flachen Aufwärtstendenz befindet. Und ich hatte mehrfach den Hinweis zum Trading gegeben, dass die Kursentwicklung des DAX im kurzfristigen Bereich wechselhaft und mit vielen Fehlsignalen gespickt ist, weshalb man sich aus einem solchen Markt derzeit einfach heraushalten sollte. – Das war sicherlich kein schlechter Rat, angesichts des Verlaufs der vergangenen Tage und Wochen.
Alle Märkte wieder normal – fast
Dass sich die Aktienindizes erneut so schnell von ihren Kursverlusten erholen und die Bären damit aus aktueller Sicht wieder nur kurz das Ruder in die Hand nehmen konnten, ist erneut beeindruckend. Denn die Anleger haben ihre überzogenen Zinssenkungserwartungen vollständig zurückgeschraubt. Bis Ende 2024 sind aktuell nur noch dreieinhalb Zinssenkungen um je 25 Basispunkte eingepreist. Damit befinden sich die Erwartungen wieder nahezu auf einer Linie mit der US-Notenbank, die seit langem von 3 Zinssenkungen ausgeht.
Die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen ist daher wieder über das Hoch vom Oktober 2022 zurückgekehrt.
Im Gegenzug sind die Anleihekurse weiter gefallen, wodurch der Bund-Future nun das 50%-Fibonacci-Retracement bei 132,73 Punkten erreicht hat. Diese Marke war das aktuelle Kursziel, nachdem am Donnerstag vergangener Woche ein neues Korrekturtief erreicht worden war (siehe „Der Rentenmarkt erscheint deutlich rationaler als der Aktienmarkt“).
Die übertriebene Aufwärtsbewegung von Anfang Oktober bis Ende Dezember wurde also um 50 % korrigiert, womit jetzt wieder moderate Leitzinssenkungen eingepreist sind, so wie sie laut aktuellen Daten (Inflation, Arbeitsmarkt, Konjunktur) nach gesundem Menschenverstand auch zu erwarten sind.
Am Devisenmarkt hat die Korrektur der Zinserwartungen ebenfalls deutliche Spuren hinterlassen. So konnte der USD/JPY die Abwärtsbewegung von Mitte November bis Ende Dezember fast vollständig aufholen.
Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass nicht nur die Fed frühen Zinssenkungen eine Absage erteilt hat, sondern auch die Bank of Japan frühen Zinsanhebungen.
Nur der Aktienmarkt ist noch verzerrt – vom KI-Hype
Alle Märkte haben sich also wieder normalisiert und die Kurse sind von den überzogenen Zinssenkungsspekulationen bereinigt. Nur die großen Technologieaktien weigern sich, die Zins-Realität einzupreisen, weshalb sich Teile des Aktienmarktes, vor allem in den USA, weiterhin in einer Übertreibung befinden. Wobei diese wohl schon längst nicht mehr von den Zinssenkungsspekulationen getrieben ist, sondern vom KI-Hype. Die KI-Blase bleibt daher prall aufgepumpt.
Warnzeichen
Und dies führte inzwischen wieder zu neuen Einträgen in die Geschichtsbücher. Denn der S&P 500 konnte 14 der letzten 15 Handelswochen mit einem Plus beenden. Das war ihm laut meinen Informationen zuletzt vor mehr als 50 Jahren und überhaupt erst 4-mal gelungen. Der Index befindet sich also schon wieder auf Rekordkurs, womit sich die Übertreibung erneut verschärft hat.
Dabei sollte man allerdings wissen, dass die Marktbreite dabei ein weiteres Mal zu wünschen übriglässt. Denn als der S&P 500 Anfang Januar noch bei unter 4.800 Punkten stand, notierten 91 % der Aktie des Index oberhalb ihres 50-Tages-Durchschnitts. Vorgestern waren es vor dem Kursrutsch hingegen nur noch 61 %, obwohl der Index mit mehr als 5.000 Punkten deutlich höher stand. Heute sind es sogar nur noch etwas mehr als 54 %.
Außerdem machen die Top 10 des S&P 500 aktuell rund 32 % des gesamten Index aus. Und nähme man den Technologiesektor aus dem Index heraus, würde der S&P 500 heute tiefer notieren als nach dem Platzen der Dotcom-Blase. Das verdeutlicht, wie gering derzeit die Marktbreite ist und wie stark der Index von einigen wenigen Aktien bzw. Sektoren nach oben gezogen wurde.
KI-Hype: In den Kursen steckt viel Zukunftsmusik
Dadurch herrscht derzeit ein Klumpenrisiko, weil die Anleger einem KI-Hype folgen, der längst nicht mehr „gesund“ ist. Denn in den Kursen steckt bereits zu viel Zukunftsmusik, von der man nicht weiß, ob sie in dieser „Lautstärke“ überhaupt berechtigt ist. Denn es muss sich erst noch zeigen, wie viel Geld sich tatsächlich mit Künstlicher Intelligenz verdienen lässt (und wieviel man damit an Kosten einsparen kann).
Jedenfalls kann man jetzt erst wieder auf die Bären setzen, wenn sich die Kurse den vorgestrigen Tagestiefs nähern – möglichst in hohem Tempo.
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus