Brasilien 2014 – ein Land in Aufruhr. Die Fußballweltmeisterschaft ist zu Gast und versetzt die Menschen in Euphorie. Fünf Jahre später ist davon kaum noch etwas zu spüren. Etliche Spannungsfelder dämpfen die Stimmung, dazu die Wahl des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro der das Land spaltet. Gleichzeitig erleben die Börsen seit Amtsantritt des neuen Präsidenten einen Aufschwung (interessierten Anleger empfehlen wir den ETF LYX0BE (DE:LYXRIO) von Lyxor). Was ist los in der größten südamerikanischen Volkswirtschaft?
Positive Berichterstattungen über Brasilien suchte man in den letzten Jahren fast vergebens. Zu dominant erschienen etliche Korruptionsskandalen in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen und immer neue Wellen der Gewalt in den Großstädten, die das Land erschütterten. Dies war jedoch nicht immer so in der jüngeren Vergangenheit.
In den 90er und 00er Jahren hatte das südamerikanische Land brillante wirtschaftliche und politische Zukunftsaussichten. Das Bruttoinlandsprodukt wuchs in den Jahren 1994 bis 2014 durchschnittlich um 3,5% und erreichte 2011 seinen bisherigen höchsten Wert von 2.613 Milliarden US-Dollar. Millionen von Brasilianern gelang der Aufstieg in die Mittelschicht und der damalige Präsident Lula, sowie seine Nachfolgerin Rousseff, besaßen großen Rückhalt in der Bevölkerung. Brasilien schien sich wirtschaftlich und politisch endgültig aus den Fängen der zwei Jahrzehnte dauernden Militärdiktatur von 1965 bis 1985 befreit zu haben. Auch international arbeitete Brasilien an seinem Ruf und trat bei internationalen Versammlungen wie den G20-oder den BRIC-Treffen zunehmend selbstbewusst als aktiver Teilnehmer auf.
Zahlreiche Probleme wurden zu lange ignoriert
Soweit die äußerliche Fassade. Denn etliche Problemfelder – zum Beispiel die extreme ungleiche Verteilung des neu erwirtschafteten Wohlstands und zahlreiche Korruptionsskandale in Wirtschaft und Politik – wurden über die Jahre hinweg durch das hohe Wirtschaftswachstum verdeckt bzw. lieber ignoriert, als sich effektiv mit ihnen auseinander zu setzen.
Nach der WM 2014 stürzte das Land in eine schwere Rezession. Sinkende Rohstoffpreise und der öffentlich gewordene Korruptionsskandal der staatlichen Ölgesellschaft Petrobas befeuerten den Niedergang der Wirtschaftsleistung in den Jahren nach der WM. Bis 2016 hatte sich die Wirtschaftsleistung des Landes um knapp ein Drittel im Vergleich zum Rekordjahr von 2011 reduziert. Gleichzeitig schoss die Inflationsrate explosionsartig in die Höhe.
Zudem stellte sich in den Jahren nach der WM heraus, dass die zahlreich erbauten und renovierten Stadien, sowie die dafür ausgebaute Infrastruktur, eine wachsende Belastung für die Staatskasse darstellte. Da dem Staat darüber hinaus die Steuerannahmen ausgingen, wälzte die Regierung um Präsident Temer im Jahr 2017 die finanziellen Probleme auf die Bevölkerung ab und strich zahllose Sozialausgaben. Als Folge dieser Entwicklung kippte die Stimmung innerhalb der Gesellschaft endgültig und mündete besonders in den Armenvierteln oftmals in gewaltsamen Ausschreitungen.
Ein Ex-Militär übernimmt – und die Börsen feiern
Als letzte Konsequenz des wirtschaftlichen – und politischen – Niedergangs, schaffte es der Rechtspopulist und Ex-Militär Jair Bolsonaro im vergangenen Jahr mit einem autoritären Auftreten und einer Anti-Establishment Kampagne die Präsidentschaftswahl zu gewinnen. Während viele politische Beobachter die noch junge Demokratie vor einer Zerreißprobe sehen, war die Reaktion an den Märkten mehr als positiv. Der brasilianische Bovespa-Index überschritt Anfang des Jahres zum ersten Mal die Marke von 90.000 und konnte in den ersten vier Wochen nach Amtsantritt des neuen Präsidenten noch einmal kräftig zulegen.
Grund für den neuen Optimismus an der Börse sind vor allem die wirtschaftsliberalen Reformpläne – zum Beispiel die Privatisierung des größten brasilianischen Versorgers Centrais-Electricas Brasileiras. Auch der Real wertete nach der Amtsübernahme Bolsonaros gegenüber dem US-Dollar um 2 Prozent auf, bewegt sich seit knapp 4 Wochen allerdings auf konstantem Niveau. Eine weitere Aufwertung liegt auch sicherlich nicht im Interesses der stark exportabhängigen brasilianischen Wirtschaft.
Auch wenn die Finanzmärkte Bolsonaro reichlich Vorschusslorbeeren gewährt haben, ist eine gesunde Skepsis sicherlich angebracht. Fraglich bleibt beispielsweise, ob und wie sich die Reformpläne der neuen Regierung umsetzen lassen. Zwar hat sich Boslonaro mit Paulo Guedes einen neoliberaler Wirtschaftsminister und Anhänger der „Chicago-Boys“ an Bord geholt, ansonsten setzt der neue Präsident aber voll und ganz auf das Militär: gleich sieben Ex-Militärs sitzen im 22-köpfigen Kabinett. Es bleibt abzuwarten, inwiefern die Privatisierung und den Verkauf von strategisch wichtigen Wirtschaftszweigen an ausländische Investoren unterstützen.
Außerdem bleibt ein dickes Fragezeichen hinter Bolsonaro selbst. Zu offensiv erscheint sein Flirt mit der vergangenen Militärdiktatur, zu groß seine Abneigung gegen demokratische Aushandlungsprozesse und Bürgerrechte. Inwieweit seine ständigen – noch verbalen – Angriffe auf die Institutionen das Vertrauen von Investoren beeinflusst, bleibt abzuwarten. Zudem bezeichnet sich Bolsonaro selbst nicht als Wirtschaftsexperten und konnte bisher auch noch kein Konzept zur angekündigten Steuer -und Rentenreform vorlegen. Entscheidend hierbei dürfte sein, wer von seinen Beratern und Ministern den größeren Einfluss hat: die „Chicago-Boys“ oder das Militär. Für den Großteil der Bevölkerung dürfte beides nicht unbedingt von Vorteil sein.