Nach der starken Erholung der Finanzmärkte seit dem Tief vom März haben die Anleger nicht mehr viele Optionen für eine große Anstiegswette. Es gibt jedoch einen Sektor, der weiterhin zurückbleibt, und das ist Energie.
Der Vanguard Energy Index Fund ETF (NYSE:VDE) - zu dessen 10 größten Positionen Exxon Mobil (NYSE:XOM), Chevron (NYSE:CVX) und Phillips 66 (NYSE:PSX) gehören - bleibt im Jahresverlauf um mehr als 40% im Minus, obwohl der S&P 500 fast alle Verluste durch den Einbruch vom März wieder aufgeholt hat.
Der jüngste Trend an den Ölmärkten deutet an, dass die Energiewerte die schlimmste Krise der Pandemie hinter sich gebracht haben könnten, da die Überversorgung langsam nachlässt, dank der Produktionskürzungen der OPEC+ als auch da Länder ihre Covid-19-Sperren aufheben, was die Industrieproduktion belebt und die Autos zurück auf die Straßen bringt.
Laut einem vor kurzem veröffentlichten Bericht hat der chinesische Ölverbrauch fast wieder ein Niveau erreicht, das zuletzt beobachtet wurde, bevor Peking einen nationalen Lockdown verhängte, um den ersten Ausbruch des Coronavirus zu bekämpfen. Da China nach den USA der zweitgrößte Ölverbraucher der Welt ist, hat die schnelle Trendwende des Landes dazu beigetragen, das Überangebot auf dem Erdölmarkt früher als erwartet auszutrocknen.
Öl der Sorte West Texas Intermediate, das im April in den negativen Preisbereich gefallen war, wurde jüngst wieder zu knapp über 40 USD das Fass gehandelt.
Ungleichmäßige Erholung
Trotz der Erholung der Ölmärkte gibt es zwei mögliche Gründe, aus denen die Investoren dem Sektor weiterhin misstrauisch gegenüberstehen. Erstens ist der Energiemarkt noch nicht aus dem Gröbsten heraus. In vielen Ländern beschleunigt sich die erste Welle der Pandemie weiter. Die Fallzahlen nehmen in Teilen des Südens und Westens der USA zu, während einige Bundesstaaten noch dabei sind, die Beschränkungen aufheben. In Indien hat die Zahl der Todesopfer 20.000 überschritten, als der Subkontinent die Pandemie kaum eindämmen kann.
Gefahr droht auch von einer möglichen zweiten Infektionswelle sowie damit verbundene Wachstumsschäden, die beide zu einer ungleichmäßigen Erholung der Ölmärkte geführt haben. Die Nachfrage nach Benzin hat die Erholung angeführt, da die Menschen ihre Autos fahren, um die öffentlichen Verkehrsmittel zu vermeiden, aber die Nachfrage durch Industrie und Luftfahrt ist immer noch im Keller.
Diesel, ein Kraftstoff, der enger an den Konjunkturzyklus gekoppelt ist, weil er in Industrie und Güterverkehr verwendet wird, bleibt zurück, da die Weltwirtschaft weiterhin Rezessionsdruck ausgesetzt ist. Und die Nachfrage nach Düsentreibstoff ist fast so niedrig wie während des Höhepunkts des Coronavirus-Ausbruchs.
Dividenden in Gefahr
Als ob die wirtschaftliche Unsicherheit nicht Grund genug wäre, sich von Energieaktien fernzuhalten, besteht für langfristig orientierte Investoren ein zusätzliches Risiko mit der Unsicherheit über die Nachhaltigkeit der Dividendenzahlungen. Ein massiver Ölpreisverfall im ersten Quartal hat einige der größten Gas- und Ölproduzenten in den USA gezwungen, ihre Ausschüttungen entweder einzufrieren oder zu senken.
Im April senkte Royal Dutch Shell (NYSE:RDSa) zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg die Dividende und das gleich um 66% auf 0,32 USD je Aktie pro Quartal. Etwa zur gleichen Zeit kappte der Ölfelddienstleister Schlumberger (NYSE: SLB) seine Dividende um 75%, die erste Kürzung seit mindestens vier Jahrzehnten. Für jetzt hat das Öl- und Gas-Dienstleistungsunternehmen Halliburton (NYSE:HAL) klargestellt, dass es noch keine Einschnitte vornehmen werde, diese aber bei Bedarf ohne weiteres vornehmen werde.
Exxon und Chevron gehören zu den Energieriesen, die bisher eine Kürzung ihrer Ausschüttungen vermieden haben. Diese Situation könnte sich jedoch ändern, wenn die Welt einen weiteren Nachfragerückgang sieht oder das Bündnis der OPEC+-Produzenten zur Kontrolle der Versorgung Risse bekommt.
Exxon warnte die Anleger letzte Woche, dass das Unternehmen voraussichtlich einen zweiten Quartalsverlust in Folge ausweisen wird, wenn es am Freitag, dem 31. Juli vor Handelsbeginn, sein Ergebnis vom zweiten Quartal 2020 veröffentlicht.
Niedrigere Öl- und Gaspreise dürften den Gewinn durch die Produktion im Vergleich zum ersten Quartal um 2,5 Mrd. USD auf 3,1 Mrd. USD senken, schätzte der Hersteller amtlichen Unterlagen zufolge. Dieser Geschäftsbereich erzielte im ersten Quartal einen Gewinn von 536 Millionen US-Dollar.
Exxon geht davon aus, dass engere Margen bei der Umwandlung von Öl in Kraftstoffe wie Benzin und Diesel sowie höhere Kosten für den Transport von Rohöl in Nordamerika den Raffineriegewinn gegenüber dem Vorquartal um rund 800 Mio. USD auf 1,2 Mrd. USD vermindern werden. Das Raffineriegeschäft verzeichnete im ersten Quartal einen Verlust von insgesamt 611 Mio. USD. Die Exxon-Aktie beendete den Handel am Dienstag zu 43,24 USD, was einem Rückgang von 2,59% für diesen Tag entspricht.
Fazit
Aus unserer Sicht bieten Ölaktien im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld kein überzeugendes Investitionsargument. Ihre Gewinne sind rückläufig und ihre Dividenden sind in Gefahr.
Diese Unternehmen sind am stärksten negativen Gegenwinden ausgesetzt, unter anderem aufgrund eines Überangebots an Öl, Erdgas und verflüssigtem Erdgas. Es ist unwahrscheinlich, dass sich diese Situation ändert, solange die Pandemie auf dem Vormarsch ist und die Stimmung von fossilen Brennstoffen abwendet.