Die Aktienkurse haben gestern wieder einen kleinen Freudensprung gemacht. Bei einem Treffen von Russlands Präsident Wladimir Putin und dem belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko in Moskau sprach Putin von „positiven Veränderungen“ in Verhandlungen mit der Ukraine.
Diese völlig unkonkrete Formulierung ließ zum Beispiel den DAX vom Stand bei ca. 13.555 Punkten aus binnen nur 4 Minuten um mehr als 500 Zähler auf fast 14.100 nach oben schnellen. Doch in den nächsten Minuten wurde fast die Hälfte der Kursgewinne schon wieder abgegeben.
Der Gewöhnungseffekt setzt nun auch beim Ukraine-Krieg ein
Dieses Kursverhalten ähnelt stark dem vom Mittwoch und Donnerstag. Nur sprechen wir beim gestrigen Geschehen über eine Marktbewegung binnen wesentlich kürzerer Zeit. Und sie fiel auch kleiner aus. Ich sehe darin eine Bestätigung für meine These von Donnerstag, wonach die Märkte am Dienstag nicht (nur) aufgrund von unbestätigten Aussagen oder Hoffnungen auf anstehende Treffen getrieben wurden, sondern dass es sich um einen Short-Squeeze gehandelt hat, der womöglich nur durch einen Impuls angestoßen wurde.
Vielleicht erleben wir mit der relativ moderaten Kursreaktion auf die Putin-Aussage aber auch bereits wieder einen typischen Gewöhnungseffekt: Menschlich und emotional wird man sich wohl nie an einen Krieg gewöhnen. Die Börsen scheinen sich dagegen inzwischen mit dem Geschehen in der Ukraine zu arrangieren. Und man hat sich an die täglichen Meldungen gewöhnt. Diese sorgen kaum noch für erkennbare Kursreaktionen. Andererseits will man scheinbar Taten sehen, bevor man positiven Wortmeldungen Glauben schenkt.
Beziehungen bleiben nachhaltig gestört
Ich könnte mir allerdings vorstellen, dass selbst ein offensichtliches Ende der Kriegshandlungen nur noch kurzzeitig für steigende Aktienkurse sorgen wird. Denn die angerichteten Schäden lassen sich inzwischen nicht mehr binnen kurzer Zeit beheben.
Was die Börse letztlich ausschließlich interessiert, sind Auswirkungen auf die Wirtschaft und Unternehmen. Die Beziehungen vieler Länder zu Russland sind nachhaltig gestört. Wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen werden nicht zeitnah zurückgenommen. Und auch die Unternehmen, die sich vom russischen Markt zurückgezogen haben, werden nicht so schnell zurückkehren. Es gibt also eigentlich kaum Gründe für steigende Aktienkurse. Man wird sich höchsten darüber freuen können, dass es nicht noch schlimmer wird. Der Markt kann daher höchstens gewisse Risiken auspreisen.
Danach wird sich der Fokus wieder auf die Geldpolitik richten. Und wahrscheinlich werden sich die Anleger dann wieder die damit verbundenen Probleme und Risiken vor Augen führen. Der Markt wird also in jedem Fall belastet bleiben.
Die Korrektur bei US-Aktien ist noch nicht beendet
Bei unseren heimischen Aktien aus DAX & Co. zähle ich mich inzwischen eher wieder zu den Bullen. Meine Skepsis der vergangenen Wochen und Monate habe ich diesbezüglich also abgelegt. Angesichts der jüngsten Kursentwicklungen kam dieser Schwenk zur genau richtigen Zeit. Doch bei den US-Indizes fürchte ich nach wie vor Kursrückgänge.
Die Struktur der zweiten Abwärtswelle im Dow Jones (rotes Rechteck im folgenden Chart) lässt zum Beispiel noch ein weiteres Korrekturtief erwarten. Denn dann hätte diese Welle einen typischen 5-gliedrigen Verlauf gemäß dem Grundmuster der Elliott-Wellen-Theorie (blaue Ziffern)
Unabhängig davon sollte man beachten, dass der Dow Jones seit dem Tief des Corona-Crashs um 102,88 % zulegen konnte (grün im folgenden Chart). Und davon hat er bislang weit weniger als 38,20 % korrigiert (graue Fibonacci-Linien). Vom Rekordhoch belaufen sich die Kursverluste bislang auf 12,66 % (rot). Das ist nicht wenig, im Vergleich zur vorangegangenen Kursrally aber noch nicht genug. Zumal der Dow Jones selbst am bisherigen Korrekturtief noch mehr als 9 % über dem Hoch stand, das vor dem Corona-Crash markiert wurde (blau).
Und schon zum damaligen Zeitpunkt waren die US-Märkte relativ hoch bewertet. Eine weitergehende Korrektur um 10 % sollte daher nicht überraschen. Das dürfte dann allerdings auch für den DAX nicht ohne Folgen bleiben.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus