Die meisten Kommentare zur konjunkturellen Entwicklung konzentrieren sich auf die USA. In den letzten Monaten stand jedoch Europa im Rampenlicht der Gewinner.
In jüngster Zeit ist der Euro gegenüber dem US-Dollar um mehr als 10 % gestiegen, die Makrodaten scheinen darauf hinzudeuten, dass eine Rezession vermieden wurde, und der europäische Aktienmarkt befindet sich im Aufwind und hat den S&P 500 und andere Vergleichsindizes geschlagen.
Auf viele ausländische Makro-Spezialisten wirkt die komplexe europäische Architektur mit ihren vielfaltigen Dimensionen wie eine unattraktive Blackbox, die mehr Rätsel aufgibt als Antworten liefert.
September 2022: Europäische Aktienmärkte im freien Fall, EUR/USD bei 0,95 - bleiben in diesem Winter die Lichter in Europa an? Diese Befürchtungen waren aufgrund des komplexen makroökonomischen und energiewirtschaftlichen Szenarios damals gerechtfertigt.
Notfallmaßnahmen vs. langfristige Lösungen
Europa gelingt es selten, langfristig wirksame politische Entscheidungen zu treffen, kann aber dafür Katastrophen in letzter Minute meisterhaft vermeiden.
Das obige Schaubild zeigt den gigantischen Betrag des Pro-Kopf-BIP, den die verschiedenen europäischen Länder den Haushalten und Unternehmen zur Bekämpfung der Energiekrise zukommen lassen.
Im Durchschnitt haben die Länder ca. 5 % des Pro-Kopf-BIP für die Energiekrise aufgewendet: das ist eine beeindruckende Zahl.
Zum Vergleich: Das italienische Haushaltsdefizit für ein ganzes Jahr beläuft sich auf etwa 50 bis 60 Mrd. EUR, und Italien hat über 90 Mrd. EUR allein für den Schutz der Verbraucher und Unternehmen vor höheren Energiepreisen bereitgestellt.
Auch hier gilt: Europa ist schlecht in der langfristigen Politikgestaltung, aber gut bei Notfallmaßnahmen. Die öffentlichen Finanzen zu nutzen, um den privaten Sektor vor einem strukturellen Handels-/Rohstoffproblem zu schützen, ist keine langfristige Lösung, aber kurzfristig funktioniert es sicher, weil es die Terms of Trade festlegt.
Internationale Tauschverhältnisse: Beziehung zwischen Importen, Exporten und Währung
Indizes für das internationale Tauschverhältnis (Terms of Trade - ToT) messen die relative Performance der Export- und Importpreise eines Landes. Bessere (höhere) Terms of Trade = der Wert, der aus den Exporten erzielt wird, übersteigt den Wert der Waren, der von außerhalb importiert werden muss, und umgekehrt.
Die Terms of Trade sind wichtig für die Währung: Eine Verschlechterung/Verbesserung der Terms of Trade geht oft mit einer schwächeren/stärkeren Währung einher, da das Land mehr/weniger ausgeben muss, um die gleiche Menge an Produkten zu importieren.
Diese Diagramm ist ziemlich aufschlussreich: Sobald Europa massiv intervenierte und sich die Terms of Trade (orange) zu verbessern begannen, setzte der EUR zu einem unaufhaltsamen Höhenflug an.
Ein stärkerer EUR und eine bessere Stimmung sorgten für die Erholung der europäischen Risikopapiere, der Knackpunkt war jedoch, dass die staatlichen Eingriffe auch die rezessiven Tendenzen ausräumten.
Das neue europäische Narrativ
Der extreme Pessimismus in der verarbeitenden Industrie war nun weniger gerechtfertigt, da die Input- und Energiekosten von den Regierungen subventioniert wurden, so dass nicht mehr mit einer unmittelbaren Gewinnrezession gerechnet werden musste.
Die europäischen Börsen erlebten eine massive Rallye und überflügelten viele ihrer globalen Pendants.
Darüber hinaus bestätigten weiche Makrodaten dieses neue Narrativ - die PMI-Umfragen zeigten optimistischere Antworten zum zukünftigen Wirtschaftswachstum.
Werden europäische Aktien weiterhin besser abschneiden als US-Titel? Diese Entwicklung wird von Tag zu Tag wahrscheinlicher.
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Offenlegung: Dieser Artikel wurde ursprünglich auf The Macro Compass veröffentlicht. Werden Sie Teil der lebendigen Community von Makro-Investoren, Asset Allocators und Hedge-Fonds - finden Sie heraus, welche Abo-Stufe am besten zu Ihnen passt, indem Sie auf diesen Link klicken.