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Die Zinsen könnten höher steigen als erwartet und länger hoch bleiben. Wie geschockt wird die Wall Street erst sein, sollte die Inflation wieder nach oben drehen?
Wie hoch, wie lange: Das sind die beiden Fragen, an denen die Wall Street derzeit alles misst. Im Kern geht es darum, wie lang der Weg hin zu Teuerungsraten in Sichtweite des Fed-Inflationsziel noch ist. Dieser Weg wird zunehmend steiniger, die Hoffnungen auf schnelle Zinssenkungen verflüchtigen sich.
Konsumenten- und Erzeugerpreise steigen weiter
Die jüngsten Inflationsdaten aus den USA haben für Ernüchterung gesorgt. Die Verbraucherpreise stiegen um 6,4 % gegenüber dem Vorjahresmonat und um 0,50 % gegenüber dem Vormonat – und damit stärker als erwartet. Gegenüber der Inflation im Dezember (6,5 %) gab es kaum noch einen Rückgang.
Wenig Hoffnung auf ein schnelles Verschwinden der Inflation machen auch die Erzeugerpreise. Diese stiegen im Januar um 6 % gegenüber dem Vorjahr (nach +6 % im Dezember). Zum Vormonat stiegen die Produzentenpreise sogar um 0,70 %, nachdem im Dezember noch ein Preisrückgang um 0,20 % berichtet worden war.
„Schlechte“ Nachrichten liefern derzeit auch Konjunkturindikatoren: Diese fielen zuletzt sehr positiv aus. Im Januar stiegen die US-Einzelhandelsumsätze gegenüber dem Vormonat um 3 % - der größte monatliche Anstieg seit fast zwei Jahren.
Einzelhandelsumsätze und Arbeitsmarkt: Keine Rezession in Sicht
Noch „schlimmer“: Auch der Arbeitsmarkt entwickelt sich gut. Im Januar fiel die Arbeitslosenquote auf ein 53-Jahres-Tief. 500.000 neue Jobs wurden geschaffen. Traditionell gilt, dass ein Zuwachs um mehr als 300.000 Stellen ein Indiz für eine starke Konjunktur ist.
Diese eigentlich guten Nachrichten sind in dieser Zeit schlechte Nachrichten. Das Wall Street Journal bringt es auf den Punkt: Die Märkte haben seit dem Beginn des Zinserhöhungszyklus sämtliche Entwicklungen durch eine geldpolitische Linse betrachtet. Jetzt gilt: Mehr Wachstum = Mehr Angst vor höheren Zinsen.
Die Märkte preisen in diesen Tagen deshalb einen neuen Verlauf der Zinsen ein: Die Zinsen steigen insgesamt höher und bleiben auch länger hoch. Auf Zinssenkungen noch 2023 hofft an der Wall Street fast niemand mehr.
Deutsche Bank: US-Leitzins im Juli bei 5,6 %
Im Gegenteil: die Akteure an der Wall Street heben ihre Zinsprognosen reihenweise an. Steven Englander, Global Head of G10 FX Research bei Standard Chartered (LON:STAN) etwa, erhöhte seine Prognose für den Spitzensatz der Federal Reserve Bank von 4,75 % auf 5,25 %. Der US-Chefökonom der Deutschen Bank (ETR:DBKGn) AG, Matthew Luzzetti, rechnet im Juli mit einem Leitzins von durchschnittlich 5,6 % (nach zuvor 5,1 %).
Auch am Geld- und Anleihemarkt werden höhere Zinssätze eingepreist. Laut FactSet erwarten Händler im August den Höchststand des Leitzinses bei 5,25 %. Anfang Februar waren die Märkte noch von einem Maximalzins von 4,88 % ausgegangen – der bereits im Juni erreicht sein sollte.
Brett Ryan, leitender US-Ökonom bei der Deutschen Bank warnt, dass ein „langfristig höherer Leitzins Risikoanlagen definitiv belasten“ müsste. Steven Englander von Standard Chartered konstatiert, die Märkte hielten an ihrer Idee der „makellosen Disinflation“ weiterhin fest – also einem Szenario, bei dem die Inflation deutlich zurückgeht und die Wirtschaft noch robust bleibt.
Warum scheinen die Zinserhöhungen der US-Notenbank (aktuell liegt der Leitzins in einer Spanne von 4,5-4,75 %) kaum zu wirken? Torsten Slok, Chefökonom bei Apollo Global Management weist darauf hin, dass zinssensitive Teile der Wirtschaft wie Immobilien und Autos deutliche Zeichen einer Abkühlung zeigen. Die Aktivität im Dienstleistungssektor bleibe aber stark – und diese mache 80 % des Bruttoinlandsprodukts aus.
Was, wenn die Inflation wieder steigt?
Die Wall Street scheint sich also nur sehr zögerlich mit einem Szenario höherer und länger hoch bleibender Zinsen anfreunden zu wollen.
Dass die Inflation wieder deutlich ansteigen könnte – und dann vielleicht Zinssätze im Bereich von 8 % und höher notwendig sein könnten, weil nach Ansicht der Fed der Leitzins irgendwann die Inflationsrate übersteigen muss – scheint für die Marktteilnehmer kein plausibles Szenario zu sein.
Dabei könnte insbesondere ein Wiederanstieg der Rohstoffpreise die Teuerung erneut anheizen. Der Preis für WTI US Öl liegt aktuell bei rund 75 USD – nach bis zu 125 USD im Vorjahr.
Auch andere Rohstoffpreise sind von ihren Höchstständen aus deutlich zurückgefallen. Der Bloomberg Industrial Metal Subindex etwa notiert aktuell bei gut 163 Punkten. Der Höchststand der vergangenen 52 Wochen lag bei knapp 328 Punkten.