Die Europäische Zentralbank (EZB) hat gestern die mehrheitlichen Markterwartungen erfüllt und die Leitzinsen zum dritten Mal im aktuellen Zinszyklus um 25 Basispunkte gesenkt. Als Grund nannte die Notenbank, „dass der Disinflationsprozess gut voranschreitet“. Zudem würden die Inflationsaussichten „durch aktuelle Konjunkturindikatoren beeinflusst, die schwächer ausgefallen sind als erwartet“, so die EZB im schriftlichen Statement zur Zinsentscheidung.
Die Währungshüter blieben aber bei ihrer Einschätzung, dass die Inflation in den kommenden Monaten noch einmal anzieht, bevor sie im Laufe des nächsten Jahres auf den Zielwert von 2 % zurückgeht. Immerhin: Im September wurde dieses Ziel sogar bereits unterschritten. Und die für die jährliche Inflation zunächst gemeldeten +1,8 % wurden heute sogar auf +1,7 % nach unten revidiert.
Zwar betonte die EZB gestern erneut, dass zukünftige Zinsentscheidungen „von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen“, doch spricht aus aktueller Sicht nichts gegen eine weitere Zinssenkung im Dezember.
Zumal EZB-Chefin Christine Lagarde auf der gestrigen Pressekonferenz einräumte, dass sich die Wirtschaft der Eurozone nicht wie erwartet entwickele, sondern die neuesten Daten auf ein schleppendes Wachstum hindeuten. Und vor diesem Hintergrund ist eine Geldpolitik, die noch so restriktiv ist wie aktuell, eigentlich nicht mehr angemessen. Stattdessen sollte sie mit weiteren Zinssenkungen gelockert werden, um das Wirtschaftswachstum wieder auf Kurs zu bringen.
Diese Möglichkeit hat die EZB aus meiner Sicht auch, weil sie sich laut eigenen Angaben nicht auf einzelne Daten stützt. Und am aktuellen Bild, welches sämtliche Daten ergeben, die derzeit vorliegen, wird sich bis zur nächsten Zinssitzung sehr wahrscheinlich nicht allzu viel ändern.
Keine gute Basis für einen starken Euro
Ein schleppendes Wirtschaftswachstum und sinkende Zinsen sind für die Währung der betreffenden Region keine Basis für Stärke. Und so verwundert es nicht, dass der Euro jüngst deutliche Kurseinbußen hinnehmen musste. Der EUR/USD ist wieder weit in seine Seitwärtsspanne zurückgefallen (gelb im folgenden Chart).
Dies auch vor dem Hintergrund, dass nach wie vor darüber spekuliert wird, ob die US-Notenbank (Fed) im November eine Zinspause einlegen wird. Diese gilt zwar als nicht sehr wahrscheinlich, aber die Zinssenkungsfantasien hatten in den USA zumindest etwas nachgelassen. Und das stärkt tendenziell den US-Dollar.
Konsumfreudige US-Verbraucher
Zumal gestern gemeldet wurde, dass sich die US-Verbraucher nach wie vor sehr ausgabenfreudig zeigen. Die Einzelhandelsumsätze legten im September um 0,4 % zum Vormonat zu, statt erwarteter 0,1 %.
Die stark vom Konsum abhängige US-Wirtschaft dürfte dadurch weiterhin ordentlich wachsen – im Gegensatz zur Eurozone.
EUR/USD setzt seine große Seitwärtstendenz fort
Am 8. Oktober hatte der EUR/USD bereits mit hoher Geschwindigkeit die bogenförmige Trendwendeformation verlassen (grün im Chart oben) und war in die Seitwärtsspanne (gelb) sowie unter das Zwischentief vom 12. September bei rund 1,10 USD zurückgefallen. Dadurch war eine Fortsetzung der Seitwärtstendenz statt der Trendwende bereits wahrscheinlich.
Seitdem ist der EUR/USD auch noch mit anhaltend hoher Geschwindigkeit unter die alten horizontalen Widerstände bei 1,0916 bzw. 1,08882 USD geraten. Und damit haben sich die Zweifel an einer Fortsetzung der möglichen großen Trendwende bestätigt.
Neue Trades bieten sich in einer Seitwärtsbewegung nicht an
Das nächste Kursziel für den EUR/USD sehe ich nun beim Zwischentief vom 1. August bei 1,0777 USD. Diese horizontale Marke bildet in Kürze mit zwei wichtigen Aufwärtstrendlinien eine Kreuzunterstützung. Wird auch diese gebrochen, schwinden die Chancen der Bullen weiter und der Wechselkurs dürfte bis auf unter 1,07 USD nachgeben.
Darauf setzen würde ich aktuell allerdings nicht. Denn der Kurs ist binnen kurzer Zeit schon recht weit gefallen. Es droht daher eine Gegenbewegung, womit ein neuer Short-Trade womöglich schnell ins Minus laufen würde. Und gerade in Seitwärtsbewegungen hat man es mit plötzlichen Richtungswechseln zu tun – von sehr unterschiedlichen Niveaus aus. Das sieht man auch beim EUR/USD sehr schön, der auf völlig verschiedenen Niveaus Hochs und Tiefs ausgebildet hat.
Ich würde daher beim EUR/USD nun darauf warten, dass sich eine neue Formation ausbildet, so wie die mögliche bogenförmige Trendwende, mit der ich auf einen Long-Trade gesetzt hatte. Dieser wurde zwar letztlich auf Einstiegskurs beendet, aber er bot ein gutes Chance-Risiko-Verhältnis (siehe dazu auch „EUR/USD: Fed und EZB legen sich bei ihren Zinspfaden fest“). Und er lief auch zunächst in den Gewinn, so dass Verluste durch die Absicherung per Stop-Loss ausgeschlossen werden konnten.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus