Mit der in den letzten Wochen aufgekommenen Angst, das man den Einstieg verpassen könnte (Fear Of Missing Out - „FOMO“), hat sich die optimistische Stimmung verstärkt. Es ist irgendwie interessant, diesen Blog zu schreiben, wenn man bedenkt, dass wir vor etwa einem Jahr das genaue Gegenteil diskutiert haben.
"Die Anlegerstimmung ist so bärisch geworden, dass man bullisch sein muss." – 10. Mai 2022
Zu den schwierigsten Dingen überhaupt gehört es, gegen den herrschenden Meinungsstrom in Sachen Geldanlage "anzuschwimmen". Diese Strategie wird als Contrarian Investing bezeichnet. Einer der berühmtesten Contrarian-Investoren ist Howard Marks, der einmal gesagt hat:
"Widerstand zu leisten - und damit als Contrarian erfolgreich zu sein - ist nicht einfach. Es gibt viele Faktoren, die eine solche Strategie erschweren, nicht zuletzt der natürliche Herdentrieb und der Schmerz, der entsteht, wenn man nicht mit dem Rest synchronisiert ist, insbesondere dann, wenn das Momentum prozyklisches Handeln eine Zeit lang als richtig erscheinen lässt.
Wegen der ungewissen Zukunft und der Schwierigkeit, sich seiner Position sicher zu sein, ist es schwierig, ein einsamer Contrarian zu sein - vor allem, wenn sich die Kurse gegen einen selbst bewegen."
Die nachstehende Grafik aus diesem Beitrag zeigt den zusammengesetzten Stimmungsindex. Dieser Index, der die Stimmung von Privatanlegern und institutionellen Investoren erfasst, erreichte damals ein pessimistisches Extrem, das normalerweise kurz- bis mittelfristige Markttiefs markiert.
Natürlich markierte der Mai nicht den absoluten Tiefpunkt, sondern den Beginn einer kräftigen Erholung bis in den August hinein, als die Optimisten die Kontrolle über das Geschehen - zumindest vorübergehend - zurückgewannen.
"Nach den jüngsten Zinserhöhungen der Fed und einigen "besser als erwarteten" Konjunkturdaten erholte sich der Markt in dieser Woche kräftig. Angesichts der extrem negativen Stimmung und Positionierung an den Märkten im Juni kommt die Rallye nicht überraschend. Wie wir seinerzeit feststellten, ist eine solche extrem negative Stimmung ein "Kontraindikator" und liefert guten Treibstoff für eine Marktrallye."
Der vorhergehende extreme Pessimismus bildete eine perfekte Grundlage für die starke Bullenmarktrallye. Der Kurssprung überraschte viele, und es breitete sich Optimismus aus.
Natürlich war es damit in der folgenden Woche vorbei, als die Federal Reserve die "Hoffnung" der Optimisten auf einen Pivot mit ihrer hawkishen Rede in Jackson Hole zerstörte. Im Oktober sank die Stimmung erneut auf einen Tiefstand, als der Markt ein neues Jahrestief erreichte.
Die Hoffnung auf den vielbesprochenen "Fed-Pivot" lebte jedoch weiter, und die extrem negative Stimmung führte zu einer Erholung von den Tiefstständen im Oktober. Ende Januar 2023 stellten wir dann fest, dass es trotz der Erholung noch an einer optimistischen Stimmung fehlte, die eine Fortsetzung der Rallye begünstigen würde.
"Unser Stimmungsbarometer für professionelle und private Anleger hat sich zwar gegenüber den Tiefstständen im Oktober verbessert, bleibt aber weiterhin gedrückt."
Damals war die Schlussfolgerung einfach. Wenn wirklich jeder pessimistisch denkt, eröffnet das eine realistische Wahrscheinlichkeit, dass sich auf dem Markt etwas völlig Unerwartetes ereignen wird.
Der Markt hat sich völlig entgegen den Erwartungen entwickelt
Seit Ende Januar hat der Markt trotz der Zinserhöhungen durch die Fed, der Krise im Bankensektor und der sich abschwächenden Wirtschaftsdaten die "Sorgenmauer" weiterhin erklommen. Tatsächlich ist er nicht nur diese Mauer hochgeklettert, sondern die Anleger haben sich dann noch auf ein ganz neues Anlagethema gestürzt: die "künstliche Intelligenz."
Wie bereits Anfang des Monats erörtert, hätte der Markt ohne die 7 größten nach Marktkapitalisierung gewichteten Aktien im S&P 500 nur um mickrige 3 % und nicht um 12 % zugelegt.
Die meisten Anleger folgen dem Leitindex, daher stehen die professionellen Anleger unter dem Druck, Renditen zu erwirtschaften, und müssen Geld in den Markt pumpen.
Das zeigt auch der jüngste Stimmungsumschwung in der Fachwelt, der von der National Association of Active Investment Managers (NAAIM) gemeldet wurde.
Die Kleinanleger sind in der Regel die emotionalsten Marktteilnehmer und wurden durch die Schlagzeilen in den Medien natürlich wieder an den Spieltisch getrieben.
Der Übermut ist zurück
"Die derzeitige Jagd nach Aktien, die mit "künstlicher Intelligenz" zu tun haben, steht natürlich stark im Mittelpunkt. Zum ersten Mal seit dem letzten Jahr stehen die Privatanleger wieder mit beiden Beinen in den Märkten."
Der Wechsel von einer pessimistischen zu einer optimistischen Stimmung hat sich seit Anfang März stetig vollzogen. In jüngster Zeit kam es jedoch zu einer klaren Kapitulation, als anscheinend auch die letzten Bären zum Bullenlager überliefen.
Im Zuge des Marktanstiegs hat sich das "Net Bullish Ratio" (optimistische minus pessimistische Anleger) von Privatanlegern und professionellen Investoren in den letzten Wochen deutlich nach oben geschraubt.
Auch wenn sich diese Kennzahl nicht auf einem Niveau befindet, das üblicherweise mit Marktspitzen assoziiert wird, lässt der starke Anstieg auf eine Kapitulation der Bären vermuten.
Gleichzeitig haben auch viele Wall Street-Unternehmen die pessimistischen Segel gestrichen und ihre Kursziele für das Jahresende deutlich angehoben.
- "Die BofA erhöht ihr Jahresendziel für den S&P 500 2023 von 4000 auf 4300. Dabei stützt sie sich auf fünf Indikatoren, die eine Bandbreite von 3900 (Fair Value) bis 4600 (Sentiment) ergeben." - Savita Subramanian.
- "Angesichts des sich abzeichnenden Endes des Zinserhöhungszyklus der Fed und der wahrscheinlichen Fortsetzung der KI-Story ändern wir unsere Untergewichtung bei US-Aktien zurück auf neutral und setzen den Technologiesektor auf Overweight.“ - Citi.
- "Wir erhöhen das Kursziel für den S&P 500 zum Jahresende von 4000 auf 4500, was einem Aufwärtspotenzial von 5 % gegenüber dem aktuellen Stand von 4299 entspricht" - David Kostin.
Es überrascht nicht, dass es im Zuge der Rallye extrem schwierig war, die Kunden zu trösten, wenn man aus dem Markt ausgestiegen oder in Aktien untergewichtet war. Der Stimmungsumschwung ist auf den "Schmerz" zurückzuführen, den die Anleger an der Seitenlinie verspürten. Auch wenn dieser Stimmungsumschwung noch nicht so extrem ist, so ist er doch oft eher ein Zeichen für das Ende einer Erholung als für einen Beginn.
Die Nummer 9 der Goldenen Regeln von Bob Farrell besagt:
"Wenn alle Experten und alle Prognosen das selbe sagen, wird etwas anderes passieren."
Sie haben die Wahl
Wie bereits erwähnt, nimmt der Übermut weiter zu, während sich die Sorgen über eine mögliche "Rezession" und einen "Bärenmarkt" aus dem Gedächtnis der Anleger löschen. Das ist nicht verwunderlich, denn der Mensch ist psychologisch konditioniert, dass er schmerzhafte Erlebnisse schnell vergisst.
Wäre dies nicht der Fall, würde die menschliche Rasse aufhören zu existieren, weil wir uns alle in Höhlen zusammenkauern würden und nicht bereit wären, uns nach draußen zu wagen, wo wir uns verletzen oder gar sterben könnten, während wir Nahrung sammeln.
Unser zusammengesetzter Netto-Bullen-Indikator, der im Oktober letzten Jahres noch einen extremen Bärenmarkt signalisierte, zeigt nun, wie schnell der Optimismus auf dem Markt zurückkehrt.
Für einen konträren Investor werden Übertreibungen aufgebaut, wenn bei einem Trade alle auf der gleichen Seite sind. Bisher war jeder ein Pessimist - damit war ein Aufwärtstrend unvermeidbar.
Wie Sam Stovall, der Anlagestratege von Standard & Poor's, einmal sagte:
"Wenn alle optimistisch sind - wer soll dann noch kaufen? Wenn alle pessimistisch sind, wer soll dann noch verkaufen?"
Egal, wie Ihre persönliche Einschätzung des Marktes aussieht - der im Oktober begonnene Bullenmarkt bleibt intakt. Deshalb müssen wir weiterhin die Anlageregeln befolgen, die auch die bedeutendsten Anleger der Geschichte befolgt und praktiziert haben.
- Geben Sie Verlierer ab und lassen Sie Gewinner laufen.
- Investieren ohne konkrete Ziele ist ein großer Fehler.
- Emotionale und kognitive Voreingenommenheit können nicht Teil der Methode sein.
- Immer dem Trend folgen.
- Niemals aus einem Gewinn einen Verlust werden lassen.
- Die Chancen auf Erfolg verbessern sich erheblich, wenn die technische Analyse die Fundamentalanalyse unterstützt.
- Vermeiden Sie nach Möglichkeit das Aufstocken verlustbringender Positionen.
- In Bullenmärkten müssen Sie "Long" sein. In Bärenmärkten sollten Sie "Neutral" oder "Short" sein.
- Beim Investieren zuerst auf das Risiko schauen, nicht auf die Rendite.
- Das Ziel des Portfoliomanagements ist eine Erfolgsquote von 70 %.
Es gibt viele Gründe, in den nächsten Monaten sehr besorgt über den Markt zu sein. Kurzfristig können sich die Märkte jedoch oft der Logik widersetzen, auch wenn scheinbar alle Beweise dafür sprechen.
Als Anleger können wir uns aus Angst vor dem nächsten Rücksetzer "in unseren Höhlen verstecken". Alternativ können wir den Markt, den wir haben, nutzen, indem wir Regeln befolgen, die unsere Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen.
Sie haben die Wahl.