- Starke Zahlen zum 2. Quartal von General Electric ließen die GE-Aktie steigen - aber vielleicht nicht hoch genug
- Die Stärke im Bereich Luftfahrt erweist sich als willkommene Entwicklung, und die Schwäche bei den erneuerbaren Energien markiert noch nicht das Ende der Bullen-These.
- Die GE-Aktie ist so interessant wie schon lange nicht mehr
Man kann die Zahlen zum zweiten Quartal von General Electric (NYSE:GE) auf zwei Arten beurteilen. Zum einen stellt sich die Frage, warum die GE-Aktie am Dienstag nur um 4,6 % gestiegen ist.
Quelle: Investing.com
Schließlich hat General Electric die Schätzungen der Wall Street in diesem Quartal deutlich übertroffen. Der bereinigte Gewinn je Aktie war mehr als doppelt so hoch wie von den Analysten erwartet; der Umsatz stieg um 7,3 %. Und es gab weitere gute Nachrichten.
Es gab aber auch einige skeptischere Reaktionen. Das Quartal war ausgezeichnet, ja. Aber insbesondere die Gewinne von GE sind bekanntermaßen unzuverlässig. Die Prognose für das Gesamtjahr blieb weitgehend unverändert.
Im Großen und Ganzen ist GE ein Unternehmen, das seit Jahren enttäuscht. Bereinigt um die im letzten Jahr durchgeführte Aktienzusammenlegung notiert die GE-Aktie um insgesamt 5 % höher als am 1. März 2009, fünf Tage bevor der Markt nach der Finanzkrise seinen Tiefpunkt erreichte. Im Vergleich dazu hat der S&P 500 um 433 % zugelegt.
Ein Quartal allein kann diese 13-jährige Geschichte nicht aus der Welt schaffen. Aber irgendwo muss GE ja auch anfangen.
Zwei für drei
Es ist wichtig, den Bericht für das 2. Quartal aus der Perspektive dessen zu betrachten, was General Electric sein wird, nicht nur was es ist.
Und was GE sein wird, sind drei separate Unternehmen. GE hat vor kurzem die Namen der drei Unternehmen bekannt gegeben: GE Healthcare, GE Aerospace und GE Vernova (die früheren Geschäftsbereiche Energie und erneuerbare Energien).
Der größte Teil des Wertes der drei Unternehmen wird aus den Bereichen Gesundheitswesen und Luftfahrt kommen. Das sind die Kronjuwelen der Geschäftstätigkeit. GE Power ist seit der Übernahme des französischen Unternehmens Alstom (EPA:ALSO) durch General Electric im Jahr 2015, einer der schlechtesten Transaktionen des Jahrzehnts, stark gefordert. Erneuerbare Energien haben ein gewisses langfristiges Potenzial, sind aber nach wie vor unrentabel.
Ein klarer Pluspunkt bei den Ergebnissen war nicht nur, dass GE die Erwartungen des Marktes übertroffen hat, sondern vor allem auch wie es dem Unternehmen gelungen ist. Die so genannte Aviation-Sparte beeindruckte mit einem Umsatzwachstum von 26 %, was auf eine anhaltende Erholung in diesem zyklischen Bereich hindeutet. Bemerkenswerterweise waren es die wiederkehrenden Einnahmen und nicht unbedingt die Produktverkäufe, die zu den guten Ergebnissen beitrugen. Das wiederum deutet darauf hin, dass GE Aviation auch in einem rezessiven Umfeld, das die Reiseausgaben drückt, zurechtkommt.
Die Zahlen für das Gesundheitswesen waren schwach: der Gewinn sank um 19 % und der Umsatz stieg nur um 1 %. Aber Probleme in der Lieferkette, Restriktionen in China und die Kosteninflation rechtfertigen die Ergebnisse in gewisser Weise. Insgesamt scheint das Gesundheitswesen - der wahrscheinlich wertvollste Geschäftsbereich von GE - angesichts seines defensiven Charakters in recht guter Verfassung zu sein.
Die größte Enttäuschung im 2. Quartal war der Bereich der erneuerbaren Energien. GE hatte eine Erholung in der zweiten Jahreshälfte in Aussicht gestellt, allerdings musste die Geschäftsleitung anlässlich der Telefonkonferenz zugeben, dass eine solche Erholung nicht in Sicht sei. GE plant weitere Kostensenkungen, aber selbst vor diesem Hintergrund sieht es düster aus: Der Bereich Erneuerbare Energien hat in den letzten vier Quartalen 14,4 Mrd. USD Umsatz erwirtschaftet, gleichzeitig aber einen Segment-Verlust von mehr als 1,3 Mrd. USD verzeichnet.
Sollte einer der Geschäftsbereiche ein schwaches Quartal verzeichnen, wäre es natürlich am besten, wenn es sich dabei weder um die Luftfahrt noch um das Gesundheitswesen handeln würde. Mit ziemlicher Sicherheit wird GE Vernova der am wenigsten wertvolle der drei Geschäftsbereiche sein.
Ist die GE-Aktie billig?
Auch hier lässt sich die Stärke des Quartals nicht unbedingt auf das Gesamtjahr übertragen, wie GE selbst zugibt. Nach den Ergebnissen des 1. Quartals verwies die Unternehmensleitung auf das untere Ende des Ausblicks für 2022, den sie ursprünglich Ende Januar nach dem Bericht für das 4. Quartal gegeben hatte. Nach dem 2. Quartal sagte das Management trotz der besseren Ergebnisse im Vergleich zum Konsens weitgehend das Gleiche, mit einer Ausnahme:
Und gerade diese Ausnahme ist wichtig. GE hat seine Prognose für den freien Cashflow in diesem Jahr um etwa 1 Mrd. USD gesenkt. In der Telefonkonferenz nach der Bekanntgabe der Geschäftszahlen wurde angedeutet, dass auch das Geschäftsergebnis 2023 unter Druck kommen wird.
Im Kontext der langen Geschichte von GE erscheint diese Prognose durchaus besorgniserregend. Zwischen Gewinn und freiem Cashflow klafft seit langem eine Lücke. Das Ergebnis kann durch buchhalterische Entscheidungen beeinflusst werden, insbesondere bei einem so komplexen Unternehmen wie GE Capital (dessen Aktiva erstaunlicherweise noch immer abgewickelt werden). Auch die Einmal-Effekte, die aus den bereinigten Gewinnen herausgerechnet werden, können manipuliert werden; so scheinen beispielsweise Umstrukturierungskosten jedes Jahr erneut aufzutreten.
Der freie Cashflow wird jedoch viel weniger von Managemententscheidungen beeinflusst; er ist einfach ein Maß für die tatsächlich ins Unternehmen einfließenden Mittel. Jahrelang wiesen Skeptiker auf den niedrigen freien Cashflow als Grund für den Verkauf von GE-Aktien hin, auch wenn GE auf Gewinnbasis zeitweise billig erschien. Diese Skeptiker sehen den reduzierten Free Cashflow-Ausblick möglicherweise als Fortsetzung der alten Geschichte.
Aber selbst mit der niedrigeren Prognose spricht einiges dafür, dass die Fundamentaldaten langsam besser werden. (Ironischerweise trifft das nicht zu, wenn man den bereinigten Gewinn betrachtet, der in diesem Jahr wahrscheinlich nicht viel über 3 USD pro Aktie liegen wird.) Ein Free Cashflow von 4,5 Mrd. USD in diesem Jahr und vielleicht 6 Mrd. USD oder mehr im nächsten Jahr kann einen Börsenwert von derzeit knapp 80 Mrd. USD stützen.
Das gilt vor allem dann, wenn sich die Bereiche Luftfahrt und Gesundheitswesen gut entwickeln. Zumindest im 2. Quartal taten sie das.
Ist General Electric ein Kauf?
Alles in allem kann man die GE-Aktie nach den Zahlen zum zweiten Quartal ohne weiteres als eine interessante Kaufgelegenheit betrachten. Trotz eines extrem ungünstigen Umfelds hat das Unternehmen solide Ergebnisse erzielt. Die Bedenken in puncto Free Cashflow sind angesichts der Probleme in der Lieferkette und der Schwäche bei den erneuerbaren Energien berechtigt.
Die Bewertung ist angemessen. Das Geschäft ist nicht länger so zyklisch wie es einmal war. Und es sieht so aus, als ob GE nach der Ernennung von Larry Culp zum CEO im Jahr 2019 endlich auf dem richtigen Weg ist.
Gleichzeitig belastet die Geschichte des Unternehmens. In den vergangenen 13 Jahren hat GE die Erwartungen mehrfach erhöht. Jedes Mal endete es mit einer Enttäuschung. Es wird mehr als ein Quartal dauern, bis die Anleger davon überzeugt sind, dass es dieses Mal wirklich anders ist. Aber wenn GE das schafft, hat diese Aktie echtes Aufwärtspotenzial.
Haftungsausschluss: Vince Martin hält zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Positionen in hier besprochenen Wertpapieren.