Das erste Börsenhalbjahr neigt sich dem Ende – und die Märkte haben sich trotz der herausfordernden Gemengelage überraschend gut entwickelt. Auch im zweiten Halbjahr könnte die Börse positiv überraschen, wenngleich Anlegerinnen und Anleger auch die Risiken im Blick behalten sollten.
Viele Anlegerinnen und Anleger dürften erleichtert sein: Die ersten sechs Monate des Jahres sind fast vorbei und der Kapitalmarkt hat sich positiver entwickelt, als selbst viele Börsenprofis erwartet hatten. Dabei war das erste Halbjahr bereits gespickt mit negativen Einflüssen und Ereignissen, die in Teilen noch weiter bestehen.
Nicht nur der Krieg Russlands in der Ukraine dauert an, auch der Konflikt mit China schwelt weiter und belastet die Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen. Andererseits hat die Wiedereröffnung Chinas nach der langen coronabedingten Abschottung den Welthandel durchaus belebt. Positiv überraschte auch der milde Winter in Europa, so dass eine Rationierung von Gas, Öl und Strom trotz relativer Knappheit vermieden werden konnte. Damit gingen auch die Energiepreise deutlicher zurück, als selbst Optimisten erwartet hatten. Und von einer tiefen Rezession in Europa und den USA – wie sie vor einigen Monaten noch von Volkswirten prognostiziert wurde – sind wir aktuell auch ein gutes Stück weit entfernt.
Volkswirtschaftlich waren die Zinserhöhungen der Notenbanken zur Bekämpfung der Inflation im ersten Halbjahr zwar ein großer Belastungsfaktor für die Kapitalmärkte. In der Realwirtschaft trafen sie vor allem das verarbeitende Gewerbe und die Hightech-Unternehmen, die für ihr Wachstum mehr auf Fremdkapital angewiesen sind als etablierte Value-Konzerne. Sorgen bereitet zudem die noch immer hohe Kerninflation, also die Teuerungsrate ohne Einbeziehung der Energie- und Lebensmittelpreise. Im April lag die Inflationsrate in der Eurozone im Vergleich zum Vorjahr bei 7,0 Prozent, die Kerninflationsrate bei 5,6 Prozent.
Erstes Börsenhalbjahr – besser als gedacht
Dennoch haben sich Aktien- und Rentenmarkt in den ersten sechs Monaten des Jahres überraschend robust präsentiert. Nach den kräftigen Kursverlusten am Rentenmarkt im vergangenen Sommer, die entsprechend mit steigenden Anleiherenditen einhergingen, bewegte sich der Rentenmarkt unter Schwankungen seitwärts, einzelne Segmente sogar positiv. Das ist angesichts der fortgesetzten Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed, Europäische Zentralbank sowie weiterer Notenbanken weltweit schon ein bemerkenswerter Erfolg. Erfreulich ist zudem, dass es im Zuge der gestiegenen Renditen und Risikoprämien am Anleihenmarkt zunehmend attraktive Investmentchancen gibt.
Auch am Aktienmarkt herrschte nach längeren Phasen der Verunsicherung im ersten Halbjahr Optimismus vor. Der DAX erreichte mit 16.332 Punkten jüngst sogar ein neues Allzeithoch. Auf Sicht der vergangenen sechs Monate konnte der deutsche Leitindex um mehr als 13 Prozent zulegen. Ähnlich entwickelten sich die europäischen und US-amerikanischen Aktienindizes, auch wenn sie keine neuen Rekordstände erreichten. Die zuvor gebeutelte US-Technologiebörse Nasdaq legte seit Jahresbeginn sogar um 34 Prozent zu, nachdem diese 2022 stark an Wert eingebüßt hatten. Unter dem Strich ging es an den Aktienmärkten im ersten Halbjahr 2023 deutlich nach oben. Für Optimismus sorgte vor allem, dass die Notenbanken nun absehbar den Zinserhöhungszyklus beenden und sich Schuldner und Investoren allmählich auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen. Außerdem blieb der befürchtete Rückgang der Unternehmensgewinne in der Breite aus, viele Aktiengesellschaften konnten positiv überraschen.
Inflation und Notenbanken dürften Richtung vorgeben
Wie geht es nun im zweiten Halbjahr an den Börsen weiter? Sicherlich erwarten Sie jetzt eine zuverlässige Prognose für die kommenden sechs Monate. Doch mit dem zuverlässigen Blick in die Zukunft ist das so eine Sache. Und: Die wohl weiterhin angespannte Lage erschwert die Prognose zusätzlich. Fakt ist aber: Sowohl die hohen Zinsen als auch die hohe Inflation bereiten nach wie vor Sorgen – und zwar bei Verbrauchern und Investoren. Zudem könnte der Wirtschaftsmotor noch ein wenig an Dynamik verlieren, wenngleich die harte Rezession wohl ausbleibt. Das US-Wachstum hat sich bereits verlangsamt, auch der Post-Covid-Aufschwung Chinas verliert schon wieder an Tempo. Und die deutsche Wirtschaft befindet sich bereits in einer Schwächephase. Daher ist zu befürchten, dass auch die Unternehmensgewinne unter Druck geraten könnten.
Aktienmarkt bietet weiterhin Chancen
Positiv stimmt hingegen, dass die Märkte Stressphasen wie die Regionalbankenkrise in den Vereinigten Staaten oder den Streit um die Schuldenobergrenze der USA gut weggesteckt haben. Auch der langsame, aber stetige Rückgang der Inflationsrate macht Hoffnung und sorgt am Aktienmarkt für Entspannung. Grund: Die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Notenbanken künftig einen nicht mehr ganz so restriktiven Kurs einschlagen werden – auch wenn kaum damit zu rechnen ist, dass die Notenbanken, allen voran Fed und EZB, noch in diesem Jahr mit Zinssenkungen zur Konjunkturunterstützung beginnen. Die Frage, wie zügig die Inflation weiterhin sinkt und ob die Notenbanken angesichts der schwächer werdenden Konjunktur weitere Zinserhöhungen wagen, kommt somit für das zweite Halbjahr eine zentrale Bedeutung zu. Kurzum: Gut möglich, dass der Aktienmarkt bis Ende 2023 noch Luft nach oben haben könnte. Auf der anderen Seite sollten Anlegerinnen und Anleger aber auch nicht allzu überrascht sein, wenn der Markt seitwärts verläuft oder sogar ein wenig an Höhe verliert.
Renaissance am Rentenmarkt
Und wie präsentiert sich der Rentenmarkt in der zweiten Jahreshälfte? Nach Jahren der Niedrigzinsen erleben Anleihen dank der Zinserhöhungen derzeit eine Renaissance. Allerdings bleibt die Zinsstrukturkurve invers, kurzlaufende Anleihen sind also nach wie vor höher verzinst als langlaufende. Anleihen mit langer Laufzeit sollten in normalen Marktphasen aber höher verzinst sein, da mit der langen Laufzeit das Anlagerisiko steigt. Durch die sukzessive Umschichtung der Investoren sollte die Zinsstrukturkurve aber wieder zu ihrer normalen Form zurückkehren. Auch der Rentenmarkt bleibt somit herausfordernd, aber er bietet wieder mehr Renditechancen. Und: Da der Renten- dem Aktienmarkt noch etwas hinterhinkt, scheint das Risiko-Rendite Potenzial derzeit am Anleihemarkt attraktiver.
Risikostreuung ist und bleibt das A und O für den langfristigen Vermögensaufbau
Zusammengenommen dürfte das 2. Börsenhalbjahr angesichts der ungewissen Inflations- und Zinsentwicklung sowie vor dem Hintergrund einer sich eintrübenden Konjunktur weiter herausfordernd bleiben. Doch das Schlimmste sollte überstanden sein. Mut macht dabei vor allem, dass an der Börse die Zukunft gehandelt wird – in der Regel preist der Kapitalmarkt die Entwicklungen der kommenden sechs Monate ein – und daher schon eine Menge der negativen Nachrichten in den Kursen berücksichtigt sein dürfte.
Vor allem aufgrund der weiterhin sensiblen Marktlage sollten Anlegerinnen und Anleger aber den schon in ruhigen Phasen zwingend erforderlichen langfristigen Anlagehorizont und die breite Risikostreuung noch stärker berücksichtigen. Neben Anleihe(-fonds) und Aktien(-fonds) gehören auch Immobilien, Rohstoffe und alternative Investments in ein ausgewogenes, diversifiziertes Portfolio. In volatilen Märkten zahlt sich für den langfristigen Vermögensaufbau wohl auch in Zukunft ein schrittweiser Einstieg aus.
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