Analysten, die historische Trends unter die Lupe nehmen, sind verwirrt von einem Markt, der eine Situation ohne Präzedenzfall widerspiegelt. Wir haben eine Pandemie, die nicht enden will, und eine Federal Reserve, die trotz galoppierender Inflation zögert, den Geldhahn zuzudrehen.
Die Rendite der amerikanischen 10-Jahresanleihe bleibt hartnäckig unter 1,5%, obwohl die Ängste über die Omikron-Variante des Coronavirus mit Berichten über leichte Symptome nachlassen. Ein Hauptteil des Problems ist natürlich, dass die Fed weiter in großem Umfang Anleihen kauft. Sie gibt dafür Monat für Monat Milliarden aus und wird ihre Bilanz beim aktuellen Tempo auf 9 Billionen Dollar aufblähen.
Man sollte nicht vergessen, dass selbst wenn die Fed aufhört, neue Anleihen zu kaufen, sie die Erlöse aus fälligen Anleihen reinvestiert. Angesichts der erhöhten Bestände bedeutet dies, dass die Fed auch in Zukunft einen Großteil der US-Staatsschulden aufkaufen wird.
Fed-Chef Jerome Powell hat angedeutet, dass der Offenmarktausschuss der Zentralbank bei seiner Sitzung nächste Woche wahrscheinlich die Reduzierung der Anleihekäufe beschleunigen wird, was die Tür für Zinserhöhungen offen lässt, falls diese notwendig werden, um den Inflationsanstieg zu stoppen.
Aber die Bank scheint kaum Handlungsdruck zu verspüren, auch wenn Kritiker sie dafür kritisiert haben, dass sie zu lange gewartet hat, in der irrigen Annahme, die steigende Inflation sei nur vorübergehender Natur.
US-Schuldenobergrenze, politische Unsicherheit in der EU
Die Aussicht, dass der Kongress die Fristen für eine ehrgeizige Agenda, die eine Anhebung der Schuldenobergrenze, die Genehmigung eines Verteidigungshaushalts und die Ausarbeitung eines Kompromisses über die Sozialausgabengesetzgebung erfordert – und das alles noch vor Weihnachten – nicht einhalten wird, macht die Stimmung der Anleger nicht besser.
Manche Themen, wie die Schuldenobergrenze, erscheinen wie künstliche Konstrukte, damit die Abgeordneten ihre politischen Hahnenkämpfe abhalten können, aber wenn sie unter Termindruck eine kritische Masse erreichen, können sie auch für Investoren zum Problem werden. Auch der Übergangsetat, um die Finanzierung der Regierung zu gewährleisten, ist eben nur eine Notlösung, die im neuen Jahr wieder verhandelt werden muss.
Der Einbruch der Umfragewerte von Präsident Joseph Biden trägt zur politischen Unsicherheit bei. Die durchschnittliche Zustimmung für den Präsidenten beträgt laut FiveThirtyEight, eine amerikanische Nachrichtenwebseite, nur noch 42,8%, während die Ablehnung bei 50,8% liegt. Einzelne Umfragen zeigen eine noch niedrigere Zustimmung und eine größere Lücke. Dies wird es dem Weißen Haus nicht leichter machen, sein Gesetz zu verabschieden.
Unterdessen befindet sich Europa mitten in einem politischen Umbruch. Diese Woche wird eine neue Bundesregierung ihr Amt antreten und das Land bekommt erstmals seit 16 Jahren einen neuen Bundeskanzler. Während Angela Merkel noch dezidiert im Zentrum verankert war, hat Olaf Scholz, der neue Bundeskanzler, ein linkslastiges Kabinett gebildet.
Die Rendite der 10-jährigen deutschen Bundesanleihe bewegt sich auf einem eher niedrigen Niveau von minus 0,38%, da Europa mit steigenden Covid-Infektionen zu kämpfen hat und immer neue Beschränkungen diskutiert.
In Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas, ist der rechts-konservative Journalist Eric Zemmour in das Rennen um das Präsidentenamt eingetreten und könnte mit Amtsinhaber Emmanuel Macron in die Stichwahl einziehen und die mehrjährige Kandidatin der Rechten, Marine Le Pen, verdrängen. Die gemäßigtere gaullistische Mitte-Rechts-Partei, die Republikaner, hoffen, an die goldenen Jahre der Vergangenheit anschließen zu können und haben die populäre Chefin der Region Paris, Valérie Pécresse, für die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr nominiert.
Italienische Staatsanleihen profitierten von einer Rating-Verbesserung einiger langfristiger Schulden durch Fitch, aber die Rendite der 10-jährigen Anleihe ging lediglich um 4 Basispunkte auf 0,88% zurück.
Italiens Parlament wird nächsten Monat einen neuen Präsidenten zum Nachfolger von Sergio Mattarella wählen und Premierminister Mario Draghi ist der offensichtliche Kandidat, aber viele würden es vorziehen, wenn er in seinem derzeitigen Amt bleibt, da der ehemalige Chef der Europäischen Zentralbank das Vertrauen in das Land wiederherstellt. Klare Alternativen gibt es nicht und so hat selbst Ex-Premier Silvio Berlusconi eine Chance auf das Präsidentenamt.
Die schwache Führung in den Institutionen der Europäischen Union rückt die nationale Politik in den Vordergrund. Die Europäische Kommission gibt in ihrer Fehde mit Polen über Justizreformen kein überzeugendes Bild ab, während Weißrussland die EU auf die Probe stellt, indem es Migranten aus dem Nahen Osten an die polnische Grenze durchlässt. Auch die Europäische Zentralbank gerät in die Kritik, weil sie ihre Absichten nicht klar kommuniziert.
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