von Wolfgang Müller
Yield Curve Control, oder Kontrolle der Zinskurve, die der Chef der Federal Reserve, Jerome Powell, als zinspolitische Maßnahme bisher weitgehend aus seinem „Werkzeugkasten“ unerwähnt ließ, hat seine Kollegin jenseits des Atlantiks, Christine Lagarde, unverhohlen in den Raum gestellt. Man werde höhere Renditen nicht zulassen. Dies hätte weitreichende Folgen für viele Anlageprodukte, speziell in Deutschland.
Europa, der Kontinent ohne Zinsen
Schon fast ein Jahrzehnt ist es her, dass EZB-Chef Mario Draghi seine „Whatever it takes“-Rede gehalten hat und seit es praktisch keine richtigen Zinsen mehr in der Eurozone gibt. Die Renditen sind in den Mitgliedsländern in solche Tiefen gefallen, dass nicht mehr ansatzweise ein Verhältnis zwischen Schuldentragfähigkeit und Zinshöhe besteht (außer jemand übernimmt die Haftung). In Deutschland ertwa gibt es trotz einer kommenden Wachstumsphase, weit über Trendwachstum gelegen, stark negative Zinsen.
Und Madame Lagarde? Die Chefin der EZB hat letzten Donnerstag angedeutet, dass sie keine höheren Zinsen dulden werde. Für Deutschland sieht es aus, als ob die minus 0,30-Prozentmarke für die 10-jährige Bund die obere Grenze darstellen sollte. Ein implizites Zinskurvenmanagement, wie der Chefvolkswirt der Commerbank, Dr. Jörg Krämer, das englische Wort einer indirekten „Yield Curve Control“ umschreibt. Mit fatalen Konsequenzen für unsere „alte“ Lebensversicherung oder jeder Art von Geldsparen.
Zur Umsetzung dieses Vorhabens dient die Ausweitung der Anleihekäufe mittels des 1,85 Billionen Euro schweren Programms PEPP. Die Käufe der EZB haben letzte Woche auf 19 Milliarden zugenommen, eine Billion Euro sind noch ungenutzt.
Keine steigenden Zinsen, nirgendwo in der EU-Zone, denn dies würde die günstigen Finanzierungsbedingungen für die Wirtschaft in Zeiten einer Pandemie gefährden. Wieso diese große geldpolitische Keule der französischen Zentralbankerin? Natürlich lief eine kleine Schockwelle in alle Zentralen der Notenbanken rund um die Welt, nach dem überraschenden Zinsanstieg bei der Benchmark in den USA (10yr Treasury), bei einem deutliche Anziehen der Inflationsdaten. „Wehret den Anfängen“, wird sich Madame Lagarde gedacht haben und verbal die Märkte in Schach gehalten, in Anlehnung an ihren Vorgänger und seinen drei Worten vom 26. Juli 2012. Deshalb werde man auch durch einen Anstieg der 2-Prozentmarke bei der Inflation „hindurchschauen“. Wird das auch die Federal Reserve tun?
Zieht die Federal Reserve morgen nach?
Vor einem besonderen Problem steht morgen Abend Fed-Chef Jerome Powell, wenn er bei seiner Pressekonferenz die Politik der US-Notenbank Federal Reserve „plausibel“ erklären will. Die USA stehen vor einem gewaltigen „kurzfristigen“ (?) Wachstumsschub, vor einer unglaublichen Geldschwemme, wie ich in meinem Artikel über einen möglichen Konsumrausch versucht habe darzustellen. Dennoch hat er vor Kurzem betont, dass er die Inflation für ein vorübergehendes Problem erachte. Wie kann man diesen „Gordischen Knoten“ den Märkten verkaufen? Wenn die Wirtschaftsdaten auf eine starke Erholung hindeuten, Powell und Yellen, aber noch von einem langen Aufholprozess sprechen – wie die neueste Geld- und Spekulationsflut relativieren? Welcher Trick, welches geldpolitische Manöver verheimlicht eine Kontrolle der so wichtigen Zinsen am langen Ende?
Fazit
Die Verschuldung der Staaten hat Tatsachen geschaffen – in Ost und West, in Nord und Süd. Da man einen Schuldenschnitt durch die Notenbanken nicht als Option ansieht, bleibt nur die finanzielle Repression. Das Traumszenario der Federal Reserve: Ein BIP-Wachstum von 7 Prozent, Leit- und Kapitalmarktzinsen zwischen 0,25 und 2 Prozent und dabei eine Inflation von 2 bis 4 Prozent – und schon hätte man eine relative Entschuldung des Staates.
Leider wird dieses Wunschszenario nicht lange Bestand haben, der Schuldenstand der USA steigt stramm weiter (kommt bald Bidens Climate and Infrastructure Package?), damit dürften auch die Kapitalmarktzinsen weiter steigen oder das BIP-Wachstum zurückgehen. Die Federal Reserve glaubt daran, dass das Prinzip der „relativen“ Entschuldung des Staates ein weiteres Mal klappt, wie für das United Kingdom und für die USA in den Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dabei gibt es doch ein paar wesentliche Unterschiede.