APA ots news: 'Die Presse'-Leitartikel: Der Richtspruch der Märkte kann den Euro retten, von Karl Gaulhofer
Ausgabe vom 09. Dezember 2011
Wien (APA-ots) - Auf dem (diesmal wirklich) entscheidenden EU-Gipfel
regiert statt Solidaritätspathos die nüchterne Einsicht in die
Gefahr. Das macht Hoffnung - diesmal wirklich.
Die Sorgen der Schweizer möchten wir haben: Die Eidgenossen rüsten
sich mit bedächtiger Sorgfalt für den Fall, dass es den Euro
zerbröselt. Dann würde nämlich alle Welt in den Franken flüchten und
dieser gefährlich erstarken. Aber die Erben Tells wissen sich zu
wappnen: In diesem Fall müssen Investoren eben eine Strafsteuer in
Form von Negativzinsen zahlen, wenn sie ihr Vermögen in der Schweiz
halten wollen.
Nicht so leicht zu lösen sind die Probleme Europas. In Brüssel tagt
ein schicksalhafter Gipfel - diesmal wirklich. Eineinhalb Jahre lang
hat uns das Gremium der Granden nach jedem Treffen versichert, die
ultimative Wunderwaffe zum Schutz der Eurozone gefunden zu haben.
Rettungsschirme wurden aufgespannt, aufgebläht und mit Feuerkraft
versehen, dass einem ganz heiß und schwindlig wurde. Pathetische
Appelle an die Solidarität liefen stets darauf hinaus, alte Schulden
mit neuen Schulden, Haftungen und Risken zu überhäufen.
Und was machten die undankbaren Investoren? Sie ließen die Maßnahmen
verpuffen. Denn sie erkannten, dass damit das Problem nur verschoben,
vergrößert und auf die ganze Eurozone verbreitert wird. Die
kollektive Abstufungsdrohung von Standard & Poor's hat auf den
Märkten ein Erdbeben der Stärke null ausgelöst. Sie schafft also
keine neue Realität, sondern erklärt nur, was schon passiert ist:
dass sich die Bondanleger scharenweise zurückziehen, weil sie das
Vertrauen in die Lösungsfähigkeit von Europas Politikern verloren
haben.
Diese stehen durch den Richtspruch der Märkte mit dem Rücken zur
Wand. Sie wissen: Wenn aus ihrer Konklave nicht weißer Rauch
aufsteigt, wird es ernst. Also bemühen wir Hölderlin: Wo aber Gefahr
ist, wächst das Rettende auch. Das war nicht die wirre Vision eines
vom Wahn Befallenen, sondern die Beobachtung eines noch wachen
Geistes.
Und sie könnte sich wieder bestätigen: Was Merkel und Sarkozy vorab
ausgehandelt haben, macht Hoffnung. Es packt das Problem der
Euro-Fehlkonstruktion an der Wurzel: dem von Anfang an missachteten
Stabilitätspakt. (Fast) automatische Sanktionen gegen Defizitsünder,
Schuldenbremsen in allen Verfassungen, ihre Kontrolle durch den
Europäischen Gerichtshof: Auf diesem Fundament lässt sich neu bauen.
Und wenn die Briten sich sträuben, dann bauen eben nur die 17
Eurostaaten mit.
Dass zwei Politiker sich das beim Mittagessen ausschnapsen, ist nicht
schön. Aber wer sollte den Takt vorgeben? Van Rompuy? Der blasse
Präsident schießt quer, indem er alte und neue Tricksereien aus dem
Hut zaubert: eine Banklizenz für den EFSF, den Missbrauch des
Währungsfonds oder parallele Rettungsschirme. Man muss also Merkel
dankbar sein, dass sie das Heft in die Hand nimmt und Sarkozy, das
Sprachrohr des Südens, ins Boot holt.
Freilich: Auch wenn sich der Rat einigt, dauert es Monate, wenn nicht
Jahre, bis die Vertragsreform umgesetzt wird. Sie ist eine
notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür, das missratene
Eurogebilde zu retten. Denn wir bewegen uns auf dem Anleihemarkt
rasch auf ein Krisengleichgewicht der negativen Erwartungen zu, das
hoch verschuldete Staaten nicht überleben. Es muss also auch
kurzfristig etwas geschehen. Aber nichts, was negative Anreize für
den Schuldenabbau setzt und damit das Vertrauen weiter untergräbt.
Also keine Eurobonds und auch kein schrankenloser Aufkauf von
Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank.
Was bleibt? Nur der gezielte Einsatz der EZB, Zug um Zug nach
Erfüllung von Sparvorgaben, wie Präsident Mario Draghi es plant.
Natürlich schafft jede Ausweitung der Zentralbankgeldmenge das
Potenzial für künftige Inflation. Aber da hat Europa Glück im
Unglück: Wenn niemand investiert, wächst das Kreditvolumen nicht. So
bleibt es beim Handel mit Anleihen in den stillen Gewässern der
Banken, Versicherungen und Pensionsfonds. Da dringt vorerst kein Geld
nach außen, das sich unkontrolliert vermehren könnte. Und wenn Draghi
seine Linie beibehält, macht nicht er sich von der Politik abhängig,
sondern eher umgekehrt: Letztlich war es die EZB, die Berlusconi von
Italiens Thron gestoßen hat. So geben Merkel und Draghi einen Pfad
vor, der ein Ziel haben könnte: Wo die Gefahr wächst, wächst Europa
auch.
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
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OTS0082 2011-12-08/18:33
Ausgabe vom 09. Dezember 2011
Wien (APA-ots) - Auf dem (diesmal wirklich) entscheidenden EU-Gipfel
regiert statt Solidaritätspathos die nüchterne Einsicht in die
Gefahr. Das macht Hoffnung - diesmal wirklich.
Die Sorgen der Schweizer möchten wir haben: Die Eidgenossen rüsten
sich mit bedächtiger Sorgfalt für den Fall, dass es den Euro
zerbröselt. Dann würde nämlich alle Welt in den Franken flüchten und
dieser gefährlich erstarken. Aber die Erben Tells wissen sich zu
wappnen: In diesem Fall müssen Investoren eben eine Strafsteuer in
Form von Negativzinsen zahlen, wenn sie ihr Vermögen in der Schweiz
halten wollen.
Nicht so leicht zu lösen sind die Probleme Europas. In Brüssel tagt
ein schicksalhafter Gipfel - diesmal wirklich. Eineinhalb Jahre lang
hat uns das Gremium der Granden nach jedem Treffen versichert, die
ultimative Wunderwaffe zum Schutz der Eurozone gefunden zu haben.
Rettungsschirme wurden aufgespannt, aufgebläht und mit Feuerkraft
versehen, dass einem ganz heiß und schwindlig wurde. Pathetische
Appelle an die Solidarität liefen stets darauf hinaus, alte Schulden
mit neuen Schulden, Haftungen und Risken zu überhäufen.
Und was machten die undankbaren Investoren? Sie ließen die Maßnahmen
verpuffen. Denn sie erkannten, dass damit das Problem nur verschoben,
vergrößert und auf die ganze Eurozone verbreitert wird. Die
kollektive Abstufungsdrohung von Standard & Poor's hat auf den
Märkten ein Erdbeben der Stärke null ausgelöst. Sie schafft also
keine neue Realität, sondern erklärt nur, was schon passiert ist:
dass sich die Bondanleger scharenweise zurückziehen, weil sie das
Vertrauen in die Lösungsfähigkeit von Europas Politikern verloren
haben.
Diese stehen durch den Richtspruch der Märkte mit dem Rücken zur
Wand. Sie wissen: Wenn aus ihrer Konklave nicht weißer Rauch
aufsteigt, wird es ernst. Also bemühen wir Hölderlin: Wo aber Gefahr
ist, wächst das Rettende auch. Das war nicht die wirre Vision eines
vom Wahn Befallenen, sondern die Beobachtung eines noch wachen
Geistes.
Und sie könnte sich wieder bestätigen: Was Merkel und Sarkozy vorab
ausgehandelt haben, macht Hoffnung. Es packt das Problem der
Euro-Fehlkonstruktion an der Wurzel: dem von Anfang an missachteten
Stabilitätspakt. (Fast) automatische Sanktionen gegen Defizitsünder,
Schuldenbremsen in allen Verfassungen, ihre Kontrolle durch den
Europäischen Gerichtshof: Auf diesem Fundament lässt sich neu bauen.
Und wenn die Briten sich sträuben, dann bauen eben nur die 17
Eurostaaten mit.
Dass zwei Politiker sich das beim Mittagessen ausschnapsen, ist nicht
schön. Aber wer sollte den Takt vorgeben? Van Rompuy? Der blasse
Präsident schießt quer, indem er alte und neue Tricksereien aus dem
Hut zaubert: eine Banklizenz für den EFSF, den Missbrauch des
Währungsfonds oder parallele Rettungsschirme. Man muss also Merkel
dankbar sein, dass sie das Heft in die Hand nimmt und Sarkozy, das
Sprachrohr des Südens, ins Boot holt.
Freilich: Auch wenn sich der Rat einigt, dauert es Monate, wenn nicht
Jahre, bis die Vertragsreform umgesetzt wird. Sie ist eine
notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung dafür, das missratene
Eurogebilde zu retten. Denn wir bewegen uns auf dem Anleihemarkt
rasch auf ein Krisengleichgewicht der negativen Erwartungen zu, das
hoch verschuldete Staaten nicht überleben. Es muss also auch
kurzfristig etwas geschehen. Aber nichts, was negative Anreize für
den Schuldenabbau setzt und damit das Vertrauen weiter untergräbt.
Also keine Eurobonds und auch kein schrankenloser Aufkauf von
Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank.
Was bleibt? Nur der gezielte Einsatz der EZB, Zug um Zug nach
Erfüllung von Sparvorgaben, wie Präsident Mario Draghi es plant.
Natürlich schafft jede Ausweitung der Zentralbankgeldmenge das
Potenzial für künftige Inflation. Aber da hat Europa Glück im
Unglück: Wenn niemand investiert, wächst das Kreditvolumen nicht. So
bleibt es beim Handel mit Anleihen in den stillen Gewässern der
Banken, Versicherungen und Pensionsfonds. Da dringt vorerst kein Geld
nach außen, das sich unkontrolliert vermehren könnte. Und wenn Draghi
seine Linie beibehält, macht nicht er sich von der Politik abhängig,
sondern eher umgekehrt: Letztlich war es die EZB, die Berlusconi von
Italiens Thron gestoßen hat. So geben Merkel und Draghi einen Pfad
vor, der ein Ziel haben könnte: Wo die Gefahr wächst, wächst Europa
auch.
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Die Presse
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Tel.: (01) 514 14-445
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