Börsen-Zeitung: Affentheater, Kommentar zu Siemens von Michael Flämig
Frankfurt (ots) - Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich um ein
deutsches Unternehmen sorgt, dann müssen die Alarmlampen aufleuchten.
Nicht weil entsprechende Verlautbarungen aus Berlin irgendeine
ökonomische Aussagekraft hätten. Vielmehr ist eine Merkel-Wortmeldung
in der Regel ein Indiz dafür, dass die Ereignisse und ihre
öffentliche Rezeption jede vernünftige Dimension gesprengt haben.
Diese Feststellung gilt auch für Siemens. Prägnanter formuliert: Der
Machtkampf, der in München tobt, ist in ein Affentheater ausgeartet.
Je schneller dieses unwürdige Schauspiel endet, umso besser.
In dem Umfeld galoppierenden Wahnsinns mag es hilfreich sein, erst
einmal Selbstverständlichkeiten festzuhalten. An oberster Stelle
steht dabei: Siemens ist nicht von der Pleite bedroht. Den Eindruck
einer gravierenden Schieflage des Unternehmens nämlich mag man
gewinnen, wenn man die gegenwärtige Aufregung rund um Siemens
beobachtet. Dabei steuert der Konzern im laufenden Geschäftsjahr -
sofern nun nicht die Chance für Bereinigungen im Zahlenwerk genutzt
wird - auf einen Gewinn von rund 4 Mrd. Euro zu. In den Jahren 2001
bis 2006 hätte sich das damalige Management dafür feiern lassen, wenn
eine Marke in dieser Größenordnung erreicht worden wäre. Es gilt
also: Die heutige Siemens ist im Kern gesund.
Als weitere Selbstverständlichkeit - die zugegebenermaßen so
selbstverständlich leider nicht ist - sollte gelten: Das Wohl des
Unternehmens, seiner Beschäftigten und Aktionäre sowie damit indirekt
auch der deutschen Wirtschaft hat Priorität vor individuellen
Eitelkeiten agierender Personen.
Natürlich sind Ränkespiele, Machtproben und Umstürze erlaubt -
aber nur, wenn dabei der Kampf um den richtigen Weg für ein
Unternehmen an erster Stelle steht. Sie dürfen kein Selbstzweck sein
und schon gar nicht ausschließlich deswegen betrieben werden, weil
Person X die Person Y beerben will. Wie präsentiert sich das
Schlachtfeld rund um Siemens aus dieser Perspektive?
Kaiser ohne Kleider
Die Ausgangsfrage aller aktuellen Entwicklungen lautete: Was tun,
wenn der Kaiser nackt vor seinem Volke steht? Im Märchen findet sich
ein Kind, das die Wahrheit ausspricht. In modernen
Aktiengesellschaften hält jeder wohlweislich den Mund, vor allem weil
er um seine Karriere fürchtet. Vorstandsvorsitzende sind häufig
sakrosankt. Diese Verhaltensweise war in den vergangenen zwölf
Monaten auch bei Siemens zu beobachten. Viele Akteure in der Zentrale
am Wittelsbacher Platz erkannten, dass Vorstandsvorsitzender Peter
Löscher nicht das Format für die spezifischen Herausforderungen bei
Siemens in der aktuellen Situation besitzt und auch daran scheitert,
sich diese Größe anzueignen. Doch wer, bitte, sollte die bittere
Wahrheit formulieren? An dieser Stelle kommt Finanzvorstand Joe
Kaeser ins Spiel. Natürlich wusste er genau, was er tat, als er vor
den Zahlen zum dritten Quartal auf die sonst immer übliche Guidance
der Öffentlichkeit per Investorentag oder Zeitungsinterview
verzichtete. Das Ausbleiben der vorherigen Einstimmung des Marktes
erst ermöglichte es, die Gewinnwarnung für 2014 als Bombe platzen zu
lassen.
Natürlich war dem Finanzmarktfuchs klar, was es bedeutet, eine
derartige Meldung ohne informelle Zusatzerklärungen der IR-Abteilung
und auch noch während des Börsenhandels zu veröffentlichen. Natürlich
auch: Kaeser wusste seit längerem, dass am Donnerstag dieser Woche
nicht die Quartalszahlen das Hauptthema sein würden. Und an letzter
Stelle: Der Finanzvorstand dürfte sich natürlich mit anderen Akteuren
abgestimmt und Sachzwänge wie etwa zur Veröffentlichung der
Gewinnwarnung erzeugt haben.
Rückzug auf Zeit
Man mag sich über derartige Taktiken empören. Aber Kinder
offenbaren eben nur im Märchen die Blößen von Kaisern. Wichtiger ist,
dass der Finanzvorstand nicht nach Sonnenkönigtum strebt, sondern als
Macher den Konzern voranbringen will. Der Beifall des Kapitalmarktes
zeigt, dass Siemens - sollte der Finanzvorstand nicht noch auf den
letzten Metern straucheln - den richtigen Mann gefunden hat. Ins neue
Amt bringt Kaeser die Hypothek mit, dass er mitverantwortlich
zeichnet für manche Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Umso
wichtiger ist es, dass er schon im Herbst beweist: In Stil und Inhalt
weht ein neuer Wind bei Siemens.
So weit, so ansatzweise geordnet. Der Machtkampf hätte damit am
Samstag sein Ende haben können mit einer Empfehlung des
Aufsichtsratspräsidiums: Löscher weg, Kaeser her. Die Sitzungen der
Anteilseigner- und Arbeitnehmerbänke am Samstag hätten eine
Festlegung auf diese Position ermöglicht, ohne der Sitzung am
Mittwoch ungebührlich vorzugreifen.
Stattdessen hängt die Causa in der Luft. Der Kern des Problems: Im
Aufsichtsrat will der stellvertretende Vorsitzende Joe Ackermann
gerne Aufsichtsratschef Gerhard Cromme beerben, doch dieser will
nicht seine letzte Machtbasis einbüßen - kurz: Es geht kreuz und
quer, auf beiden Seiten aus machttaktischen Erwägungen. Die Corporate
Governance bleibt auf der Strecke.
Dieses Affentheater muss ein Ende haben. Für einen kompletten
Neustart mit frischem Vorstands- und Aufsichtsratschef zugleich ist
es der falsche Zeitpunkt. Zu groß ist das Durcheinander. Für Cromme
gilt aber: Der Niedergang bei ThyssenKrupp und die Chaostage bei
Siemens zeigen, dass er seinen Aufgaben nicht gerecht wird. Er muss
nun intern klare Nachfolgeoptionen präsentieren und sich auf einen
Abschied zur Hauptversammlung 2014 vorbereiten.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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Frankfurt (ots) - Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel sich um ein
deutsches Unternehmen sorgt, dann müssen die Alarmlampen aufleuchten.
Nicht weil entsprechende Verlautbarungen aus Berlin irgendeine
ökonomische Aussagekraft hätten. Vielmehr ist eine Merkel-Wortmeldung
in der Regel ein Indiz dafür, dass die Ereignisse und ihre
öffentliche Rezeption jede vernünftige Dimension gesprengt haben.
Diese Feststellung gilt auch für Siemens. Prägnanter formuliert: Der
Machtkampf, der in München tobt, ist in ein Affentheater ausgeartet.
Je schneller dieses unwürdige Schauspiel endet, umso besser.
In dem Umfeld galoppierenden Wahnsinns mag es hilfreich sein, erst
einmal Selbstverständlichkeiten festzuhalten. An oberster Stelle
steht dabei: Siemens ist nicht von der Pleite bedroht. Den Eindruck
einer gravierenden Schieflage des Unternehmens nämlich mag man
gewinnen, wenn man die gegenwärtige Aufregung rund um Siemens
beobachtet. Dabei steuert der Konzern im laufenden Geschäftsjahr -
sofern nun nicht die Chance für Bereinigungen im Zahlenwerk genutzt
wird - auf einen Gewinn von rund 4 Mrd. Euro zu. In den Jahren 2001
bis 2006 hätte sich das damalige Management dafür feiern lassen, wenn
eine Marke in dieser Größenordnung erreicht worden wäre. Es gilt
also: Die heutige Siemens ist im Kern gesund.
Als weitere Selbstverständlichkeit - die zugegebenermaßen so
selbstverständlich leider nicht ist - sollte gelten: Das Wohl des
Unternehmens, seiner Beschäftigten und Aktionäre sowie damit indirekt
auch der deutschen Wirtschaft hat Priorität vor individuellen
Eitelkeiten agierender Personen.
Natürlich sind Ränkespiele, Machtproben und Umstürze erlaubt -
aber nur, wenn dabei der Kampf um den richtigen Weg für ein
Unternehmen an erster Stelle steht. Sie dürfen kein Selbstzweck sein
und schon gar nicht ausschließlich deswegen betrieben werden, weil
Person X die Person Y beerben will. Wie präsentiert sich das
Schlachtfeld rund um Siemens aus dieser Perspektive?
Kaiser ohne Kleider
Die Ausgangsfrage aller aktuellen Entwicklungen lautete: Was tun,
wenn der Kaiser nackt vor seinem Volke steht? Im Märchen findet sich
ein Kind, das die Wahrheit ausspricht. In modernen
Aktiengesellschaften hält jeder wohlweislich den Mund, vor allem weil
er um seine Karriere fürchtet. Vorstandsvorsitzende sind häufig
sakrosankt. Diese Verhaltensweise war in den vergangenen zwölf
Monaten auch bei Siemens zu beobachten. Viele Akteure in der Zentrale
am Wittelsbacher Platz erkannten, dass Vorstandsvorsitzender Peter
Löscher nicht das Format für die spezifischen Herausforderungen bei
Siemens in der aktuellen Situation besitzt und auch daran scheitert,
sich diese Größe anzueignen. Doch wer, bitte, sollte die bittere
Wahrheit formulieren? An dieser Stelle kommt Finanzvorstand Joe
Kaeser ins Spiel. Natürlich wusste er genau, was er tat, als er vor
den Zahlen zum dritten Quartal auf die sonst immer übliche Guidance
der Öffentlichkeit per Investorentag oder Zeitungsinterview
verzichtete. Das Ausbleiben der vorherigen Einstimmung des Marktes
erst ermöglichte es, die Gewinnwarnung für 2014 als Bombe platzen zu
lassen.
Natürlich war dem Finanzmarktfuchs klar, was es bedeutet, eine
derartige Meldung ohne informelle Zusatzerklärungen der IR-Abteilung
und auch noch während des Börsenhandels zu veröffentlichen. Natürlich
auch: Kaeser wusste seit längerem, dass am Donnerstag dieser Woche
nicht die Quartalszahlen das Hauptthema sein würden. Und an letzter
Stelle: Der Finanzvorstand dürfte sich natürlich mit anderen Akteuren
abgestimmt und Sachzwänge wie etwa zur Veröffentlichung der
Gewinnwarnung erzeugt haben.
Rückzug auf Zeit
Man mag sich über derartige Taktiken empören. Aber Kinder
offenbaren eben nur im Märchen die Blößen von Kaisern. Wichtiger ist,
dass der Finanzvorstand nicht nach Sonnenkönigtum strebt, sondern als
Macher den Konzern voranbringen will. Der Beifall des Kapitalmarktes
zeigt, dass Siemens - sollte der Finanzvorstand nicht noch auf den
letzten Metern straucheln - den richtigen Mann gefunden hat. Ins neue
Amt bringt Kaeser die Hypothek mit, dass er mitverantwortlich
zeichnet für manche Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Umso
wichtiger ist es, dass er schon im Herbst beweist: In Stil und Inhalt
weht ein neuer Wind bei Siemens.
So weit, so ansatzweise geordnet. Der Machtkampf hätte damit am
Samstag sein Ende haben können mit einer Empfehlung des
Aufsichtsratspräsidiums: Löscher weg, Kaeser her. Die Sitzungen der
Anteilseigner- und Arbeitnehmerbänke am Samstag hätten eine
Festlegung auf diese Position ermöglicht, ohne der Sitzung am
Mittwoch ungebührlich vorzugreifen.
Stattdessen hängt die Causa in der Luft. Der Kern des Problems: Im
Aufsichtsrat will der stellvertretende Vorsitzende Joe Ackermann
gerne Aufsichtsratschef Gerhard Cromme beerben, doch dieser will
nicht seine letzte Machtbasis einbüßen - kurz: Es geht kreuz und
quer, auf beiden Seiten aus machttaktischen Erwägungen. Die Corporate
Governance bleibt auf der Strecke.
Dieses Affentheater muss ein Ende haben. Für einen kompletten
Neustart mit frischem Vorstands- und Aufsichtsratschef zugleich ist
es der falsche Zeitpunkt. Zu groß ist das Durcheinander. Für Cromme
gilt aber: Der Niedergang bei ThyssenKrupp und die Chaostage bei
Siemens zeigen, dass er seinen Aufgaben nicht gerecht wird. Er muss
nun intern klare Nachfolgeoptionen präsentieren und sich auf einen
Abschied zur Hauptversammlung 2014 vorbereiten.
Originaltext: Börsen-Zeitung
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