WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der designierte neue Volkswagen (ETR:VOWG) -Chef Oliver Blume wird sich angesichts der Herausforderungen der kommenden Jahre kaum eine lange Eingewöhnungsphase in Wolfsburg gönnen können. Sein noch amtierender Vorgänger Herbert Diess hat viel auf den Weg gebracht und den Konzern aufgerüttelt, doch vollenden muss es nun der Porsche-Chef. Er steht damit vor dem geplanten Börsengang der Sportwagentochter unter doppelter Beobachtung kritischer Investoren. An diesem Donnerstag (28. Juli) legt der VW -Konzern die Zahlen zum zweiten Quartal vor.
DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:
Dass der bisherige Konzernchef Diess nicht unumstritten war, war an den teils öffentlich ausgetragenen Streits der vergangenen Jahre abzulesen. Zu Ende bringen kann der Manager seine offensiv angelegte Elektrostrategie also nicht, genauso wenig wie den Schwenk hin zum softwarezentrierten Auto. Diess hat es bisher nicht geschafft, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen, woran er letztlich neben seinem Führungsstil wohl auch scheiterte.
So wird es wohl Blumes Aufgabe, die Softwarestrategie auf zielführende Beine zu stellen. Was aus dem Porsche-Umgang mit dem Thema klar ist: Die Marken werden wohl mehr zur Entwicklung der Software beisteuern, als Diess geplant hatte. Was aus der mit Milliarden hochgezüchteten Software-Zentraltochter Cariad wird, steht damit auch wieder auf wackligen Füßen.
Die Zahlen selbst dürften mit dem Wechsel an der Führungsspitze etwas in den Hintergrund rücken - doch Anleger werden genau beobachten, ob sich die Reihe starker Quartalszahlen dem Ende zuneigt. VW profitiert vor allem mit den Töchtern Audi und Porsche (ETR:PSHG_p) vom starken Preisumfeld bei Neuwagen, daneben kommen dem Konzern auch die Gebrauchtwagenpreise bei Restwerten und dem Wiederverkauf von Leasingrückläufern zugute.
Allerdings erzählen die Verkaufszahlen zunächst eine ganz andere Geschichte: Chipmangel und Lockdowns in China ließen die Auslieferungen weltweit im zweiten Quartal um fast ein Viertel auf knapp 2 Millionen Fahrzeuge abrutschen. Ein Lichtblick könnten die Zahlen für Juni sein, als es nur noch ein Minus von rund 6 Prozent war, in China ging es bereits deutlich nach oben. Auf das Jahr gesehen peilt der VW-Konzern bis dato ein Plus von 5 bis 10 Prozent an gegenüber dem Vorjahreswert von 8,9 Millionen Fahrzeugen.
Die Versorgung mit knappen Chips soll sich im zweiten Halbjahr verbessern. Beim Umsatz rechnet Finanzchef Arno Antlitz mit einem Plus von 8 bis 13 Prozent auf etwa 270 bis 283 Milliarden Euro. Die um Sondereinflüsse aus der Dieselaffäre bereinigte Marge vor Zinsen und Steuern soll sich auf 7 bis 8,5 Prozent belaufen, nach 8 Prozent im Vorjahr.
Interessant bleiben für die Investoren auch alle Infohappen zum angedachten Börsengang der Sportwagentochter Porsche im vierten Quartal. Zuletzt machten Blume und Porsche-Finanzchef Lutz Meschke auf einer Investorenveranstaltung Stimmung für eine mögliche Notierung, indem sie in der langen Frist operative Margen von 20 Prozent in Aussicht stellten. Weitere Fantasie könnte die Ankündigung eines möglichen Börsengangs der VW-Batteriesparte auslösen. Allerdings ist die Batteriestrategie mit milliardenschweren eigenen Zellfabriken vorwiegend unter Diess entstanden. Wie Blume das Geschäft mittelfristig sieht, dürfte daher ebenfalls von Interesse sein.
DAS SAGEN ANALYSTEN:
Nach dem angekündigten Führungswechsel kam schon früh erste Kritik aus dem Kapitalmarkt. Die Experten des US-Analysehauses Bernstein Research störten sich vor allem an der geplanten Doppelrolle vom heutigen Porsche-Chef und künftigen VW-Konzernvorstandschef Oliver Blume nach dem Abgang von Herbert Diess an der Führungsspitze. "Volkswagen macht eine schlechte Situation in der Unternehmensführung noch schlimmer", schrieb Analyst Daniel Roeska.
Seiner Ansicht nach ist es der falsche Zeitpunkt für eine Neubesetzung, während der Konzern auf ein herausforderndes Jahr 2023 zusteuert. Außerdem sei es keine gute Idee, dass der designierte neue VW-Chef auch bei der Sportwagentochter Porsche AG am Ruder bleiben solle. Denn beide Organisationen bräuchten in den kommenden Monaten eine klare und präsente Führung. Die Überlappungen bei den Unternehmensführungen zwischen VW, dem Autobauer Porsche AG und der Holding Porsche SE gehörten rund um den geplanten Börsengang der Porsche AG ohnehin schon zu den größten Investorensorgen.
Experte Tom Narayan von der kanadischen Bank RBC sprach davon, dass der Schritt ein Schlaglicht auf die Probleme der Unternehmensführung bei VW werfe - dabei habe sich VW in den vergangenen Jahren viel Arbeit gemacht, um sein Image zu reparieren. Narayan sah die Strategie von VW, vor allem in Sachen Elektrifizierung, aber nach wie vor intakt. Auch sein Kollege Patrick Hummel von der UBS (SIX:UBSG) sieht wenig Risiko für bedeutende Strategiekehrtwenden.
Die seit den Zahlen zum ersten Quartal von dpa-AFX erfassten Analysten zeichnen ein deutliches Bild: 15 von 20 empfehlen den Kauf der Papiere, drei das Halten und zwei den Verkauf oder das Untergewichten der Position im Depot. Das durchschnittliche Kursziel liegt bei 215 Euro, rund zwei Drittel über dem aktuellen Kurs der im Dax notierten Vorzugsaktie.
DAS MACHT DIE AKTIE:
Das Vorzugspapier ist mit den sich verdüsternden wirtschaftlichen Aussichten rund um den Ukraine-Krieg im März mit dem Markt deutlich gefallen. Von um die 180 Euro zuvor ging es bis auf 120 Euro im Juli bergab. Davon hat sich der Kurs bis heute bei um die 130 Euro kaum erholen können. In diesem Jahr stehen somit gut ein Viertel Kursverlust zu Buche - mehr als bei den Konkurrenten von BMW (ETR:BMWG) und Mercedes -Benz.
Weit entfernt sind die hochfliegenden Notierungen von teils über 250 Euro aus dem Frühjahr 2021. Damals hatten Spekulationen über einen Börsengang von Porsche und die erhöhte Schlagzahl von Diess bei Elektroautos und Batterien die Fantasie der Investoren genährt. Die Stammaktie zog sogar noch kräftiger an. Zeitweise war Volkswagen damit bei der Börsenkapitalisierung zum wertvollsten deutschen Konzern aufgestiegen. Auch die mittlerweile ebenfalls im Dax notierte Dachgesellschaft Porsche Automobil Holding SE der Eigentümerfamilien Porsche und Piëch konnte damals beim Aktienkurs von der Hausse profitieren.
Ob sich die Kursziele der Analysten verwirklichen lassen, hängt von einer Reihe Faktoren ab: Zum einen der bisher holprig verlaufene Hochlauf der Elektrooffensive im wichtigsten Einzelmarkt China, in dem VW bisher Marktführer im Pkw-Markt ist, aber von Newcomern angegriffen wird. In Europa droht Tesla (NASDAQ:TSLA) dem Konzern bei Elektroautos immer mehr Wasser abzugraben. Die eher langfristigen Probleme mit der Software lasten obendrein auf der Investorenstimmung.
VW ist an der Börse aktuell rund 92 Milliarden Euro wert. Selbst zusammen mit Mercedes-Benz (ETR:MBGn) (58 Mrd Euro) und BMW (51 Mrd Euro) kommen die deutschen Hersteller damit nur auf knapp ein Viertel dessen, was der US-Elektroautopionier Tesla von Star-Unternehmer Elon Musk wert ist, der 841 Milliarden Dollar oder umgerechnet 823 Milliarden Euro auf die Waage bringt.