von Wolfgang Müller
Das war eine heftige Woche für die Aktienmärkte und ihren „Leitwolf“, den S&P 500: Nach einem goldenen Oktober an den Aktienmärkten gab es in der ersten Novemberwoche einen heftigen Wetterwechsel an den Börsen durch den Fed-Chef Powell persönlich, der spontan und überaus verärgert darauf reagiert hatte, dass trotz eines weiteren großen Zinsschrittes die Aktienmärkte zunächst mit einem Sprung nach oben antworteten.
Aus den Worten Jerome Powells zu Fragen in seiner Pressekonferenz wurde deutlich erkennbar: Eine erneute Bärenmarktrally 5.0 des Jahres 2022 mit einem Anstieg des S&P 500 über die 4000-Punkte-Marke würde die Absicht der Fed konterkarieren die Nachfrage des US-Verbrauchers zu dämpfen, als zentralen Schritt zur Bekämpfung der Inflation. Weil es in den letzten Tagen sehr viele wirtschaftliche Präsenzindikatoren gab, die (immer noch) auf eine überaus resiliente US-Wirtschaft hindeuteten.
Schon erstaunlich, damit nahm Fed-Chef Powell auch keine Rücksicht auf die unmittelbar bevorstehenden Midterm Elections. Keine Unterstützung für die regierenden Demokraten im Land der Aktionäre, die ein „Annus horribilis“ erleben müssen, in einem parallelen Absturz von Aktien- und Anleihekursen. Aber die Zeichen für eine heftige zukünftige Abkühlung der Konjunktur mehren sich, die Märkte werden nicht locker lassen, da man weiß, dass die Fed keine stärkere Rezession zulassen wird. Die Achillesferse der US-Wirtschaft ist eben der Konsum und der Arbeitsmarkt. In den USA gibt es keine Sozialversicherung wie in „Good Old Europe“, bei einem stärkerem Anstieg der Arbeitslosigkeit wäre es rasch vorbei mit der Konsumlust der Amerikaner. Und eine nochmalige Phase opulenten Helikoptergeldes in den USA ist schlichtweg nicht mehr finanzierbar. Ein Rennen zwischen Hase und Igel, zwischen Notenbank und den Aktienmärkten, somit ist eine Jahresendrally trotz einer hawkishen Fed nicht vom Tisch.
S&P 500: Nach einer kühlen Dusche zu Monatsbeginn
Die Korrektur an den Aktienmärkten in den ersten Novembertagen konnte eigentlich niemanden überraschen. Nach einem so überragenden Oktober, der dem Dow Jones ein Plus von 14 Prozent und den besten Monat seit 1976 einbrachte. Oder dem marktbreiten S&P 500 einen Zuwachs von etwa neun Prozent. Ziemlich normale Gewinnmitnahmen, aber auch eine Fed, die von dieser Entwicklung nicht allzu glücklich gewesen sein dürfte. Ein richtiger Spagat für Fed-Chef Powell, um nicht zu „dovish“ zu werden und dann eine Rally auszulösen, die den großen Index rasch über 4000 Punkte hätte hieven können.
Vergessen wir nicht, der US-Verbraucher sitzt immer noch auf 1,7 Billionen Dollar Cash, trotz hoher Inflation und 19 Monaten an realen Einkommenseinbußen.
Die Entwicklung in der abgelaufenen Woche führte den Leitindex zurück in den Bärenmarkt, minus 21,4 Prozent gegenüber dem Jahresanfang:
Der Freitag brachte noch einen versöhnlichen Wochenausklang, die großen Indizes (Dow Jones, S&P 500 und Nasdaq) konnten alle um über ein Prozent zulegen. Aber die Technologiebörse Nasdaq verlor auf Wochensicht sechs Prozent an Wert, der Zinsanstieg verändert immer mehr die Bewertungsgrundlagen von Growth, Mean Reversion ist immer noch im vollen Gange.
Aber auch der Halbjahres-Chart beim S&P 500 zeigt ein wildes Auf uns Ab, Einbrüche und Rallys, aber der Index steht immer noch auf dem Niveau des Sommerbeginns. Da lagen die Leitzinsen jedoch noch 300 Basispunkte tiefer:
Der Ausverkauf von BigTech setzte sich fort
Erstaunlicherweise hält sich der große Aktienmarkt in den USA recht stabil angesichts des Ausverkaufs von BigTech, der nun schon deutlich über drei Billionen Dollar an Marktkapitalisierung der FAANG-Aktien ausradiert hat. Hatte BigTech im letzten Jahr nicht einen Anteil von 27 Prozent im S&P 500? Und aktuell? Noch etwa 20 Prozent, deutlicher könnte der Wechsel von Growth zu Value nicht dargestellt werden. Auch in der letzten Woche setzte sich der Ausverkauf von BigTech fort. Hier die Wochenentwicklung einiger Schwergewichte (3 Stunden vor Handelsschluss):
- Amazon (NASDAQ:AMZN) minus 13,6 Prozent
- Alphabet (NASDAQ:GOOGL) minus 13,5 Prozent
- Apple (NASDAQ:AAPL) minus 11 Prozent
- Meta Platforms (NASDAQ:META) minus 10,4 Prozent
- Microsoft (NASDAQ:MSFT) minus 9,2 Prozent
Aber: Technolgie ist eigentlich noch immer hochbewertet, im Vergleich zum Gesamtmarkt.
S&P 500: Ein Hin und Her nach den Arbeitsmarktdaten am Freitag
Selten war man so gespannt auf den neuesten Job Report des Bureau of Labor Statistics, weil sich die Fed sehr auf diesen nachlaufenden Indikator stützt. Die Märkte wussten den ganzen Handelstag nicht so richtig mit den Daten umzugehen, entschieden sich aber schlussendlich für die optimistische Sichtweise, die meine These von einer immer noch möglichen Jahresendrally stützt.
In Kurzform:
261.000 neu geschaffene Stellen (erwartet 200k), die Septemberzahlen von 263.000 auf 315.000 nach oben revidiert, die Stundenlöhne bei +0,4% zum Vormonat höher erwartet, und mit +4,7% zum Vorjahresmonat wie erwartet (Prognose war +0,3% zum Vormonat und +4,7% zum Vorjahresmonat, die Septemberzahlen bei +0,3% und +5,0%)
Die US-Arbeitslosenquote liegt bei 3,7% (Prognose war 3,6%, Vormonat 3,5%). Die Beteiligungsquote (participation rate) steht bei 62,2% (Vormonat 62,3%).
Aber unter der Oberfläche beginnt sich ein Wechsel des (oberflächlich) so robusten Arbeitsmarktes abzuzeichnen. Die Qualität des Stellenaufbaus verändert sich, ein Abbau bei gut bezahlten Jobs nimmt Formen an. Lance Roberts beschreibt in diesem Tweet, warum die Fed die Lage falsch einschätzen könnte:
Die von Markus Fugmann dargelegte unterschiedliche Zählweise von Arbeitsstellen und Arbeitslosen ist sicherlich eine Möglichkeit die Zahlen vor bestimmten Gelegenheiten (Wahlen) aufzuhübschen. Aber warum ist dann die Zahl der offenen Stellen so gestiegen, auf 10,71 Millionen?
Die Nöte der Federal Reserve
Das Thema wiederholt sich eigentlich von Monat zu Monat, von Fed-Sitzung zu Fed-Sitzung. Es geht um die Straffung der Financial Conditions, als „Conditio sine qua non“, um die Nachfrage in den USA zu verringern. Aber die Märkte konterkarieren dieses Ansinnen mit ständigen Bärenmarktrallys etwa beim S&P 500, die die Fed jetzt schon vier Mal in Folge mit hawkischen Pressekonferenzen zu einem Ende gebracht hat.
Deshalb auch schon vor Monaten die These: Ist Rezession der Preis für sinkende Inflation? Die Rettungspakete (zum Schutze des Konsums) haben zu einem unglaublich großen finanziellen Polster geführt, in Zeiten mangelhafter Ausgabemöglichkeiten. Aber auch die Aktienmärkte sind aus Sicht eines ganzen Zyklusses nicht so sehr gefallen. Der Wilshire 5000, die Gesamtheit der US-Aktien lag zu Jahresbeginn bei 45,7 Billionen Dollar, jetzt sind es bestimmt noch etwa 35 Billionen, also immer noch fast das Vierfache des Tiefs vom März 2009. Ergo: Bei einem starkem Aktienmarkt gibt es auf die Schnelle keinen substanziellen Rückgang im Konsum.
Mittelfristig werden sich die Zinsen auswirken, ohne Frage, wahrscheinlich sogar sehr abrupt. Der Mensch ist sehr wechselhaft in seinem Verhalten, beim Umschalten von „Himmelhoch jauchzend“ auf „Zu Tode betrübt“. Mit ein Grund dafür, warum Ökonomen so in ihren Prognosen danebenliegen (müssen). Die Fed befindet sich doch in einem Dauerdilemma. 2021 hatte man die Inflation als vorübergehend qualifiziert und sogar noch vor sechs Monaten schloss Fed-Chef Powell einen großen Zinsschritt von 75 Basispunkten aus – anschließend gab es vier Anhebungen in dieser Größenordnung. Die Fed ist eine Getriebene der Märkte.
Die US-Notenbank brachte stets ihre Entschlossenheit bei der Bekämpfung der Inflation zum Ausdruck, die Mörkte wissen aber, dass es hierbei einen Pivot (einen Umkehrpunkt) geben wird. 94 Billionen Dollar Schulden vertragen keine Volcker-Zinsen. Ein ständiger Kampf um die Glaubwürdigkeit der US-Notenbank, fast schon wie der sprichwörtliche Kampf zwischen Hase und Igel.
Die Anzeichen für eine nachgebende Inflation
Täglich mehren sich die Signale für eine nachgebende Inflation, sich vom November bis spätestens Frühjahr 2023 verstärkend. Bereits mehrfach wurde über den Basiseffekt kommentiert, wenn die Daten auf Jahressicht (Beginn Ukraine-Krieg) verglichen werden. Hier nur noch zwei Beispiele über den Kampf der Fed gegen eine ausufernde Inflation, der eigentlich – ohne dem Auftreten neuer exogener Schocks – in der mittelfristigen Betrachtung bereits gewonnen ist. Die Frühindikation zum Consumer Price Index, die „Prices Paid“-Komponente befindet sich im Absturz:
Aber es gibt noch einen Indikator, der zeigt, wie der Druck in der Pipeline der Inflation nachlässt.
Es sind die Aussagen des Chefs der größte Containerfirma der Welt, die nahezu alles auf hoher See befördert. Von der dänischen Gesellschaft À-P. Moller-Maersk, bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen. Dieser Logistiker, seit 1996 die Nummer eins auf der Welt mit über 730 Containerriesen und 67 Terminals in 42 Ländern, beschrieb die Situation im globalen Handel wie folgt:
– Die Frachtraten befinden sich im freien Fall.
– Die Lieferkettenprobleme haben sehr stark nachgelassen und
– man sehe eine sinkende Nachfrage aufgrund der drohenden globalen Rezession
Wann leitet der Anstieg der Zinsen eine Rezession in den USA ein?
Jerome Powell musste auf seiner Pressekonferenz natürlich auch zur Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den USA Stellung beziehen, die Frage nach einem Soft Landing kam wie erwartet. „Possibility for a soft landing has narrowed, hard to say, still possible“ seine Antwort, kurzum: Er ist sich durchaus bewusst, dass der schnellste Zinsanstieg in der Geschichte der Federal Reserve zu einer Bremsung wirtschaftlichen Wachstums führen wird, deshalb auch seine etwas befremdliche Feststellung, man habe die Werkzeuge um im Falle eines „Overtightenings“ gegenzusteuern. „Es wird nicht mehr so lange dauern, bei diesem Anstieg der Kapitalmarktzinsen Mr. Powell“, die 10-jährigen US-Staatsanleihe, als Benchmark für nahezu alle Konsumentenkredite, ist in den USA skyrocketing:
Zumal sich erst recht die Immobilienkreditzinsen in immer größere Höhen bewegen, auf über sieben Prozent. Was dies an monatlicher Belastung bedeutet, wurde auf finanzmarktwelt.e bereits vielfach dargestellt.
Der US-Hausmarkt befindet sich in einer heftigen Korrektur und was gelegentlich vergessen wird: Nicht Aktien oder Anleihen sind die größte Assetklasse, nein es sind die privaten Immobilien, zumal diese in den USA auch noch als weitere Möglichkeit zur Schuldenaufnahme genutzt werden.
Was läuft eigentlich beim Dax 40?
Die Großinvestoren wenden sich von Europa und dem Dax ab, Milliarden Euro werden aus Fonds abgezogen. Wie viele US-Großinvestoren haben in den letzten Wochen und Monaten davon gesprochen, den alten Kontinent in ihren Portfolios untergewichten zu wollen?
Überall klangen und klingen hierzulande die Alarmglocken:
ZEW, Ifo-Index, Frühindikatoren, abstürzende Auftragseingänge in der Industrie, Erzeugerpreise von aktuell immer noch 41,9 Prozent, Rezessionsanzeichen und, und, und.
Und dann diese Entwicklung seit Anfang Oktober:
Der Dax konnte in den letzen fünf Wochen um 7,5 Prozent zulegen, der so empfohlene US-Aktienmarkt in Gestalt des S&P 500 gerade einmal ein Prozent. Seit seinem Tief von 11.863 Punkten im September ging es mit dem Index bereits um 13 Prozent nach oben. Obwohl sich der deutsche Leitindex mit über 50 Prozent in angelsächsischen Händen befindet, gibt es für diese Divergenz zwei kurzfristige Erklärungen.
Zum einen ist der Dax kein Abbild der deutschen Konjunktur, mit all seinen internationalen Geschäften und bei der jüngsten Quartalssaison gab es die ein oder andere positive Überraschung.
Was wiederum einige Shortseller auf dem falschen Fuß erwischt haben dürfte, erinnern wir uns an die gigantischen Wetten gegen europäische Konzerne, die Großinvestor Ray Dalio im Sommer eingegangen war.