Nachdem wichtige Indizes wie der Dow Jones oder auch der DAX zuletzt neue Rekordhochs erreicht haben, nehmen die Sorgen um eine mögliche Überbewertung zu. Die Aktienmärkte sind derzeit jedoch nicht zu teuer, vor allem angesichts der ultraniedrigen Zinsen. Eine Ausnahme sind die USA, wo der Technologiesektor knapp 28 Prozent am S&P 500-Index ausmacht. Doch auch an der Wall Street ist die Situation nicht mit der Dotcom-Blase zu Beginn dieses Jahrtausends zu vergleichen. Die Bewertung wird die Hausse sicherlich nicht beenden. Diese Rolle fällt den Zentralbanken zu.
Bis die Währungshüter ihre geldpolitischen Zügel anziehen, wird aber noch mindestens bis 2023 dauern, wie erst jüngst Fed-Chef Jerome Powell bekräftigte. In Europa wird sich dies noch viel länger hinziehen. Das monetäre Umfeld bleibt daher weiterhin sehr günstig, es ist reichlich Liquidität für die Aktienmärkte vorhanden – nicht zuletzt durch die monetäre Staatsfinanzierung. Die Zuflüsse in globale Aktien sind so hoch wie nie, zumal nun erstmals Gelder aus dem Rentenmarkt in Dividendentitel fließen.
Deutliche Konjunkturerholung im zweiten Halbjahr
Die Konjunktur zeigt unterdessen ein zweigeteiltes Bild: Während der Industriesektor in Europa sich im Aufschwung befindet, zeigt der Dienstleistungssektor wenig positive Tendenzen. Hauptgrund ist die – im Gegensatz zu den USA – sehr schleppende Impfkampagne gegen das Corona-Virus. Auf Sicht der kommenden sechs Wochen könnte es im Dienstleistungssektor kritisch werden: Die dritte Corona-Welle ist bereits da und viele europäische Staaten werden in den Lockdown zurückgehen.
Geht man davon aus, dass die Impfquoten auch in Europa steigen, ist im zweiten Halbjahr – getrieben von Nachholeffekten im Konsum – mit einem kräftigen Boom im Dienstleistungssektor zu rechnen. Dies lassen auch die hohen Sparquoten vermuten. Sind die vermögenden deutschen Rentner geimpft, werden sie die Kreuzfahrtschiffe stürmen und dies zu deutlichen Preisanstiegen führen.
Die Phase der Deflation ist dank des großen Engagements der Notenbanken definitiv vorbei. So schürten zuletzt auch steigende Rohstoffpreise (DE:OD7V) und der nachlassende Wettbewerb Inflationsängste. Gefährlich wird es aber nur, die Teuerungsrate dynamisch und nachhaltig über die Schwelle von 3 % ansteigt.
Bewertungsabschlag zwischen Value und Growth auf Rekordhoch
Die Zinskurve dürfte vor diesem Hintergrund steiler werden und dazu führen, dass sich zyklische Value-Titel Rohstoffpreise (NYSE:IVE) besser entwickeln als Wachstumswerte (NYSE:IVW). Dies liegt nicht zuletzt im Finanzsektor (NYSE:XLF) begründet, der unmittelbar von einer steigenden Zinskurve profitiert: Banken etwa können sich am kurzen Ende günstig refinanzieren und am langen Ende die Kreditzinsen erhöhen. Substanzwerte entwickeln sich grundsätzlich dann am besten, wenn die Konjunktur aus der Rezession kommt und kräftig anzieht. Der im zweiten Halbjahr zu erwartende Konjunkturboom dürfte aufgrund der immensen Nachholeffekte bis einschließlich 2022 anhalten. Für eine Outperformance der Substanzaktien spricht auch die Tatsache, dass der Bewertungsabschlag zwischen Value und Growth so hoch ist wie nie zuvor.
Während dieser Effekt im Finanzsektor aufgrund der strukturellen Probleme in diesem Bereich eher ein vorübergehendes Phänomen sein wird, dürften Goldminen wie Barrick Gold (NYSE:GOLD) im Jahresverlauf wieder ein großes Thema sein – insbesondere, wenn die Inflation steigt und der Realzins dadurch sinkt.
Die Stimmung am Markt ist aktuell von viel Optimismus geprägt und die Luft wird zunehmend dünner. 15.000 Punkte im Dax und 4000 Punkte im S&P 500-Index sind kurzfristig möglich. Danach dürften jedoch die Gesetze der Schwerkraft wirken, möglicherweise ausgelöst durch die Zinsentwicklung. Im langfristigen Durchschnitt korrigiert der DAX einmal pro Jahr um achtzehn Prozent. Dies muss zwar nicht zwangsläufig in diesem Jahr der Fall sein. Doch je höher die Märkte laufen, desto größer wird das Risiko einer heftigen Korrektur. Anleger sollten daher auf die Sentiment-Indikatoren achten, ob der Markt überhitzt und das Bremspedal im Auge behalten. Nach größeren Turbulenzen im Sommer dürften die Märkte spätestens im vierten Quartal wieder deutlich anziehen – wenn die Pandemie dann auch in Europa im Griff ist.