Die „Everything“ Rallye kommt nach Europa. Die Hausse geht in die Breite und nimmt die Small- und Mid-Caps mit.
In den vergangenen Monaten waren die Unterschiede zwischen dem DAX und dem übrigen deutschen Aktienmarkt bemerkenswert. Der deutsche Blue Chip Index folgte der Wall Street, aber die restlichen deutschen Benchmarks blieben zurück. Im 1. Quartal brach dann endlich der TecDAX aus und holt seitdem den Rückstand zum DAX langsam auf. Doch der MDAX und der SDAX traten weiterhin auf der Stelle und liefen seitwärts. Was den Abstand zum DAX nur noch stärker ausweitete. Der Mid-Cap Index liegt inzwischen rund 10.000 Punkte unter seinem Allzeithoch, während der DAX einen Rekord nach dem anderen setzt. Das Bild beginnt sich nun zu drehen:
Der Knoten in Frankfurt hat sich im März gelöst. Die beiden abgeschlagenen Benchmarks beginnen nach oben auszubrechen. Das stärkste Momentum zeigt der Small-Cap Index, der die Marke von 14.000 Punkten überwunden hat, wo sich seit einem Jahr eine Widerstandszone gebildet hatte. Der Auslöser für das steigende Interesse an den Small Caps kommt aus Amerika. Die Investoren in Deutschland lassen sich von der Rallye beim Russell 2000 Index anstecken. Der MDAX kämpft noch etwas. Die 200 Tage-Linie wurde überwunden, aber das Armdrücken zwischen Bullen und Bären ist noch nicht endgültig entschieden. Der Mid-Cap Index hat aber sehr gute Chancen, dem restlichen Markt folgen zu können.
Bekommen wir einen Super-Juni?
Der wichtigste Katalysator hinter dieser Rallye ist die steigende Erwartung, dass wir einen Super-Juni bekommen. In Zürich hat die SNB bereits vorgelegt und die Zinsen im Franken im März von 1,75 % auf 1,50 % p. a. gesenkt. Womit die Schweiz agiert und nicht reagiert, denn die Inflation wird aus Sicht der Schweizerischen Nationalbank schnell zu sinken beginnen. Im Hinblick auf die Jahre 2025 / 26 steht in Zürich inzwischen schon wieder das Thema Deflation im Vordergrund. Zwischen den Zeilen ließ man durchblicken, dass die SNB mittel- bis langfristig das Risiko wieder in fallenden Preisen sieht. Davon sind die Peers natürlich noch weit entfernt, abgesehen von der Bank of Japan.
Alle wichtigen Notenbanken haben bereits im März verbal Zinssenkungen vorbereitet. Dazu zählt die Bank of Canada, die Bank of England, die Europäische Zentralbank und die Federal Reserve, die alle mehr oder weniger deutlich signalisierten, dass die Tür für eine Zinssenkung geöffnet wurde. Dies sehen wir immer dann, wenn die Börse auf eine bevorstehende Zinsveränderung vorbereitet werden soll, die innerhalb weniger Monate dann auch umgesetzt wird. Oder anders gesagt: An der Börse wird jetzt darauf spekuliert, dass das Zinsniveau im Euro, im Kanada-Dollar, im englischen Pfund und im US-Dollar im Juni parallel gesenkt wird. Unter Umständen auch noch im Franken.
Momentum ist bullish
Grundsätzlich bedeuten sinkende Zinsen, dass mit einer Ausweitung der Bewertungen gerechnet werden kann. Das gilt zum einen für den Anleihemarkt und zum anderen für den Aktienmarkt. Im Markt für Staats- und Unternehmensanleihen sind die großen Kapitalsammelstellen bereits aktiv und kaufen sich am kurzen Ende ein. Bei Anleihen mit Restlaufzeiten von bis zu zwei Jahren und guten bis sehr guten Bonitäten ist das Risiko gering, aber die Rendite sehr attraktiv.
Den größten Gewinn aus einer breiten Zinssenkungswelle in mehreren Währungen ziehen aber die Aktienmärkte. Denn die Upside der Aktien kennt theoretisch keine Grenzen. Hinzu kommt, dass immer noch viele Anleger an der Seitenlinie im Bargeld warten, weil sie der Rallye nicht trauen. Vor dem Hintergrund der schwachen Konjunktur, insbesondere in Deutschland, ist das verständlich. Aber die Börse ist halt kein Abbild der Realwirtschaft und kann sich über sehr lange Zeiträume von deren Entwicklung abkoppeln. Länger als die meisten Bären solvent sind.
Mikey Fritz
Chefredakteur Zürcher Finanzbrief