Gestern konnte der DAX mit einem Hoch bei 10.013 die 10.000-Punkte-Marke überwinden – allerdings vorerst nur kurz.
Da wird doch heute eine Flasche guter Wein fällig. Sie erinnern sich vielleicht noch an die Prognose im Jahr 2009, als die (Börsen-)Welt unterzugehen schien. Damals prognostizierte ich – kurz nachdem sich die Tiefs ausgebildet hatten: Der DAX steigt auf 10.000 Punkte. Ich erinnere mich auf jeden Fall noch gut an die vielen bösen Mails, die ich damals erhielt, und die mich als offenkundig verrückt betitelten. Und ich erinnere mich daran, dass ich mir damals sagte. „Wenn diese Prognose aufgeht, dann köpfst du einen guten Wein!“ Denn um ehrlich zu sein, kann ich nicht leugnen, dass auch mir im 2008er Crash zuweilen richtig mulmig wurde und ich mich immer wieder sehr darauf konzentrieren musste, mich nicht allzu sehr von der Massenpanik anstecken zu lassen. Ganz gelungen ist auch mir das nicht…
EZB liefert in den Erwartungen
Hintergrund des Anstiegs ist, dass EZB eine Reihe von Maßnahmen bekannt gegeben hat, um den deflationären Tendenzen in der EU entgegen zu wirken. Allerdings wurden diese Maßnahmen weitestgehend so erwartet. So soll die Wirtschaft mit neuen Krediten im Volumen von 400 Mrd. Euro unterstützt werden. Dabei versucht die EZB über weitere Regularien zu gewährleisten, dass die Banken das Geld auch wirklich der Wirtschaft zur Verfügung stellen.
Der Hauptrefinanzierungssatz wurde von 0,25 auf jetzt 0,15 Prozent reduziert. Nach Aussagen der EZB ist damit die Zinsuntergrenze erreicht. Das bedeutet, es wird keine weiteren Zinssenkungen mehr geben. Diese Aussage wird auch der Grund gewesen sein, warum EZB-Chef Mario Draghi ankündigte, die Vorbereitung für ein Kaufprogramm von besicherten Wertpapieren (Asset-backed Securities, ABS) zu forcieren. Dies wiederum wird von den Analysten als Vorankündigung einer „Quantitativen Lockerung“ (Quantitative Easing, QE) verstanden. Unter der Quantitativen Lockerung versteht man den Ankauf von Anleihen durch die Zentralbank. Es ist eine Möglichkeit selbst dann, wenn die Zinsen nahe oder gleich Null notieren, die ohnehin schon expansive Geldpolitik noch auszuweiten.
Wie gesagt, die Maßnahmen wurden in etwa so erwartet und so kam es im DAX nach dem kurzen Anstieg über die 10.000er Marke zu den typischen Gewinnmitnahmen: Sell on good news. Nun wird es drauf ankommen, worauf die Anleger jetzt setzen.
Deflation, "ick hör dir trapsen"
Und dabei könnte folgende Information von Bedeutung sein: Die EZB rechnet zurzeit damit, dass die Inflation in den kommenden Jahren noch niedriger ausfallen wird, als bisher von ihr selbst angenommen wurde. Kurz: Die EZB sorgt sich um Deflationsgefahren. Das ist weniger erfreulich.
Das Problem für den Markt
Damit sind wir bei der wohl wichtigsten Frage der kommenden Monate – vielleicht Jahre: Kann die EZB eine sich festsetzende Deflation im Euroraum verhindern? Diese Frage ist gerade auch für die Börsianer von höchster Bedeutung. Nimmt man das Vorbild Japan für den erfolglosen Kampf gegen Deflation seit 1990 und schaut sich die Entwicklung des Nikkeis seit damals an, ist zu erkennen, dass deflationäre Phasen nicht gut für die Börsen sind.
Seit dem Hoch im Jahr 1990 und dem folgenden Immobiliencrash, in dessen Folge wiederum deflationäre Tendenzen einsetzten, haben sich im Nikkei unter hoher und zunehmender Volatilität immer tiefere Tiefs ausgebildet. Deflation scheint also nicht gut für die Märkte zu sein. Gleichzeitig drängt sich die Frage auf, ob Deflation überhaupt so einfach zu bekämpfen ist, schließlich hat auch Japan alles versucht. Und so entsteht das Bild, dass Deflation für die Börsen gefährlich ist.
Eine Weltwirtschaftskrise stört den klaren Blick
Aber man muss auf der anderen Seite auch vorsichtig mit diesem Vergleich sein. Es ist schwer zu beurteilen, ob Japan vielleicht nach dem Jahr 2000, also immerhin 10 Jahre nach dem Immobilien- und Aktiencrash, eine Chance gehabt hätte, aus dieser Deflationskrise herauszufinden. Denn zu diesem Zeitpunkt startet in der Weltwirtschaft und an den Leitbörsen in den USA eine lang anhaltende Krisenzeit. Und so ist das Japan-Bild sicherlich verzerrt.
Leider gibt es keine anderen historischen Vergleichsmöglichkeiten, so dass die Datenlage einfach zu gering ist, um mögliche Prognosen für den Euro-Raum abzuleiten. Zumal, wie gesagt, noch gar nicht sicher ist, ob die EZB die Deflation nicht doch in den Griff kriegt.
Bis dahin
Und so kann es sein, dass die Märkte aufgrund der höchst expansiven Geldpolitik weiter unterstützt bleiben. Insbesondere die Hoffnung auf QE könnte sie noch eine Weile antreiben. Ein wichtiger Faktor in diesem ganzen Spiel wird der Euro sein – doch dazu morgen mehr.
Jochen Steffens