Am Donnerstag hatte ich geschrieben, dass ich den Markt derzeit sehr widersprüchlich finde. Und dabei hatte ich Sie ermuntert, mir Ihren Eindruck vom aktuellen Kursgeschehen zu schildern. Denn ein solcher Gedankenaustausch kann Impulse für das Marktverständnis liefern. Und ich erhielt interessante E-Mails.
Plausible Erklärungen für die plötzlichen Richtungswechsel
So verwies ein Leser vor dem Hintergrund des jüngsten Aufs und Abs und der plötzlichen Richtungswechsel der Märkte auf „HFT-Computer“ – also das High-Frequency-Trading bzw. den Hochfrequenzhandel – welche „entgegen dem allgemeinen Sentiment“ traden. „Und dann ist da natürlich noch das Windowdressing, nehme ich an. Aktien nochmals schnell hochzupeitschen, bevor man die Bücher schließt“, so der Leser weiter.
Gerade beim Sentiment hat es jüngst sehr schnelle Wechsel gegeben. Mitunter drehte sich die Stimmung binnen weniger Tage um 180 Grad, wenn man Indikatoren wie z. B. den ‚Fear & Greed Index‘ betrachtet.
Eine gefährliche Gemengelage
Zudem schrieb mir eine Leserin, für sie sehe es danach aus, „dass große Adressen vorsichtig, aber konsequent verkaufen und zwischendurch wieder Aktien pushen, von denen sie noch zu viel haben“. Zumal „man eigentlich davon ausgehen kann, dass Pleiten sowohl in China als auch in der Türkei auch Folgen für unseren Aktienmarkt haben werden“, so die Leserin. Für sie sehe daher „die ganze Sache gefährlich aus“. Dies auch vor dem Hintergrund, dass man nicht wisse, was Putin und Corona noch anrichten könnten.
DAX-Kursziel 13.500 Punkte
Die Leserin führte weiter aus: Sollten die Aktienkurse wieder anfangen, heftig zu fallen und Stop-Loss Marken zu durchbrechen, so wäre für sie im DAX zunächst die Marke von 13.500 Punkten ein Ziel. Ihre bestehenden Positionen würde sie in Falle einer solchen Korrektur aber nicht anrühren, weil Aktien in der aktuellen Lage alternativlos sind, ihre Watchlist sei aber gut gefüllt und sie habe noch „genügend Pulver“.
Ausstieg institutioneller Anleger am Top?
Ich teile die Meinung, wonach es Hinweise dafür gibt, dass institutionelle Investoren vorsichtig aus dem Markt aussteigen. Dies hatte ich auch bereits in der Börse-Intern erwähnt. Und wahrscheinlich gibt es dabei inzwischen auch einige Investoren, die aufgrund der Entwicklungen in China (Immobilienkrise) und der Türkei (Währungskrise) Positionen abbauen. Und natürlich wird auch in diesem Jahr wieder das typische Windowdressing zum Jahresende eine wichtige Rolle spielen.
Zudem gilt es zu bedenken, dass kurzzeitiges Pushen von Aktien, um damit neue Käufer anzulocken, denen man dann die eigenen Anteile verkaufen kann, ein gängiges Verhalten an Tops sein soll. Dieses Vorgehen kann also auch ein Grund für die aktuellen wilden Richtungswechsel und Kurssprünge sein. Und ich sehe jüngst Tendenzen von Topbildungen in den US-Indizes.
DAX: 13.500 Punkte
Setzen sich diese fort, erscheint mir ebenfalls ein Kursrückgang im DAX auf 13.500 Punkte vorstellbar. Das wären vom vorgestrigen Niveau etwas weniger als 13 %. Und wenn man sich die Kursbewegung in den USA in den vergangenen Monaten ansieht, wäre auch dort eine zweitstellige Korrektur jederzeit denkbar. Der DAX würde dann ohne Frage in diesen Sog mit hineingezogen.
Warten auf Schnäppchenkurse
Interessant ist, dass die Leserin an ihren bestehenden Positionen festhält und das noch trockene Pulver wohl für Schnäppchenkäufe nutzen möchte, wenn die Aktienkurse – mit einem Kursziel von 13.500 Punkten im DAX – fallen. Leser des „Börse-Intern Premium“ wissen, dass ich derzeit genau diesen Trading- bzw. Investmentansatz ebenfalls verfolge und in dem Depot des Börsenbriefs auch umsetze.
Ich hatte dazu wiederholt den Plan formuliert, bei bestehenden Positionen zweistellige Gewinne erzielen zu wollen. Wenn es aber zuvor noch einmal zu einer kräftigen Korrektur kommt, „würde ich in die fallenden Kurse weitere Long-Positionen (nach)kaufen, die dann im nächsten Aufwärtstrend möglichst hohe Gewinne einbringen“, hieß es auch im Wochenupdate vom vergangenen Donnerstag wieder.
Prozess einer möglichen Topbildung
Jedenfalls einen herzlichen Dank für Ihre Mails. Sie haben mich letztlich in dem Gedankengang bestärkt, dass wir es aktuell womöglich mit Topbildungen an den US-Märkten zu tun haben. Denn dazu passt derzeit alles recht gut zusammen. In einer solchen Entwicklung lässt die Kaufbereitschaft meist schrittweise nach. Und letztlich brechen die Kurse dann wichtige Unterstützungen, was mit dem Auslösen von Stop-Loss-Orders weitere Kursverluste nach sich zieht. Vom Ausmaß dieser Korrektur hängt dann ab, ob das Top nachhaltig ist und sogar eine Trendwende vorliegt oder sich die Kurse nach einer marktbereinigenden Korrektur letztlich wieder zu neuen Höhen aufschwingen können.
Abnehmende Kaufbereitschaft auf hohem Niveau
Zwar wurden wichtige Unterstützungen bisher noch nicht gebrochen, es zeigte sich aber jüngst wieder eine deutlich nachlassende Kaufbereitschaft. Zum Teil sehr schwachen Handelstagen folgten relativ schwache Kurserholungen, welche die vorherigen Verluste nicht mehr vollständig aufholten. Und einen klaren Anlauf Richtung neuer Rekordhochs gab es zuletzt nur noch im S&P 500 (siehe folgender Chart). Allerdings prallten die Kurse an vorherigen Hochs ab (rote horizontale Linie), was mit einem sehr starken Rücksetzer (drei tiefrote Tageskerzen in Folge) quittiert wurde. Wahrscheinlich haben hier wieder große Adressen die hohen Kurse zum Ausstieg aus ungeliebten Positionen genutzt.
Dieser Druck auf die Kurse, der immer wieder entsteht, wenn es zu dem in diesem Jahr so oft gesehenen „buy the dip“ gekommen ist, kann dazu führen, dass die „kaufe jeden Rücksetzer“-Mentalität abnimmt. Schließlich ist es für Anleger frustrierend zu beobachten, dass man nach einem Kauf zwar kurzzeitig Gewinne erzielt, sich diese aber dann schnell wieder in Luft auflösen. Also wird man beim nächsten Rücksetzer womöglich nicht mehr euphorisch einsteigen. Die Kaufbereitschaft wird also geschwächt. Und das ist häufig die Basis, mit der beim nächsten Druck auf die Kurse Unterstützungen gebrochen werden.
S&P 500 an wichtigen Unterstützungen
Kürzlich habe ich hier in der Börse-Intern ausnahmsweise einen Blick in die Chartanalyse zum Nasdaq 100 aus dem Target-Trend-Spezial gewährt. Aus gegebenem Anlass zeige ich Ihnen heute den neuen Target-Trend-Chart des S&P 500 aus der gestrigen vorbörslichen Ausgabe des Target-Trend-Spezial:
Hier zeigt sich, dass der Index im Tagestief eine wichtige (Kreuz-)Unterstützung aus der Rechteckgrenze bei 4.534 Punkten (blaue Linie), dem Hoch vom 3. September (rot) und einer Aufwärtstrendlinie (grün) knapp verteidigt hat. Wird dieses Unterstützungsbündel im nächsten Anlauf unterschritten und geraten die Kurse dabei auch unter das vorangegangene Tief bei rund 4.500 Punkten, sind weiter fallende Kurse wahrscheinlich.
Ich erwarte, dass dies bald passiert – wenn nicht mehr in diesem Jahr, dann wohl im nächsten, wie ich bereits am Freitag schrieb. Sollten sich der S&P 500 bis über die Mittellinie bei 4.630 Punkten erholen, ist Entwarnung angesagt. Dann könnte es zu einem ruhigen Jahresausklang kommen, mit tendenziell steigenden Kursen innerhalb des aktuellen Rechtecks (blau).
Letztlich wiederhole ich: 2022 dürfte für Aktionäre schlechter laufen als 2021. Und es scheint, dass viele von Ihnen diesen Eindruck teilen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus