- Brexit Verhandlungen bleiben im Fluss als endgültige Frist näherrückt
- Britische und multinationale Unternehmen fordern immer lauter Klarheit
- Können sich die britischen Politiker einigen, was sie wollen
- Mit der Möglichkeit eines harten Brexits anscheinend schon eingepreist, könnte das Kurspotential des Pfunds ausschließlich aufwärts zeigen
In nur wenig mehr als 200 Tagen soll Großbritannien den offiziellen Erwartungen nach die Europäische Union verlassen und noch gibt es keine wirkliche Klarheit über die endgültigen Details der 'Scheidung'. Als Ergebnis ist das Pfund im Keller und Unternehmen auf beiden Seiten des Ärmelkanals fordern immer dringlicher Auskünfte, wohin die Reise gehen wird. Die Verunsicherung nimmt ständig zu.
Auch wenn gehofft wird, dass die britischen Politiker endlich entscheiden werden, was ihre Seite auf einem morgigen Treffen am Freitag will, dem eine Präsentation am 9. Juli folgen wird, wo Details offengelegt werden sollen—selbst wenn man mal annimmt, dass es dazu kommen wird—müssen die Unterhändler dann immer noch die EU davon überzeugen, dem vorgeschlagenen Deal zuzustimmen.
Die Zeit läuft davon
Der Gipfel im kommenden Oktober war die Frist, die von den Unterhändlern beider Seiten vereinbart wurde, um genug Zeit zu haben, die Einzelheiten bis zum offiziellen Brexit am 29. März 2019 ausarbeiten zu können. Sollte dieser Zeitplan eingehalten werden, dann würde dies lediglich 15 Wochen lassen, in denen ein endgültiger Deal rechtzeitig fertig gestellt werden kann. Demgegenüber allerdings zeigt der folgende Chart, dass trotz zwei Jahren von "Verhandlungen", sich die Seiten über noch viele Fragen einigen müssen.
Der Chart illustriert auch, wie wenig Fortschritte es im zweiten Quartal gegeben hat. Seit März haben die EU und Großbritannien es lediglich geschafft, sich auf weitere 2.518 Worte im Brexit-Gesetz zu einigen. Außerdem, der EU-Gipfel der letzten Woche, von dem viele gehofft hatten, dass er ein entscheidender Schritt in Richtung einer Vereinbarung werden würde, ging vorüber ohne viel erreicht zu haben.
Der Chefunterhändler der EU Michel Barnier versuchte die Lage positiv darzustellen. "Beim Brexit haben wir Fortschritte gemacht, aber gewaltige und ernsthafte Meinungsverschiedenheiten bleiben in der Frage zu Irland und Nordirland.” sagte Barnier Reportern. Das ist nicht eben ein glühende Verlautbarung von Fortschritten. Der Präsident der Europäischen Rates Donald Tusk war weniger konziliant: die "schwierigsten Themen sind nach wie vor ungelöst" und "schneller Fortschritt" sei notwendig, wenn bis Oktober eine Einigung zustande kommen soll.
Britische Regierung gespalten
Der größte Stolperstein der jüngsten Zeit waren keine Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU, sondern, vielleicht noch irritierender, das Hindernis ist ein Riss in Teresa Mays eigenem Kabinett. Die britische Premierministerin hat es bisher noch nicht einmal geschafft, ihre Regierung auf eine Blaupause für die künftigen Beziehungen ihres Landes mit der EU festzulegen. Ohne diesen entscheidenden Faktor sind Diskussionen mit Brüssel unmöglich geworden.
“Ich wünschte mit, unsere britische Freunde würden ihre Positionen klarstellen.” sagte der Präsident der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker. “Wir können nicht mit einem gespaltenen Kabinett weitermachen; sie müssen sagen was sie wollen.”
Mit diesem Ziel wird May ihr Kabinett am Freitag in Chequers, dem Landsitz britischer Premierminister, treffen, was als kritisches Treffen angesehen wird, wo die britischen Politiker ihre Differenzen beilegen müssen. May plant für die Sitzung ein sogenanntes "Weißbuch" zu produzieren, das offenlegen wird "in größerem Detail, was für eine starke Partnerschaft das Vereinigte Königreich mit der Europäischen Union in der Zukunft sehen will".
May wünscht sich eine Vereinbarung, die eine enge Anbindung an die Zollunion und den Gemeinsamen Markt im Hinblick auf Güter, auch wenn sie nicht die Freizügigkeit für Arbeitnehmer in das Abkommen aufnehmen kann, wenn sie die Hardliner unter den Brexit-Befürwortern auf ihre Seite ziehen will.
Das norwegische Modell, dass unbeschränkten Handel zwischen dem skandinavischen Land und dem Zugangsgebiet zum Gemeinsamen Markt der EU (single-market European Economic Area, EEA) erlaubt, wurde von überzeugten Brexit-Verfechtern verworfen, da es die Übernahme von rund 20% der EU-Regulierungen mit sich bringen würde. Diese Option wurde in dieser Woche von May selbst abgelehnt, da der Vorschlag "nicht dem Ergebnis des Referendums und dem Willen des britischen Volkes" genügen würde, wie sie vor dem britischen Parlament am Montag erklärte.
Am Mittwoch war May Berichten nach dabei, einen Blaupause vorzubereiten, um Großbritannien eng an die EU-Regeln zum Handel mit Gütern zu anzubinden. Mit der Sache vertraute Personen sagten Bloomberg, dass der Plan für den Dienstleistungssektor, der 80% der britischen Wirtschaftsleistung erbringt, sei, gegenseitige Anerkennung zu erreichen, statt den EU-Regeln direkt zu folgen.
Ein Weckruf zum Handeln
Als die Uhr tickt und britische Politiker weiter herum eiern, haben Unternehmen mit Geschäften in Großbritannien und oder der EU klargemacht, dass keine Zeit mehr zu verschwenden ist. Die britische Handelskammer British Chambers of Commerce (BCC) hat Politikern am Dienstag unumwunden gesagt, aufzuhören “herumzuzanken” und den Wirtschaftsinteressen Großbritanniens den Vorrang zu geben, indem sie am Freitag eine Einigung erzielen. Die Organisation warnte, dass die Geduld in den Unternehmen "am Ende" sei.
Die Sicht der BCC: die Regierung hat “begrenzte Fortschritte” bei nur zwei von 23 Problemen gemacht, die dringend gelöst werden müssen, sodass die Firmen ihr Vorgehen planen können, wenn das Königreich die EU verlässt. Der britische Unternehmerverband Confederation of British Industry (CBI) und PwC befragten 100 Firmen im britischen Finanzsektor und fanden, dass ein Drittel der Banken "nicht so zuversichtlich" ist, ihre Brexit-Planungen bis März umsetzen zu können.
“Der Brexit erhöht weiter die Unsicherheit in den Geschäften des Sektors, von kleineren Unternehmen bis zu den Marktführern." sagte PwCs Kopf für Finanzdienstleistungen Andrew Kail. “Standortplanung, Transfer von Arbeitskräften und Kundenbindung bleiben an der Spitze der Agenda, trotz der zusätzlichen Zeit, die dank der Übergangsperiode zur Verfügung steht”.
Der Automobilsektor hat auch mehr Klarheit gefordert, was die Zukunft für ihn bringen wird. “Es gibt eine wachsende Frustration in den globalen Vorstandsetagen über das langsame Tempo der Verhandlungen” warnte der Vorsitzende der des Automobilbauverbandes Society of Motor Manufacturers and Traders Mike Hawes.
Europäische Firmen wie Airbus (PA:AIR), Siemens (DE:SIEGn) und BMW (DE:BMWG) haben alle laut gewarnt, dass ein harter Brexit ihren Geschäften schaden würde, während eine zwei Jahre nach dem Referendum in 2016 durchgeführte Befragung von 800 Managern durch die Anwaltskanzlei Baker & McKenzie ergab, dass fast die Hälfte der multinationalen Unternehmen aus der EU wegen der Unsicherheit ihre Investitionen in Großbritannien zurückgestellt haben.
Die Schlagzeilen in der Finanzpresse, dass Firmen ihre Mitarbeiter aus London in andere europäische Zentren wie Paris, Frankfurt, Dublin oder Amsterdam transferieren, sind auch immer häufiger geworden.
Das Pfund als Geisel
Genau dieser Mangel an Klarheit hat das Pfund schwer in Mitleidenschaft gezogen. Devisenspekulanten sind zum ersten Mal in sieben Monaten negativ zur Währung eingestellt (siehe Chart oben). In der Tat, während des zweiten Quartals 2018 erlitt das Pfund seinen schlimmsten prozentualen Verlust sei der Abstimmung zum Brexit.
Der Kurs zum Dollar fiel im vergangenen Quartal um rund 5,8%. Im Vergleich dazu hatte der EUR/USD mit 5,2% weniger verloren, obwohl im Gegensatz zur Bank of England BoE, die die Märkte jüngst mit einem festeren Ausblick überrascht hatte, die EZB entgegen den Markterwartungen verkündete, über Zinserhöhungen erst ab Sommer 2019 nachdenken zu wollen. Außerdem fiel das Pfund gegenüber der Gemeinschaftswährung im Zeitraum April-Juni um 0,6%.
Während die Märkte immer noch an die Möglichkeit glauben, dass die BoE im August die Zinsen anheben wird, angesichts der totalen Unklarheit über die britischen Planungen für den Brexit, haben Konjunktursorgen den Handel mit dem Pfund überlagert. Das sollte keine Überraschung sein. Die britische Zentralbank hat schon gewarnt, dass der Brexit eine Beeinträchtigung der Finanzdienstleistungsindustrie nach sich ziehen könnte. In der Sitzung des finanzpolitischen Ausschusses der BoE am 19. Juni stellte dieser fest, dass "Fortschritte gemacht worden sind, aber substanzielle Risiken bestehen bleiben”.
Kein Wunder, dass die Händler sich mit Pfundkäufen zurückhalten. Logik würde nahelegen, dass Großbritannien und die EU—trotz ihres politischen Hahnenkampfes zur Wahrung des Gesichts—es vorziehen sollten, eine beiderseitig vorteilhaften Deal zustandezubringen. Allerdings, da britische Politiker beschäftigt sind ihre Souveränität zurückzugewinnen, indem sie den Schatten der EU verlassen, während die Union weiter verhindert, dass das Königreich sich die Rosinen aus dem Kuchen pickt, sodass die anderen Mitgliedsstaaten des Blocks nicht denken, sie bezahlten die Kosten der EU ohne im Gegenzug entsprechende Vorteile zu erhalten, bleibt der Pfad zu einem gegenseitig akzeptablen Abkommen verworren.
Lässt man Hoffnungen auf eine wie auch immer geartete Einigung beiseite, dann weist der Status Quo klar in die Richtung keines Deals, was bedeute, dass ein harter und wahrscheinlich chaotischer Brexit auf dem Programm steht. Und sieht man sich den Mangel an jeglichem echten Fortschritt über die letzten beiden Jahre an, dann gibt es kaum Platz für Optimismus. Es sieht sehr danach aus, dass die Märkte dies schon realisiert haben, zumindest könnte der Absturz des Pfunds im zweiten Quartal genau das signalisieren.