Gestern meldete die Bundesnetzagentur am frühen Morgen, dass die Buchungen für die Durchleitung von Gas durch die Pipeline Nord Stream 1 am gestrigen Donnerstag auf einem reduzierten Niveau erfolgt sind. Konkret lägen die sogenannten Nominierungen bei rund 30 % der möglichen Auslastung. Vor Wartungsbeginn hatten sie zuletzt bei 40 % gelegen. Kurz vor Beginn des Xetra-Handels wurde dann gemeldet, die realen Gasflüsse lägen über der Nominierung und könnten das Vor-Wartungs-Niveau erreichen (67 Millionen Kubikmeter bzw. 700 Gigawattstunden pro Tag).
Kein Schock, aber auch kein Grund für erneute Freudensprünge
Einen neuen Freudensprung löste dies an den Börsen nicht aus. Denn es haben sich letztlich lediglich die Insidermeldungen vom Dienstag bestätigt. Der europäische Gaspreis gab daher zunächst auch nur um etwa 8 % auf 149 Euro je Megawattstunde nach. Damit liegt er immer noch auf einem sehr hohen Niveau. Immerhin wurden aber die Befürchtungen keine Realität, wonach das Gas vollständig ausbleiben könnte. Und so traten die Börsenkurse zu Handelsbeginn lediglich auf der Stelle.
BoJ setzt ultraexpansive Geldpolitik unverändert fort
Begründen konnte man dies auch noch mit einer abwartenden Haltung vor dem Zinsentscheid der Europäischen Zentralbank (EZB). Die japanische Zentralbank hatte zu diesem Zeitpunkt bereits beschlossen, an ihrer ultraexpansiven Geldpolitik unverändert festzuhalten. Die Bank of Japan (BoJ) belässt die kurzfristigen Zinsen bei -0,1 %. Die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen soll weiterhin bei 0 % gehalten werden. Und das, obwohl sie die Inflationsprognose von 1,9 % im April auf nun 2,3 % anhob.
Begründet wurde die Entscheidung damit, dass der Preisauftrieb nicht nachhaltig sei. Zugleich gebe es kurzfristige Konjunkturrisiken, so Notenbankchef Haruhiko Kuroda. Die jüngste Schwäche des Yen sei zwar negativ für die Wirtschaft, da dies Importe verteuert, Exportwaren würden im Gegenzug aber wettbewerbsfähiger. Und Kuroda betonte, die Schwäche des Yen sei durch die Stärke des Dollar bedingt, da in den USA und anderen westlichen Staaten die Zinsen anziehen. Doch daran würde sich auch bei leicht steigenden Zinsen in Japan nichts ändern.
Yen-Abwertung hat sich fortgesetzt
Diese Sichtweise ist durchaus interessant. Denn Mitte Juni hatte man sich noch deutlich skeptischer bezüglich der Wechselkursentwicklungen gezeigt - siehe „Devisenmarkt: Japan zeigt sich zunehmend besorgt“. Und seitdem hat der Yen gegenüber dem US-Dollar weiter abgewertet. Beim aktuellen Blick auf den folgenden Chart aus dem Börsenbrief „Target-Trend-Spezial“, in dem der USD/JPY regelmäßig analysiert wird, sieht man, dass der Kurs seit Mitte Juni von der Rechteckgrenze bei 133,7 bis zur Mittellinie bei 138,55 Yen weiter zulegen konnte.
Und ein Ende des Aufwärtstrends zeichnet sich bislang nicht ab. Man erkennt lediglich einen leichten Rückgang beim Momentum des Anstiegs. Gut möglich daher, dass das Ende der (charttechnischen) Fahnenstange bald erreicht ist. Zumal der USD/JPY auch auf die gestrige Entscheidung der BoJ kaum mehr reagiert hat. Zwar war man am Markt von einer Beibehaltung der bisherigen Geldpolitik ausgegangen, weshalb die Erwartungen auch nur erfüllt wurden, dennoch spricht die gestrige Marktreaktion dafür, dass der Zinsspread, also die Differenz zwischen den Renditen in den USA und Japan, inzwischen ausreichend eingepreist ist.
Für die Leser des „Target-Trend-Spezial“ und „Target-Trend-CFD“ lauere ich daher weiterhin auf einen passenden Short-Einstieg, um von einer Gegenbewegung zu profitieren. Für neue Long-Positionen ist der Aufwärtstrend dagegen aus meiner Sicht nach wie vor schon zu reif.
EZB entscheidet sich für den größeren Zinsschritt
Und damit noch kurz zur Leitzinsentscheidung der EZB. Die Notenbank hat gestern beschlossen, ihre drei Leitzinssätze um jeweils 50 Basispunkte anzuheben. Im Juni war der EZB-Rat ursprünglich davon ausgegangen, die Leitzinsen gestern zunächst nur um jeweils 25 Basispunkte zu erhöhen. Doch der extreme Anstieg der Inflation war nun doch Anlass genug für ein etwas aggressiveres Vorgehen.
Darüber hinaus wurde das „Instrument zur Absicherung der Transmission (Transmission Protection Instrument – TPI)“ genehmigt, wie die EZB das neue Anti-Fragmentierungstool im Statement zum Zinsentscheid nannte. Es „kann aktiviert werden, um ungerechtfertigten, ungeordneten Marktdynamiken entgegenzuwirken, die eine ernsthafte Bedrohung für die Transmission der Geldpolitik im Euroraum darstellen“, so die EZB. Gemeint sind damit letztlich weitere unbegrenzte Staatsanleihekäufe, die aber erst bei Bedarf zum Einsatz kommen. Und da diese die Geldpolitik wieder expansiver werden lassen würden, wurden auch damit die gestrigen größeren Zinsschritte begründet.
Keine neuen Trendsbewegungen bei EUR/USD und Aktien
An den Börsen hat dies in einer ersten Reaktion zwar für erhöhte Volatilität gesorgt, doch wie von mir vorgestern bereits vermutet, wurden dadurch (noch) keine neuen Trends etabliert. Denn die ersten Kursbewegungen hielten sich in relativ engen Grenzen.
Es bleibt daher dabei, dass ich wahrscheinlich erst ab Montag wieder über neue Trades entscheiden werde. Denn ich möchte zunächst abwarten, wie die Märkte die EZB-Entscheidung nachhaltig verarbeiten und ob der Gasfluss aus Russland auch über das Wochenende anhält.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus