von Robert Zach mit Material von Morgan Stanley (NYSE:MS) Research
Investing.com - Die Europäische Zentralbank will die Geldpolitik weiter lockern. Ungewöhnlich deutlich machte das EZB-Chef Mario Draghi auf einer Rede im portugiesischen Sintra Mitte Juni klar. Auch eine Wiederaufnahme der Anleihekäufe der Notenbank steht zur Diskussion.
Investoren sind zwar darauf eingestellt, dass die EZB die Geldpolitik in diesem Jahr lockern wird, aber noch nicht auf der Sitzung an diesem Donnerstag. Dagegen erwartet die US-Großbank Morgan Stanley, dass die Währungshüter den Einlagesatz bereits in dieser Woche senken. "Es wäre zumindest eine Überraschung".
EZB-Chef Mario Draghi hatte Mitte Juni so deutlich wie selten zuvor gesagt, dass ein Ende der Niedrigzinspolitik noch nicht in Sicht ist. Sollte sich der Wirtschaftsausblick nicht verbessern und die Inflation nicht anziehen, so werde eine weitere Lockerung der Geldpolitik erforderlich, so Draghi.
Die seit seiner Rede hereingekommenen Daten haben sich nicht sichtlich verbessert. Der Wirtschaftsausblick ist weiterhin schwach und die Inflation ist deutlich unter dem Zielwert der Europäischen Zentralbank. Morgan Stanley rechnet mit einem Wachstum im zweiten Quartal von gerade einmal 0,2 Prozent. "Die Dinge sehen zu Beginn des dritten Quartals nicht sehr viel besser aus", schreiben Daniele Antonucci und Joao Almeida in ihrer Vorschau auf die Leitzinsentscheidung der EZB.
"Unser Basisszenario ist, dass der Einlagesatz bis September um 10 Basispunkte auf -0,50 Prozent gesenkt wird. Wir wären nicht überrascht, wenn die EZB bereits an diesem Donnerstag die Zinsen senkt". Das sei ein Risiko, das die Märkte aktuell unterschätzen, so Morgan Stanley.
Auch eine Wiederauflage der quantitativen Lockerung, mit der die Zinsen am Anleihemarkt weiter gesenkt werden und mehr Liquidität in das System gepumpt wird, um so die Inflation näher an das Ziel der EZB heranzuführen, dürfte auf der Agenda stehen.
"Wichtig ist, dass sich die Wirtschaft nicht mehr in einer Situation befindet, in der das Tempo der wirtschaftlichen Expansion über dem Trend liegt und sich das Lohnwachstum beschleunigt", so Morgan Stanley.
Die Experten von Morgan Stanley gehen daher davon aus, dass die Europäische Zentralbank im September die neuen Projektionen nach unten korrigieren wird, die dann ähnlich dem Niveau von Ende 2014 entsprechen als QE 1 aufgelegt wurde.
"Die meisten Kernmessgrößen sind von den Tiefs gestiegen, und wir erwarten eine allmähliche Verbesserung. Im Vergleich zu den vergangenen Zyklen war die Erholung jedoch bisher verhaltener - auch wenn das BIP über dem Trend wuchs. Das ist ein Argument dafür, lieber früher als später zu handeln, und der Hauptgrund, warum wir eine neue QE-Runde erwarten".
Jedoch sei der Zeitpunkt für die Wiederaufnahme des Anleihekaufprogramms noch unklar. Der Grund dafür sei der Wechsel an der Führungsspitze der EZB. "Eine Neuauflage der Anleihenkäufe könnte bereits im vierten Quartal oder vielleicht erst im neuen Jahr erfolgen", prognostizieren Daniele Antonucci und Joao Almeida, zumal die marktbasierten Inflationserwartungen extrem eingetrübt seien.
Darüber hinaus könnte die Europäische Zentralbank ihre Forward Guidance für den Zinsausblick erneut ändern. Diese neu formulierte Forward Guidance könnte bedeuten, dass die EZB-Mitglieder weitere Zinssenkungen in der Zukunft nicht ausschließen.
Eine mögliche neue Forward Guidance für die Zinsen könnte so aussehen:
"Der EZB-Rat geht inzwischen davon aus, dass die EZB-Leitzinsen auf ihrem aktuellen oder tieferen Niveau bleiben werden, um eine fortgesetzte nachhaltige Annäherung der Inflation an ein Niveau von unter, aber nahe 2 % auf mittlere Sicht sicherzustellen."
Am Markt wird aktuell mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 Prozent gerechnet, dass die EZB den Einlagesatz auf der Juli-Sitzung um 10 Basispunkte senken wird. Bis Ende 2020 wird eine Zinssenkung in Höhe von 15 Basispunkte eingepreist.
Wenn die EZB die Zinsen an diesem Donnerstag nicht bereits senkt, besteht nur ein begrenzter Spielraum für eine Enttäuschung am Markt. "Wir gehen jedoch davon aus, dass das Wording rund um die zukünftige Geldpolitik letztlich für die Finanzmärkte von größerer Bedeutung sein wird", so Morgan Stanley.
Für den Euro könnte das Öffnen der Tür für eine Wiederauflage der quantitativen Lockerung sowie einer Zinssenkung unmittelbare Verluste bedeuten. Da jedoch auch die Federal Reserve an der Zinsschraube drehen dürfte (Morgan Stanley rechnet mit einer Zinssenkung der Fed-Funds-Target-Range von 50 Basispunkte), sollte sich der EUR/USD oberhalb von 1,10 Dollar halten und sich im Anschluss moderat in Richtung 1,16 Dollar bis zum Jahresende erholen.
Weitere Zinssenkungen durch die EZB dürften den Aktienmarkt nicht in Wallung versetzen. Aber eine Neuauflage des Kaufprogramms dürfte die DAX-Aktienanleger in einen kurzfristigen Kaufrausch versetzen, insbesondere falls die Währungshüter das Programm so ausgestalten, das die EZB nun auch Aktien-ETFs kaufen darf.
Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen dürfte unmittelbar spürbar unter Druck geraten und die jüngsten Zyklustiefs anlaufen. Im Hinterkopf sollten Anleger allerdings behalten, dass eine Senkung des Einlagensatzes bereits vollkommen eingepreist ist, so dass nach einem kurzfristigen Rücksetzer eine moderate Erholung einsetzen könnte, sie aber am Ende des Jahres weiter im negativen Bereich rentieren.