Chewy (NYSE:CHWY) ging am 17. Juni 2019 an die Börse. Der Preis für den Börsengang lag bei 22 USD je Aktie; den ersten Handelstag beendete Chewy bei 33,70 USD. Fast drei Jahre später notiert CHWY bei rund 29 USD.
Der Kursanstieg von 32 % gegenüber dem Emissionspreis und der Rückgang von 14 % gegenüber dem Schlusskurs am ersten Tag verdeutlichen die hohe Volatilität der Aktie. Trotz des anfänglichen Enthusiasmus wurde die Chewy-Aktie in den ersten Monaten nach dem Börsengang wieder abgestoßen. Doch dann kam die COVID-19-Pandemie und versprach dem Unternehmen einen doppelten Kurstreiber: eine beschleunigte Umstellung auf den E-Commerce und Millionen von adoptierten Haustieren.
Noch ein dritter Faktor gab der Aktie Auftrieb: ein Aktienmarkt, der bereit war, für Wachstum fast jeden Preis zu zahlen. In weniger als einem Jahr vervierfachte sich CHWY, wobei die Aktie Anfang letzten Jahres 118 USD erreichte. Seitdem hat das Papier mehr als drei Viertel ihres Wertes wieder verloren.
Dieser massive Kursrutsch allein macht CHWY noch nicht zu einem Kauf. Wie ich letzten Monat schrieb, hatte der Markt die Aktie zu den Höchstständen eindeutig überbewertet, vielleicht auch deshalb, weil das Kurs-Umsatz-Verhältnis im Vergleich zu anderen Wachstumsunternehmen so günstig erschien.
Mein Argument war aber auch, dass der Markt die Aktie bei den Mai-Tiefs ebenfalls unterzubewerten schien. Immerhin gilt die Wachstumsstory als intakt. Die Gewinnspannen bleiben eine wichtige Frage, aber solange Chewy weiterhin Marktanteile gewinnt, werden sich diese Margen irgendwann auch verbessern.
Die in der vergangenen Woche veröffentlichten Q1-Zahlen lassen darauf schließen, dass sich die Marktanteilsgewinne fortsetzen werden, was wiederum bedeutet, dass auch der Aktienkurs wieder steigen dürfte.
Das Unternehmen bleibt auf Kurs
Eine der Ironien hinsichtlich der Volatilität von Chewy ist, dass die zugrunde liegende Geschäftsentwicklung eigentlich immer recht konstant war. Im Großen und Ganzen hat Chewy das Potenzial, das die Investoren zum Zeitpunkt des Börsengangs sahen, erfüllt.
Im Geschäftsjahr 2019 (die Geschäftsjahre enden jeweils an dem Sonntag, der dem 31. Januar des Folgejahres am nächsten liegt) stieg der Umsatz um 40,5 %. Im folgenden Jahr beschleunigte sich das Wachstum auf 47,4 %, was zum Teil auf die Pandemie-Effekte zurückzuführen war. Der Umsatz stieg im GJ21 um 24 %; Chewy rechnet in diesem Jahr mit einem Wachstum von 15 % bis 17 % und einem Umsatz von über 10 Mrd. USD.
Da das Gesamtwachstum in dieser Branche allenfalls im mittleren einstelligen Bereich liegt, baut Chewy seinen Marktanteil offensichtlich weiter aus. Das allein widerlegt schon einige der langjährigen pessimistischen Argumente, dass Walmart (NYSE:WMT) und Amazon.com (NASDAQ:AMZN) Chewy den Vorsprung im E-Commerce abringen könnten. Es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass Petsmart, der frühere Eigentümer von Chewy, oder Petco (NASDAQ:WOOF) mit ihrem hybriden Laden-/Onlinemodell einen Wetttbewerbsvorteil haben. (Petco zum Beispiel erwartet in diesem Jahr ein Umsatzwachstum von nur 7 %)
Das Kerngeschäft E-Commerce war bisher der Hauptantrieb. Dabei wird das Geschäft des Unternehmens, wie vom Management versprochen, auch durch neue Initiativen weiter angekurbelt. Vor allem der Medikamenten-Umsatz von Chewy hat sich verdreifacht. Die "Plattform" des Unternehmens für Tierarztpraxen wird immer beliebter. Dazu kommen, ganz neu, Versicherungen (die über eine Partnerschaft mit Trupanion (NASDAQ:TRUP) angeboten werden) und ein Angebot im Segment Telemedizin.
Daran hat sich im 1. Quartal nichts geändert. Vielmehr hat Chewy einfach seine Ziele erreicht, beim jüngsten Kursrutsch der CHWY-Aktie wurde das nicht einmal berücksichtigt. Selbst nach einer soliden Rallye nach den Zahlen sieht die Bewertung immer noch angemessen aus. Die Aktien werden mit dem 1,2-fachen des diesjährigen Umsatzes gehandelt; bei der IPO-Bewertung wurde ein Multiplikator von knapp dem 2-fachen zugrunde gelegt, und CHWY erreichte im letzten Jahr seinen Höchststand bei etwa dem 6-fachen des Umsatz.
Die Rentabilität ist zugegebenermaßen ein schwierigeres Thema, aber Chewy investiert weiter in sein Geschäft und baut seine branchenführende Logistik aus. Wenn man bedenkt, dass Kunden, die einmal gewonnen wurden, die Plattform nur selten verlassen, sind diese Investitionen sinnvoll. Da die Umsätze weiter wachsen und die Ausgaben langsam abflachen, sollte Chewy über ausreichend Cashflow verfügen, sobald das Management entscheidet, dass hier der Fokus liegen soll.
Was aber läuft dann falsch?
Zumindest ist das die Theorie. Die Bären würden argumentieren, Chewy arbeite weder profitabel noch werde es jemals profitabel sein. Das Unternehmen rechnet in diesem Jahr mit einem bereinigten EBITDA (Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen) von nur 0 bis1 % des Umsatzes.
Das sind etwa 100 Mio. USD am oberen Ende - doch Chewy steuert auf einen aktienbasierten Vergütungsaufwand (der aus dem bereinigten EBITDA herausgerechnet wird) in etwa der gleichen Höhe zu. Mit anderen Worten, wenn man die Verwässerung durch diese Aktienemission berücksichtigt, ist der freie Cashflow von Chewy negativ (wobei die Investitionsausgaben in diesem Jahr bei etwa 2,5 % des Umsatzes liegen).
Langfristig kommt es wirklich darauf an, wie hoch oder niedrig die Gewinnspannen sind. Ein langfristiges Ziel im hohen einstelligen Bereich bedeutet, dass das Unternehmen problemlos ein jährliches EBITDA von 1 Mrd. USD erzielen könnte - und das wiederum bedeutet wahrscheinlich eine Verdoppelung des Kurses.
Ob das Unternehmen dieses Niveau je erreichen kann, steht in den Sternen. Das entspricht in etwa dem Niveau, auf dem Walmart und Amazon operieren, zumindest in Nordamerika. Allerdings bieten die neueren Initiativen deutlich höhere Margen, und Chewy sollte in der Lage sein, die Marketingausgaben in Zukunft zu optimieren. Eine gewisse Margenausweitung entwickelt sich derzeit und dürfte ausreichen, um Chewy zumindest konstante, wachsende Gewinne und einen freien Cashflow erzielen zu lassen.
Kurzfristig deutet ein weiterhin volatiler Markt auf ein gewisses Risiko hin. Wenn sich die Anleger erneut von Wachstumswerten trennen, wird der Kurs von CHWY mit ziemlicher Sicherheit ebenfalls fallen.
Ich möchte noch einmal betonen, dass Chewy in seinen drei Jahren an der Börse gehalten hat, was es versprochen hat. Der Umsatz ist gewachsen, die Kundenbasis hat sich vergrößert und Chewy ist in Märkte vorgedrungen, die über das E-Commerce-Kernangebot des Unternehmens hinausgehen. Bei Kursen über 100 USD war das nicht genug, um eine Empfehlung für die Aktie auszusprechen. Unter 30 USD, wo die Bewertung weitaus vernünftiger ist, sollte ein Einstieg durchaus in Betracht gezogen werden.
Disclaimer: Vince Martin hält zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Positionen in hier besprochenen Wertpapieren.
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