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Die EU wird Brexit nicht unbeschadet überstehen

Veröffentlicht am 16.11.2017, 18:26
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von Jason Martin

Das englische Original des Artikels „Don't Be Fooled, The EU Won't Escape Brexit Unscathed“ erschien am Donnerstag, dem 16. November 2017 um 10:01 Uhr MEZ auf Investing.com

Verfolgt man die Seifenoper, zu der die Brexit-Verhandlungen verkommen sind, bekommt man leicht den Eindruck, dass die Entscheidung Großbritanniens am 23. Juni 2016, die Union zu verlassen, das Land in eine ungewisse ökonomische Zukunft gestürzt hat, während die verbleibenden 27 Mitgliedsstaaten bei dieser Scheidung kaum etwas zu verlieren hätten. Es scheint, als würden die in der Union verbleibenden Länder ungeachtet der Konsequenzen für Großbritannien als Gruppe ein regionales politisches und wirtschaftliches Kraftzentrum bleiben.

Doch obwohl die unmittelbaren Folgen für die britische Wirtschaft, wie wir sie bereits in unserer vorhergehenden Analyse am Anfang der Woche besprochen haben, zu spüren sind, scheinen die Medien die Angelegenheit größtenteils aus der britischen Perspektive betrachtet zu haben, ohne potenzielle negative Auswirkungen für die in der EU verbleibenden Länder zu benennen.

Am Anfang war die EU Teil der Schlagzeilen und Sachverständige auf beiden Seiten sorgten sich darüber, wie es ihren Bürgern, die jeweils auf der anderen Seite des Kanals lebten, ergehen wird, nachdem sie ihre Freizügigkeit verloren haben.

Beide Seiten stellten klar, dass für Bürger, die bereits seit Längerem in dem jeweiligen Land bzw. der jeweiligen Region residieren, der Status Quo gelten soll. Anschließend gerieten die Kosten des Austrittes für die EU aus dem Blickfeld und der Fokus verschob sich auf die finanziellen Verpflichtungen Großbritanniens, die Folgen für seine Wirtschaft angesichts fehlender zukünftiger Handelsabkommen und den Sinkflug des Pfundes, der die Inflation angekurbelt und die Bank of England dazu veranlasst hatte, bei ihrer aktuellen Sitzung die Zinssätze anzuheben.

Nachdem wir in unserer vorhergehenden Analyse ausführlich untersucht haben, ob die Chancen Großbritanniens auf ein günstiges Abkommen schwinden, konzentrieren wir uns nun auf die Folgen für die EU.

Fakt: Die EU-Wirtschaft wird beeinträchtigt

Beim Lesen von Artikeln über den Brexit muss bedacht werden, dass alle zukünftigen Abkommen von Natur aus wechselseitig sind. Die Kosten für eine Seite werden auch auf der anderen Seite spürbar sein, wenn auch in einem geringeren Maße.

Im Schlimmstfall – einem „harten Brexit“ – bei dem die Seiten keine Handelsvereinbarungen treffen können, würden für den Handel zwischen Großbritannien und der EU automatisch die Regeln der Welthandelsorganisation gelten. Auf viele Industriegüter würden Zölle von nur zwei bis drei Prozent aufgeschlagen werden, für Autos dagegen würde eine Einfuhrsteuer von 10 Prozent und für Landwirtschaftserzeugnisse von 20 bis 40 Prozent fällig werden.

Tatsächlich warnte der Internationale Währungsfonds in seinem aktuellen Wirtschaftsausblick, dass ein „disruptiver“ Brexit sich auf beide Seiten auswirken würde.

„Unter diesen Umständen ist es unsere Sorge, dass das Wirtschaftswachstum, vor allem in Großbritannien, aber auch in der Eurozone, beeinträchtigt wird.“ (Hervorhebung durch uns)

Die Mehrzahl der Analysten ist der gleichen Meinung und geht davon aus, dass die britische Wirtschaft härter getroffen wird. Ein aktueller Bericht von Oxford Economics legt nahe, dass die Folgen für Großbritannien zehn Mal so gravierend ausfallen werden als für die EU. Der grundlegende Punkt bleibt aber, dass beide Seiten die negativen Folgen spüren werden.

Dem Bericht zufolge würde ein Scheitern der Verhandlungen zu einem 3,1-prozentigen Anstieg der Importpreise in der EU und einem 3,5-prozentigen Anstieg in Großbritannien führen. Dieser Anstieg würde für 60 Prozent aller nach England exportierten und importierten Güter gelten. In der EU würden, mit Ausnahme von Irland, immer noch 10 Prozent der Güter betroffen werden.

Brexit-Folgen für die EU-Wirtschaft

Wie das obige Diagramm von Bloomberg belegt, herrscht kein Zweifel daran, dass Großbritannien am meisten unter der Trennung leiden wird, doch auch das Wirtschaftswachstum in der EU bleibt nicht unbeschadet.

Wandern die Jobs wirklich ab?

Die Schlagzeilen konzentrieren sich auf „Vorteile“, die die Trennung für die EU bringen wird, insbesondere im Finanzsektor. Die Nachrichtenmeldungen sprechen von zahlreichen Banken, die bereits Notfallpläne schmieden, die auch einen Umzug von Mitarbeitern und/oder Betrieb nach Frankfurt oder Dublin beinhalten, in der Sorge, dass ein harter Brexit das Ende des Europäischen Passes bedeuten würde, der es in England ansässigen Firmen ermöglicht, auf dem europäischen Festland Geschäfte zu betreiben.

Präsidentin des Ausschusses der Europäischen Aufsichtsbehörden für das Bankwesen Danièle Nouy spricht von rund 50 Banken, die von Großbritannien aus in der EU operieren und bereits Informationen über einen Umzug angefordert haben. Einem Bericht der BBC vom Oktober zufolge geht die Bank of England nach dem Ausscheiden des Landes aus der EU im Jahr 2019 von dem Verlust von bis zu 75.000 Stellen im Finanzdienstleistungssektor aus. Übrigens reichen die Schätzungen über Stellenverluste im Finanzsektor Großbritanniens von null bis 220.000.

Allerdings ist nicht wirklich klar, ob Frankfurt oder Dublin letztendlich davon profitieren werden. So stellte CEO des Clearinghauses von London Daniel Maguire Ende Oktober klar, dass die Verlegung seines Währungsswaps-Geschäfts in ein EU-Land keinesfalls beschlossene Sache sei. Tatsächlich wäre sogar ein Umzug nach New York die weniger kostspielige Option.

Präzedenzfall für künftige populistische Austrittsbewegungen

Mehr noch als die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen dürfte für die EU der von Großbritannien geschaffene Präzedenzfall wiegen. Zwar bleibt der Ausgang für Großbritannien ungewiss, doch der Bruch mit der Union ebnete den Weg für populistische Bewegungen innerhalb der gesamten Region. Insbesondere in den Ländern, die Mitglieder des Währungsblocks sind, wird gegen Einwanderung und politische und wirtschaftliche Fremdbestimmung demonstriert.

Die Einheitswährung erholte sich besser als das Pfund, das gegenüber dem Dollar immer noch um 12 Prozent tiefer liegt. Der Euro dagegen legte gegenüber dem Greenback seit dem Referendum am 23. Juni 2016 um vier Prozent zu. Trotz des unsicheren Ausgangs der Brexit-Verhandlungen preisen die Märkte weniger negative Folgen für die EU ein. Die Europäische Zentralbank unterstützt die Währung ebenfalls, indem sie im Zuge der robusten Wirtschaftsdaten, insbesondere aus Deutschland, den Fuß von dem Beschleunigungspedal nimmt und langsam der Federal Reserve Bank in Richtung Straffung folgt.

Zu Beginn des Jahres verschob sich der Fokus des Marktes auf die Möglichkeit von rechtsextremen Wahlsiegen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. Das Brexit-Votum war abgehackt und die Sorge, dass euroskeptische Parteien an die Macht kommen und auf einen Austritt nicht nur aus der EU, sondern auch aus der Eurozone drängen würden, trat in den Vordergrund.

Die „Katastrophen“ wurden jedoch abgewendet und der Euro begann seinen Aufstieg, nachdem die etablierten Parteien weiterhin am Ruder bleiben konnten. Zwar konnten die populistischen Parteien einige Stimmen holen, doch es reichte nicht aus, um wirklichen Einfluss zu gewinnen.

EURUSD, wöchentlich, 2015-2017

Nach jedem Wahlergebnis atmeten die Märkte erleichtert auf, doch die EU wird weiter von der Desintegration bedroht. Die politische Instabilität in Spanien, ausgelöst durch die Unabhängigkeitsbestrebungen der Region Katalonien, die de facto auch einen Austritt aus der EU bedeuten würden, setzten den Euro unter Druck. Die Lage ist zum Zeitpunkt dieses Artikels immer noch nicht geklärt. Am 21. Dezember werden in der abtrünnigen Region Neuwahlen abgehalten.

Der Sieg der konservativen und einwanderungsfeindlichen Volkspartei bei den Wahlen in Österreich sorgte für Nervosität, ebenso die Wahl des Rechtspopulisten Andrej Babis zum Premierminister der Tschechischen Republik. In Italien halten die zwei wohlhabendsten Regionen Volksabstimmungen über ihre Unabhängigkeit ab. Dies alles sind Belege dafür, dass die Stabilität der EU keineswegs garantiert ist.

Kurz gesagt, die Union bleibt zerbrechlich und die Entscheidung Großbritanniens, eine Beziehung zu verlassen, mit der knapp über die Hälfte der Briten nicht zufrieden waren, bietet ein Rahmenwerk für ähnliche Bewegungen, falls populistische Gruppen letztendlich doch an die Macht kommen sollten.

Niemand zweifelt daran, dass die EU durch den Austritt Großbritanniens wirtschaftlich und ideologisch nicht getroffen wird. Es ist einfach etwas, das im Hintergrund gemurmelt wird, während die EU-Politiker immer lauter nach „Klarstellungen“ seitens Großbritannien rufen und damit Fragen nach den potenziellen negativen Folgen für die Gemeinschaft übertönen.

Das mag zwar ein wirksames Ablenkungsmanöver sein, doch man täte gut daran, sich zu erinnern, dass es bei jeder Scheidung zwei Parteien gibt. Die EU wird den Brexit nicht unbeschadet überstehen. Es bleibt allerdings ungewiss, inwiefern der Prozess zu Rissen innerhalb der Union führen wird.

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