- Selbst unter Berücksichtigung der aktuellen Verluste - und künftigen Gewinne - aus dem Streaming-Geschäft ist Disney nicht gerade preiswert bewertet
- Mit Blick auf die Zukunft gibt es offene Fragen zu jedem Aspekt des Unternehmens, auch wenn Third Point wieder eine Beteiligung hält
- Das DIS-Argument "für Qualität bezahlen" greift nur, wenn das Geschäftsmodell tatsächlich Qualität bietet. Darüber lässt sich aber streiten
Nach der Konsensschätzung der Wall Street wird die Aktie der Walt Disney Company (NYSE:DIS) mit dem 31-fachen des Gewinns für das Geschäftsjahr 2022 (Ende September) und dem 22-fachen für das Geschäftsjahr 2023 gehandelt. Beides ist nicht gerade preiswert.
Natürlich sind Disneys Gewinnzahlen im Moment nicht besonders berauschend. Das Unternehmen erlitt erhebliche Verluste durch Investitionen in seine verschiedenen Streaming-Dienste. Laut dem von Disney bei der Börsenaufsicht eingereichten Formblatt 10-Q (siehe S. 49) hat Disneys Direct-to-Consumer-Segment in den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres 2022 2,54 Mrd. USD verloren.
Nach Steuern sind das mehr als 1 USD pro Aktie und fast 1,50 USD auf das Gesamtjahr hochgerechnet. Addiert man dies zu den geschätzten 3,94 USD pro Aktie für dieses Jahr, ergibt sich eine aktuelle Ertragskraft von Disney von etwa 5,40 USD pro Aktie oder fast 10 Mrd. USD jährlich. Und selbst diese Zahl berücksichtigt noch nicht die Rentabilität des Streaming-Geschäfts, die nach Einschätzung der Unternehmensleitung im Geschäftsjahr 2024 eintreten wird.
Das Problem mit DIS-Aktie ist jedoch, dass die Aktie selbst unter Berücksichtigung des Streaming-Geschäfts immer noch mit einem Kurs von weit über dem 20-fachen des Gewinns gehandelt wird. Aus einer Blickrichtung mag dieser Multiplikator für eines der größten amerikanischen Unternehmen aller Zeiten womöglich angemessen erscheinen. Und tatsächlich sehen das viele Anleger in letzter Zeit so: DIS ist allein im letzten Monat um 32 % gestiegen. In der Nähe dieser jüngsten Höchststände hat der angesehene aktivistische Investor Third Point eine beträchtliche Beteiligung an dem Entertainment-Riesen erworben.
Aus einer anderen Perspektive ist diese Art von Multiple angesichts der sehr realen Sorgen, mit denen der Rest des Unternehmens konfrontiert ist, jedoch fragwürdig. Aufgrund dieser Bedenken bin seit einiger Zeit skeptisch gegenüber Disney, und nach dem jüngsten Kursanstieg ist meiner Meinung nach eine gewisse Vorsicht geboten.
Das spricht für die Disney-Aktie
Sicherlich spricht derzeit einiges für DIS, selbst nach der kräftigen Kursrallye. Das Geschäft außerhalb des Streamings sollte in diesem Jahr einen Nettogewinn von rund 10 Mrd. USD erwirtschaften. Bei einem 20-fachen Multiplikator ist das Non-Streaming-Geschäft 200 Mrd. USD wert.
Netflix (NASDAQ:NFLX) wird einschließlich Schulden abzüglich Barmittel mit 118 Mrd. USD bewertet. In Anbetracht der Tatsache, dass Disneys Streaming-Dienst Disney+ im zweiten Quartal Netflix bei den Kundenzahlen überholt hat, halten Optimisten das Disney-Geschäft für mindestens so wertvoll wie das von Netflix.
Nach dieser zugegebenermaßen simplen Analyse der Summen müsste Disney etwa 320 Mrd. USD wert sein. Das Unternehmen schloss sein drittes Geschäftsquartal mit einer Verschuldung von rund 38 Mrd. USD ab. Unser Modell signalisiert daher, dass Disney eine Marktkapitalisierung von 282 Mrd. USD haben sollte - oder einen Aktienkurs von 152 USD, was einem Renditepotenzial von etwa 25 % gegenüber der aktuellen Notierung entspricht.
Sicherlich können sich die Investoren über die genauen Faktoren bei der Berechnung streiten. Aber es ist wichtig, das übergeordnete Argument zu verstehen. Die kurzfristigen Gewinnmultiples der Disney-Aktie sind nicht besonders attraktiv - aber sie erzählen auch nicht die ganze Geschichte.
Wenn man die Verluste aus dem Streaming berücksichtigt, ist die Bewertung zumindest angemessen. Und auch hier gilt: Wenn ein Unternehmen wie Disney zu einem vernünftigen Preis zu haben ist, sollten die Anleger zuschlagen.
Disney vs. Netflix
So einfach und attraktiv das auch klingt - es stimmt nicht ganz.
Betrachten wir zunächst das übergeordnete Argument. DIS ist schon seit geraumer Zeit keine gute Aktie mehr. Die Aktie ist im letzten Jahr und in den letzten drei Jahren gesunken. Über einen Zeitraum von fünf Jahren hat sich DIS deutlich schlechter entwickelt als der S&P 500 und der Dow Jones Industrial Average (Disney ist in beiden Indizes enthalten). Selbst über ein Jahrzehnt betrachtet liegt DIS, wenn auch nur knapp, im Rückstand.
Quelle: Investing.com
Die Wertentwicklung der Vergangenheit ist keine Garantie für zukünftige Performance - das besagt der wichtigste Warnhinweis der Branche. Dennoch ist es schon eine ganze Weile her, dass DIS bei einer Kurskorrektur ein klarer Kauf war.
Was das Streaming-Geschäft betrifft, so spricht einiges dafür, dass die Disney-Dienste zusammengenommen - einschließlich Hulu und ESPN+ - mehr wert sind als Netflix. Aber es ist kein einfaches Argument. Disney hat zwar mehr Abonnenten als Netflix, aber ein Großteil (mehr als 20 %) befindet sich in Indien und generiert deutlich geringere Einnahmen.
Auch Netflix hat im Ausland Nutzer, die niedrigere Preise zahlen, aber es gibt noch einen weiteren Faktor: wie Disney seine Abonnentenbasis berechnet. In der Gewinnmitteilung wird erläutert, dass ein Abonnent des Disney-Pakets (Disney+, Hulu und ESPN+) dreifach gezählt wird.
In den ersten drei Quartalen des Geschäftsjahres 2022 erwirtschaftete Disneys Direct-To-Consumer-Sparte einen Umsatz von 14,7 Mrd. USD. Im gleichen Zeitraum erzielte Netflix einen Umsatz von 23,5 Mrd. USD. Disneys Streaming-Geschäft wächst zugegebenermaßen schneller, aber selbst in diesem Zusammenhang ist es schwierig zu argumentieren, dass Disney-Streaming wesentlich wertvoller ist als Netflix-Streaming- oder sogar wertvoller.
Der Rest des Unternehmens
Das größere Problem dieses Denkmodells liegt jedoch in der Bewertung des Nicht-Streaming-Teils des Unternehmens. Die möglicherweise überraschende Tatsache ist, dass Disney außerhalb des Streaming-Geschäfts mit echten Herausforderungen konfrontiert ist.
Im Geschäftsjahr 2019 erwirtschafteten die Kabelnetze von Disney 36 % des Gewinns des Unternehmens. Der Großteil davon stammt zweifellos von ESPN. Doch diese Netze sind durch die Erosion des Kabelfernsehens bedroht. Die Gebühren der Partner von den Verleihern sind in diesem Jahr im Wesentlichen gleich geblieben, aber nur, weil ESPN und andere Disney-Sender höhere Gebühren pro Abonnent ausgehandelt haben. Das kann nicht ewig so weitergehen.
In der Tat ist es Teil des Plans von Third Point für Disney, dass ESPN ausgegliedert werden soll. Der Fonds macht diesen Vorschlag nicht, weil ESPN heute noch so wertvoll ist, wie es vor zehn Jahren war. Das Argument ist wohl eher, dass Disneys Gesamtwachstum ohne den negativen Einfluss von ESPN und anderen Fernsehsendern sichtbar wird.
Das mag stimmen oder auch nicht - denn der Rest des Unternehmens hat seine eigenen Probleme. Die Disney-Parks haben nach der Coronavirus-Pandemie von dem enormen Nachholbedarf der Menschen profitiert. Die Geschäftsleitung gab auf der Telefonkonferenz zum 3. Quartal sogar zu, dass die Parks des Unternehmens derzeit nicht die gesamte Nachfrage befriedigen können. Auch dieser Trend wird nicht ewig anhalten: Das Parkgeschäft befindet sich wahrscheinlich auf oder kurz vor einem mittelfristigen Zenit.
Der Umsatz mit Konsumgütern ist im bisherigen Verlauf des Geschäftsjahres um 1 % gesunken. Dieses Geschäft ist seit Jahren erstaunlich wachstumsschwach. Das Studiogeschäft hat mit den anhaltenden Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen - aber auch mit einer ausgedehnten Nachfrage nach Superheldenfilmen, die vermutlich irgendwann abebbt.
124 USD ist immer noch ein hoher Preis
Und damit sind wir bei dem Problem angelangt. Um beim aktuellen Kurs (124 Dollar) noch Aufwärtspotenzial zu sehen, müssen zwei Dinge geschehen. Entweder muss ein Investor glauben, dass Disneys Streaming-Plattform einen deutlichen Bewertungsaufschlag gegenüber Netflix verdient, oder er muss angesichts des 20-fachen Multiples für den Rest des Unternehmens glauben, dass der Nicht-Streaming-Teil von Disneys Geschäft in Zukunft schön und beständig wachsen wird.
Für beides braucht man einen festen Glauben an die Aktie. Es ist nicht unvernünftig zu argumentieren, dass die Inhalte von Disney besser sind als die von Netflix, aber es ist immer noch ein großer Schritt, damit einen deutlichen Aufschlag auf NFLX zu rechtfertigen. Bei den Wachstumsaussichten für das übrige Geschäft wird allein die Belastung durch die Medienkanäle erheblich sein. Eine Rezession und/oder eine anhaltende Inflation würden ein Risiko für die Parks darstellen, selbst bei einer erhofften Erholung des Kreuzfahrtgeschäfts. Vielleicht wird Disney die von Third Point empfohlenen Maßnahmen für Kostensenkungen anpacken, die die Erträge steigern können. In den meisten Fällen werden sich die Kürzungen jedoch nur einmalig auswirken. Irgendwann muss Disney zu einem beständigen jährlichen Gewinnwachstum zurückkehren.
In der Zwischenzeit ist es verlockend, DIS als billig zu betrachten, nur weil der Kurs um fast 40 % gegenüber seinem Höchststand vom März 2021 gefallen ist. Aber darin ist schon ein gewisses Wachstum im Bereich Streaming und darüber hinaus eingepreist.
Third Point könnte durchaus Recht haben, wenn es Wachstum am Horizont sieht. Aber dafür gibt es keine Garantien. Ob mit oder ohne einen Aktivisten an Bord - Die Bewertung von Disney ist immer noch aggressiv - und es gibt immer noch Probleme.
Haftungsausschluss: Vince Martin hält zu dem Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels keine Positionen in hier besprochenen Wertpapieren.