Die aktuellen Marktspekulationen zum Thema künstliche Intelligenz (KI) stehen überall im Mittelpunkt. Man kann keinen Fernseher einschalten oder eine Zeitung in die Hand nehmen, ohne dass das Thema „künstliche Intelligenz“ auf den ersten Seiten erwähnt wird. Das „F.O.M.O.“-Syndrom (Fear Of Missing Out), eigentlich ein psychologisches Phänomen, das bei Menschen gehäuft auftritt, die viel Zeit auf Social Media verbringen, ist auch im Aktienmarkt angekommen - insbesondere im Zusammenhang mit der Entwicklung und dem Einsatz von künstlicher Intelligenz.
Die nachstehende Grafik zeigt den Performance-Unterschied zwischen dem Korb der Top-7-Aktien, die stark mit der K.I. assoziiert sind, und dem S&P 500 sowie dem Russell 2000.
Da die Top-7 einen großen Teil des S&P 500 ausmachen, lassen sich die gesamten Renditen des breiten Index seit Jahresbeginn nur auf diese sieben Aktien rückführen. So stellte Doug Kass kürzlich fest:
„Bei Betrachtung in einem breiteren Kontext muss man feststellen, das mehr als 100 % aller Zuwächse des S&P-Index in diesem Jahr von sieben Titeln getragen wurden. Auf drei dieser sieben Aktien entfallen 68 % des gesamten Jahresgewinns des S&P. Seit Jahresbeginn hat der S&P dank eines Anstiegs im Technologiesektor um +9,1 % angezogen, während der Russell-Index -1,0 % und der gleichgewichtete S&P 500-Index -1,1 % niedriger notieren.“
Natürlich ist den Unternehmen nicht entgangen, dass die Anleger in ihre Aktien strömen, und sie sind ebenfalls auf den Zug der Spekulationen aufgesprungen und heizen die Stimmung an, indem sie den Begriff „künstliche Intelligenz“ in sämtlichen Gewinnberichten und Pressemitteilungen erwähnen. Wie man an den folgenden Zitaten erkennt, ist die Zahl der Erwähnungen von künstlicher Intelligenz in den letzten Monaten stark gestiegen.
„Von diesen Unternehmen erwähnten 110 den Begriff „KI“ im Rahmen ihrer Gewinnmitteilung für das erste Quartal. Diese Zahl liegt deutlich über dem Fünfjahresdurchschnitt von 57 und dem Zehnjahresdurchschnitt von 34.
Tatsächlich ist dies die höchste Anzahl von S&P 500-Unternehmen, die seit mindestens 2010 in ihren Gewinnmitteilungen „KI“ erwähnen (unter Berücksichtigung der aktuellen Indexbestandteile über die Zeit). Der bisherige Rekord lag bei 78, die im vorangegangenen Quartal (4. Quartal 2022) verzeichnet wurden.
Auf Sektorebene weisen die Sektoren Informationstechnologie (38), Industrie (17) und Kommunikationsdienste (15) die höchste Anzahl von S&P 500-Unternehmen auf, die „KI“ in ihren Gewinnmitteilungen für das 1. Quartal nennen, während die Sektoren Kommunikationsdienste (75 %) und Informationstechnologie (66 %) den höchsten Prozentsatz von Unternehmen aufweisen, die „KI“ in ihren Gewinnmitteilungen für das 1. Quartal nennen“. – FactSet
Natürlich haben die Unternehmen auch nichts dagegen, so viel Geld wie möglich aus den Spekulationen zu ziehen.
„Achten Sie darauf, was sie tun, nicht was sie sagen. Wenn NVDA mit Sicherheit wüsste, dass dieser Hype einfach weitergehen würde, würde das Unternehmen wohl kaum jetzt all diese Aktien verkaufen. Sie brauchen das Geld nicht einmal. NVDA ist ein kapitalkräftiges Unternehmen. Aber sie sind klug genug, es zu tun. Warum nicht eine Kriegskasse aufbauen, wenn das Geld einfach so reinläuft?“ - Doug Kass
Neufassung der Dotcom-Blase?
Das alles ist umso interessanter, als wir 1999 genau das Gleiche erlebt haben. Zu jener Zeit stürzten sich die Unternehmen auf das Internet, um den Boom für sich zu nutzen, der die Welt verändern sollte.
Der Unterschied zu heute bestand darin, dass die Unternehmen unabhängig von ihren tatsächlichen Umsätzen, Gewinnen oder Bewertungen zulegen konnten. Es war nur wichtig, dass sie an der Spitze der Internet-Revolution standen.
Heute erzielen Unternehmen, die auf künstliche Intelligenz setzen, tatsächliche Einnahmen und Erträge. Ich bin mir jedoch sicher, dass eine Flut neuer Unternehmen auf den Markt kommen wird, die auf den „K.I.- Zug“ aufspringen und diese Gewinne und Einnahmen letztlich verwässern werden.
Was sich nicht geändert hat, ist, dass Analysten und Investoren wieder einmal glauben, dass die „Bäume in den Himmel wachsen können.“ Der Internethype des Jahres 1999 zog die Kleinanleger und die Profis gleichermaßen in seinen Bann. Dann veröffentlichte Jim Cramer im März 2000 seine berühmte Liste der „Gewinner“ des Jahrzehnts.
Es gab unendlich viele Möglichkeiten, wie das Internet unser Leben, unseren Arbeitsplatz und unsere Zukunft verändern würde. Das Internet hat unsere Welt zwar verändert, aber die Realität der Bewertungen und des Gewinnwachstums holten die Phantasien letztlich ein.
Wie wir bereits gezeigt haben, sind die „Revolutionen“ nicht wirklich neu und können eine ganze Weile andauern, aber letztlich werden die Bewertungen immer dann problematisch, wenn das Gewinnwachstum die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt - das gilt heute genau wie früher.
Den besten Renditeperioden sind historisch immer niedrige Bewertungen vorausgegangen. Das ist darauf zurückzuführen, dass die niedrigen Bewertungen eine mehrfache Ausweitung der Multiples ermöglichten, weil die Anleger bereit waren, „extra“ für das erwartete Gewinnwachstum" zu zahlen.
Im Jahr 1994 konnten Anleger beispielsweise Aktien von Microsoft (NASDAQ:MSFT) zu einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von etwa 3 kaufen. Als das Internet boomte und immer mehr Computer für die Nutzung des Internets benötigt wurden, stieg der Umsatz von Microsoft.
Heute werden Microsoft-Aktien zum mehr als 11-fachen des Kurs-Umsatz-Verhältnisses gehandelt. Es wird erwartet, dass KI zu einem weiteren massiven Umsatzanstieg führen wird.
Genau da ist jedoch das Problem mit den Bewertungen begründet. Bei einem Kurs-Umsatz-Verhältnis von 38x bzw. 11x können sich NVDA und MSFT kaum Fehler leisten.
Es gibt sehr wohl auch Herausforderungen
Obwohl die derzeitige spekulative Phase viel länger dauern könnte, als man nach gesundem Menschenverstand oder Bewertungen erwarten sollte, wird die Realität letztendlich eine Rolle spielen. Derzeit werden die Spekulationen von Fantasien über eine neue Welt der KI mit unendlichen Möglichkeiten getragen.
Dabei ist auch die Annahme wichtig, dass JEDES Unternehmen irgendwann Produkte von Unternehmen wie NVDA und MSFT kaufen wird, was zu einem massiven Anstieg der Erträge führen könnte. Diese Annahme ist jedoch mit einigen großen Fragezeichen behaftet.
„Die Markteintrittsbarrieren im Hinblick auf geistiges Eigentum, Kapital und etablierte Branchenbeziehungen sind enorm. Die Investitionen, die Unternehmen tätigen müssen, um im KI-Bereich erfolgreich zu sein, sind enorm, und nur wenige von ihnen können sich eine solche Investition überhaupt leisten.
Ich denke, es ist ziemlich ähnlich wie bei der Cloud, wo GOOG, MSFT und AMZN die dominierenden Akteure geworden sind, weil sie das Kapital für dieses ebenfalls sehr kapitalintensive Spiel haben. Für NVDA und Co. gilt das eben für KI.“ - Jim Covello bei Goldman Sachs (NYSE:GS)
Wie bei den Daten-Cloud-Diensten gibt es auch hier zwei Faktoren, die einem eventuellen Gewinn- und Umsatzwachstum entgegenstehen. Der erste ist, wie bereits erwähnt, dass nur eine Handvoll Unternehmen über das Kapital verfügt, um in diesem Geschäft erfolgreich zu sein. Zweitens, und hier liegt der Hase im Pfeffer, sinken die Gewinnspannen mit der zunehmenden Verbreitung von Cloud-Diensten, weil der Wettbewerb zunimmt.
Obwohl NVDA vor kurzem erklärte, dass sie einen Umsatzanstieg von 50 % erwarten, was zu einem massiven Anstieg des Aktienkurses führte, wird das Unternehmen nicht in der Lage sein, diese Wachstumsrate lange aufrechtzuerhalten. Das Problem für viele Unternehmen, die derzeit KI als Teil ihres Geschäftsmodells propagieren, sind die Kosten, die letztendlich die Eintrittsbarriere darstellen. Mein Kollege Doug Kass kommentierte das kürzlich so:
„Zahlen Sie eigentlich etwas für ChatGPT? MSFT und GOOGL geben aber enorme Summen für die Produktion von ChatGPT (und Bard) aus. Diese NVDA H100-Grafikprozessoren gehen für stolze 270.000 USD pro Stück über den Tisch. Unglaublich - so etwas habe ich noch nie gesehen. Genau das ist ein weiteres Wachstumshemmnis, da nur wenige Unternehmen großartig in diese Bereiche investieren können. Allein das 8-GPU-Baseboard kostet 195.000 USD. Der Bruttogewinn pro verkauftem H100 liegt bei rund 190.000 USD.“
Wie ich bereits in Bezug auf Nvidia (NASDAQ:NVDA) festgestellt habe, wird es für das Unternehmen eine Herausforderung sein, so viele GPUs zu verkaufen, dass die aktuellen Bewertungen gerechtfertigt sind. Noch wichtiger ist, dass sich die Verkaufsrate erheblich verlangsamen wird, sobald die wenigen Unternehmen, die sich diese Produkte überhaupt leisten können, sie gekauft haben. Daher sind die aktuellen Bewertungen für NVDA schwer zu rechtfertigen.
Aber das ist nur meine Meinung.
Die Meinung eines Experten
Roger McNamee, eine Investorenlegende aus dem Silicon Valley, hat jüngst seine Expertenmeinung zum Hype rund um künstliche Intelligenz (KI) in einem CNBC-Interview deutlich gemacht. Seine Worte treffen den Kern der aktuellen Diskussion:
Generative KI, die heute als das Nonplusultra gehandelt wird, entpuppt sich laut McNamee als trügerische Fata Morgana. Diese Technologie kann keinen verifizierten Inhalt liefern und ihre Ergebnisse sind höchst unzuverlässig. Das blinde Vertrauen in die Anwendung von KI beispielsweise in der Suchmaschinenoptimierung führt laut McNamee zu enttäuschenden Ergebnissen, die in bescheidenen Fortschritten münden.
„OpenAI, das Unternehmen hinter ChatGPT, versucht, den Eindruck zu erwecken, dass ihre Maßnahmen die ultimative und unumstößliche Zukunft repräsentieren. Doch um solche Anwendungen zu monetarisieren, bleibt letztlich nur der Überwachungskapitalismus - die Auswertung und Verwertung von Nutzerdaten. Und wie wir aus den Erfahrungen mit den sozialen Medien wissen, ist dies äußerst schädlich.
Was Sie hier miterleben, ist ein Kampf zwischen den OpenAI-Leuten, die versuchen, dieses Gefühl der Unvermeidbarkeit zu erzeugen, und dem Markt, der sagt: „Moment mal, die Zinssätze liegen jetzt bei 5 %, die Dinger kosten eben mal eine halbe Mrd. USD [die Kosten für Nvidias KI-Chips] für jede Trainingseinheit. Das ist in einem Umfeld von 5 % Zinsen zu viel, wenn man ein Unternehmen ohne ein offensichtliches Geschäftsmodell hat.
Wenn es um den Einsatz von Chatbots geht, müssen Fakten erst in einer Suchmaschine überprüft werden, was den ursprünglichen Zweck einer solchen Suchmaschine untergräbt. Dies kann keineswegs als Fortschritt betrachtet werden.
Die künstliche Intelligenz hat zwar ein enormes Potenzial, aber der Knackpunkt ist, dass man die Intentionen ändern muss. Führungskräfte, die diese Projekte leiten, haben einen Anreiz, diejenigen zu schützen, die sie nutzen, und sicherzustellen, dass die Inhalte genaue Ergebnisse liefern. Solange es nicht diese Intentionen sind, die die Industrie antreiben, werden die Produkte wertlos sein.“
McNamees Fazit lässt keinen Raum für Interpretation:
„Es gibt Unternehmen und Journalisten, die sich von dieser Euphorie mitreißen lassen. Doch bevor Anleger sich dem Hype anschließen, sollten sie sich selbst folgende Fragen stellen: Woher kommt das Geld? Wie soll eine Rendite erzielt werden, wenn jeder Testlauf eine halbe Million Dollar kostet - und das in einem Umfeld von 5 % Zinsen.“
Sehen Sie das Problem?
Es ist nichts falsch daran, auf diese Titel zu spekulieren, solange heiß und intensiv spekuliert wird. Aber denken Sie auch daran, dass sich irgendwann die Realität durchsetzen wird. Aus der Sicht des Anlegers: Werden Sie nicht zu gierig und vergessen Sie nicht, zu verkaufen.