Die Ereignisse überschlagen sich: Am vergangenen Freitag ließ Trump Selensky auflaufen. Ich lese seither widersprüchliche Interpretationen und daraus folgend unterschiedliche Schlussfolgerungen. Da ich mich intensiv mit den Vorgängen beschäftigte, möchte ich heute einmal riskieren, von meinem Postulat, meine politische Meinung außen vor zu lassen, abzuweichen. Ich bemühe mich um eine objektive Darstellung. Wenn mitunter meine Meinung durchklingen mag, dann sehen Sie dies bitte als Momentaufnahme, die sich jederzeit aufgrund der sich überschlagenden Ereignisse auch wieder ändern kann.
Doch wir brauchen eine Meinung, um die Auswirkung der Vorgänge auf die Aktienmärkte beurteilen zu können.
Europa rüstet auf und stellt sich gegen Russland
Die in Europa vorherrschende Meinung ist, dass Trump ein autokratisches System aufbaut und sich Europa vielleicht sogar schon mit Putin aufgeteilt hat. Entsprechend gewann das Treffen in England am Sonntag an Bedeutung. Europa bereitet sich darauf vor, die Ukraine schlimmstenfalls auch ohne die USA gegen Russland zu verteidigen.
Dazu werden nochmals ganz andere Summen für die Verteidigung benötigt. Die 100 Mrd. EUR, die Olaf Scholz 2022 ausrief, wirken lächerlich klein, wenn wir nun hören, dass erneute Sondervermögen von 400 Mrd. EUR für die Bundeswehr im Gespräch sind, zuzüglich weiterer 400-500 Mrd. EUR für die Infrastruktur. Denn wenn wir Panzer bauen, dann müssen auch unsere Brücken solche schweren Fahrzeuge tragen können ... und das können viele Brücken derzeit nicht.
Das wäre also ein gigantisches Konjunkturprogramm mit einem Volumen von 800-900 Mrd. EUR. Kein Wunder, dass der DAX heute umgehend zu einem neuen Höhenflug ansetzt, die 23.000 Punkte erstmals überspringt und insgesamt bereits mit +3% bei 23.200 Punkten steht.
Kampf um Ressourcen: Welche Rolle die Ukraine für die USA wirklich spielt.
Die Gegenargumentation in Europa weist auf die offizielle Begründung der USA, die mit einem Rohstoffabkommen mit der Ukraine ein eigenes Interesse daran hätte, Putin aus der Ukraine fern zu halten - vielleicht abzüglich einiger derzeit eroberten Randgebiete, die vielleicht 1/5tel der Fläche der Ukraine ausmachen.
Kritiker dieser Theorie beklagen, dass wirtschaftliche Interessen in einem so wichtigen Konflikt doch hinter der Gerechtigkeit zurückstehen müssten. Realisten hingegen erwidern, dass in der Vergangenheit noch niemals ein Land nennenswerte Mittel ausschließlich aus altruistischen Gründen mobilisieren konnte.
Dieser zweiten Theorie liegt auch noch die Argumentation zugrunde, dass die USA ihre Kräfte sammeln, um gegen China bestehen zu können. Denn China sei die eigentliche Gefahr und dem Schmusekurs Trumps mit Putin könnte auch das Kalkül zugrunde liegen, dass Russland im Falle eines eskalierenden Konflikts mit China dann China zu Hilfe eilen könnte. Wenn man Putin über die Ukraine zum Partner macht, würde ich sich in Sachen China vielleicht zurückhalten.
China und Taiwan: Trumps Politik als Katalysator für eine Eskalation?
Dem folgt nun eine dritte Theorie, und die ist sehr widersprüchlich und destruktiv, dominiert aber heute plötzlich das US-Börsengeschehen: China könnte den Schmusekurs Trumps als Einladung verstehen, Taiwan zu beanspruchen. Donald Trump betont bei jeder Gelegenheit, das er ein Präsident des Friedens ist. Im Gespräch mit Selensky prahlte er damit, weit mehr Kriege verhindert zu haben, als in der Öffentlichkeit bekannt. Er habe keinen Krieg angefangen, sondern bereits unzählige beendet.
China könnte daraus ableiten, dass auch eine Einnahme Taiwans seitens Trumps nicht mit Waffengewalt erwidert würde. China könnte dies also als einmalige Gelegenheit interpretieren, jetzt Fakten zu schaffen. Immerhin hat sich Donald Trump bereits mehrfach dahingehend geäußert, dass man Taiwan beschütze, aber nicht von Taiwan als Gegenleistung erhalte. Er brachte sein Lieblingsinstrument, Strafzölle, auch beim Thema Taiwan ins Gespräch. Taiwan müssen für den Schutz bezahlen, den ihm die USA zuteil werden ließen.
Entsprechend der dritten Theorie sind heute Dell (NYSE:DELL) (-4%) und Nvidia (NASDAQ:NVDA) (-3%) unter Druck. Denn ohne Taiwan gibt es keine Chip-Produktion für Nvidia mehr, und dann können auch von Dell keine KI-Rechenzentren gebaut werden. Bitcoin (+8%) und Gold (+1,5%) auf der anderen Seite legen zu.
Börsen im Krisenmodus: Welche langfristigen Folgen drohen?
Ich halte diese Theorie jedoch für unrealistisch, daher habe ich die Positionen in Dell und Nvidia heute früh nicht verkleinert. Vielmehr halte ich diese Theorie für einen vorübergehenden Auswuchs der allgemeinen Verunsicherung. Ich hoffe, dass ich mich nicht irre.
Früher haben wir uns darüber beschwert, dass die USA Kuwait doch nur wegen deren Ölreserven unterstützt hätten. Die USA haben das stets abgestritten, bis nach dem Krieg dann die Bedingungen diktiert wurden, die von der US-Ölindustrie vorformuliert wurden. Heute sagen die USA von Anfang an, dass sie die Rohstoffe der Ukraine wollen, wenn sie militärische Unterstützung / Sicherheiten etc. zusagen. Man könnte sagen, das dies immerhin ehrlich ist. Doch es glaubt offensichtlich in Europa niemand außer Orban, dass dies stimmt.
Fehlkalkulation oder Absicht? Die geopolitischen Folgen eines verhängnisvollen Gesprächs
Ich habe mir die 50 Minuten Gespräch zwischen Selensky und Trump angeschaut und konnte verfolgen, wie die Stimmung kippte. König Trump erwartete vollständige Unterwürfigkeit, doch Selensky gehört zu jenen, die Trump nicht blind vertrauen und forderte daher Sicherheiten. Im Verständnis von Trump und JD Vance war Selensky nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Daher eskalierte das Gespräch dann. Dabei waren beide Positionen bereits vorher bekannt: Trump forderte eine Unterschrift ohne Sicherheiten, Selensky forderte Gewissheit. Das für mich Unverständlich daran ist, dass dieses Gespräch nicht im Vorfeld bereits vermieden werden konnte.
Wenn Trump und Vance die Konfrontation provozierten, dann ließen Starmer und Macron Selensky ins offene Messer laufen. Unter Freunden, und ich betrachte die USA auch unter Trump als Freund, gehört sich weder das Eine, noch das Andere. Auf Basis eines solchen Eklats nun Sondervermögen (=Kredit) mit einem vermuteten Volumen von 800-900 Mrd. SUR zu diskutieren, halte ich für Symbolpolitik.
Der gesamte Bundeshaushalt betrug im abgelaufenen Jahr 942 Mrd. EUR. Wenngleich das Sondervermögen über mehrere Jahre verteilt ausgegeben wird, so halte ich das Volumen doch für so groß, dass ich mir einen geordneten politischen Prozess wünschen würde, und nicht eine ad hoc Aktion. Das soll nicht davon ablenken, dass wir nennenswerte Investitionen in Militär und Infrastruktur benötigen. Doch mit den höchsten Einnahmen im Bundeshaushalt der Geschichte sollte zunächst eine Überarbeitung der Prioritäten erfolgen, bevor solche Summen an der Schuldenbremse vorbei verabschiedet werden.
Also: wir sehen an den Börsen, dass China sich Taiwan einverleiben könnte, dass die USA Europa im Stich lassen und dass Europa sich als vierte Militärmacht neben den USA, Russland und China aufstellen möchte. Ich gehe da nicht mit, sondern warte darauf, dass sich die Wogen wieder ein wenig glätten.