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Wann der KI-Hype endet

Veröffentlicht am 27.02.2024, 09:04
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Sehr verehrte Leserinnen und Leser,

der Chefredakteur des Handelsblatts, Sebastian Matthes, antwortete neulich auf die Frage, welche Folgen die Künstliche Intelligenz für die Arbeit seiner Redaktion haben wird, das er zwar erwarte, dass „ein großer Teil der Arbeit, die heute in Redaktionen anfällt, zumindest teilweise automatisiert“ wird (vor allem PC-Routinetätigkeiten), aber er sei sich sicher, so Matthes weiter, dass ChatGPT und Co. „die eigentliche journalistische Arbeit nicht so bald übernehmen können, wenn überhaupt“. Zudem „stehen die meisten Anwendungen noch ziemlich am Anfang“.

Mehr Frust als Lust durch KI

Nun ist Matthes genauso parteiisch, wie ich es bin. Weder er noch seine Leute wollen ihre Jobs an eine KI verlieren; wir bei Stockstreet auch nicht. Aber hey – wie cool wäre es denn, wenn wir bis dahin wenigstens brauchbare Hilfen von ChatGPT bekommen könnten! Ich bin mir sicher, dass die Handelsblatt-Redaktion das Programm umfassend getestet hat – umfassender als ich. Und ich bin nicht nur ernüchtert, sondern regelrecht enttäuscht.

Das erste Mal war ich frustriert, als wir bei Stockstreet ein Börsenlexikon von ChatGPT erstellen ließen. Die Zahl der Fehler bei der Abfrage simpler Fakten und Definitionen war schon peinlich. Dann versuchte ich, einen redaktionellen technischen Artikel von ChatGPT erstellen zu lassen. Das Ergebnis war aus meiner Sicht niederschmetternd. Seitdem habe ich ChatGPT abgeschrieben.

Doch kürzlich suchte ich Informationen über die dotcom-Blase, die mir auch eine längere und mehrfache klassische Internet-Suche zunächst nicht lieferte. Also bemühte ich doch wieder ChatGPT. Wieder kein Ergebnis, aber immerhin ein Hinweis, der mir bei der klassischen Suche zum Erfolg verhalf. So war das aber nicht gedacht.

Wo bleibt denn da die Intelligenz?

Zudem hatte ich stets den Eindruck, es bei ChatGPT mit jemandem zu tun zu haben, der zwar freundlich, aber unwillig ist und dem man alles einzeln „aus der Nase ziehen“ muss.

So fragte ich z.B. nach einer konkreten Aktienperformance in einem bestimmten Zeitraum. Das Programm kam mir mit vagen Angaben zur Marktkapitalisierung. Ich blieb hartnäckig, aber ChatGPT meinte, die prozentuale Veränderung (= Performance) unterscheide sich je nach Zeitraum und könne daher nicht angeben werden. Ja, genau deshalb hatte ich einen konkreten Zeitraum genannt! Da gibt es ein Tief und ein Hoch bzw. einen Anfangs- und einen Schlusskurs. Daraus lassen sich jeweils zwei mögliche Performance-Werte berechnen.

Als ich dann nach Kursen konkreter Tage fragte (um die Performance selbst zu berechnen), erklärte mir ChatGPT, dass es weder über aktuelle noch historische Kursdaten verfüge. Ach ja – auch keine historischen; hatte ich vergessen. Aber dann hätte ein intelligentes und williges Gegenüber bereits bei der Frage nach der Performance geantwortet, dass es die mangels Kursdaten nicht berechnen kann.

KI steht heute da, wo das Internet vor 25 Jahren war

Nun geht es mir nicht um die Unzulänglichkeiten von ChatGPT. Vielleicht bin ich auch einfach zu blöd, um das Programm zu befriedigenden Antworten zu bewegen. Das geht offenbar nicht nur mir so, denn warum sonst gibt es „AI Prompter“, die mit den richtigen Fragen die gewünschten Antworten aus ChatGPT und anderen KIs herauskitzeln (sollen)?

Ich stimme daher dem Handelsblatt-Chef zu: KI steht noch am Anfang. Denn das Erlebte erinnert mich an die Anfänge des Internets in den 1990er Jahren. Auch damals saß ich oft genug frustriert vor den Ergebnissen meiner Internetsuchen (noch bei Yahoo, Lycos, AltaVista und Co.) und fragte mich, warum zum Geier mir derart unbrauchbares Zeug angezeigt wird. Später soll es dann „Google Geeks“ oder so gegeben haben, die im Internet „richtig“ suchen konnten – quasi die Vorläufer der heutigen AI Prompter.

Demnach wäre die KI heute etwa so weit, wie das Internet Ende der 1990er Jahre war: ein Spiel- und Tummelplatz für Techies, der zwar beeindruckende Perspektiven verheißt, aber vorerst ein großes Versuchslabor ist und noch in seinen Kinderschuhen steckt – auch wenn er mitunter schon brauchbare und in einzelnen Nischen sogar beeindruckende Ergebnisse liefert.

Was das für Investoren bedeutet

Für Investoren heißt das aber, dass sie sich drauf einstellen müssen, tatsächlich in einem KI-Hype zu sein, der mit der dotcom-Blase vergleichbar ist: Aktuell erleben wir die erste Euphorie über diese neue Technik, die zu einer großen Ernüchterung führen wird, weil – wie damals bei Internet und Co. – die entscheidenden Durchbrüche (inklusive der erhofften Gewinne) auf sich warten lassen.

Ähnliches erleben wir zurzeit beim Autonomen Fahren – ebenfalls eine KI-Technik –, von der inzwischen selbst die Protagonisten sagen, dass sie „die Komplexität unterschätzt“ haben und es womöglich noch Jahrzehnte dauert, bis die Systeme praxisreif sind. Ach ja – auch als Fondsmanager macht KI bisher eine schlechte Figur.

Keine Frage, in den nächsten Jahren wird sich KI weiterentwickeln und erwachsen werden, und wir alle werden ebenso davon profitieren wie vom Internet. Doch zuvor könnte es an den Börsen zu dem Wechselspiel von Boom und Bust kommen, das manche von uns bereits vor einem Vierteljahrhundert erlebt haben – damals die dotcom-Blase, jetzt der KI-Hype, den Sven Weisenhaus hier schon mehrfach angesprochen hat.

Der Hype ist schon weit fortgeschritten

Das Aushängeschild für letzteren ist die Aktie des Chiphersteller Nvidia (NASDAQ:NVDA). Und beim direkten Vergleich mit dem Nasdaq 100 der 1990er Jahre zeigt sich, wie weit der Hype schon fortgeschritten ist:


Quelle: MarketMaker mit Daten von VWD

atürlich ist es „unfair“, eine einzelne Aktie mit einem Index zu vergleichen. Auch während der dotcom-Blase gab es Aktien, die deutlich stärker als der Nasdaq 100 gestiegen sind. Daran gemessen, ist der Anstieg von Nvidia zum Teil fast noch harmlos.

Doch egal, in welchem Stadium die aktuelle Übertreibung ist und wie weit sie noch geht – auch diesmal dürfte der Kater nach der Party heftig ausfallen. Und darauf sollten wir uns als Anleger vorbereiten, denn nicht nur Nvidia und ein paar andere überbewerte Halbleiteraktien oder der Tech-Sektor werden einbrechen.

Entweicht die Luft schon?

Das Stichwort heißt „Bewertungskontraktion“, denn der Markt wird übertriebene Erwartungen auch aus anderen Aktien auspreisen, denen „irgendwie“ KI-Fantasie zuteilwurde. Das Thema „Autonomes Fahren“ hatte ich schon genannt. Vorreiter wollte und will hier Tesla sein. Lange Zeit haben die Investoren Elon Musks vollmundige, aber nie eingelöste Versprechungen zu Teslas Autopilot geschluckt – inzwischen scheinen sie vom Glauben abgefallen zu sein. Oder warum sonst bewegt sich die Tesla-Aktie (NASDAQ:TSLA) seit ihrem Allzeithoch 2021 weit abgeschlagen dem Markt hinterher – und in die Gegenrichtung?


Quelle: MarketMaker mit Daten von VWD, eigene Berechnungen

Während der Nasdaq 100 gegenüber seinem Hoch von Ende 2021 immerhin 10 % zugelegt hat, notiert Tesla noch mehr als 50 % darunter – nachdem der Kurs um fast drei Viertel einbrach. Nvidia verlor zwar ebenfalls kräftig (zwei Drittel seines Wertes), steht aber inzwischen mehr als doppelt so hoch wie 2021.

Entweicht die Luft also schon aus der KI-Blase, zumindest an einigen Stellen? Oder stellen die Anleger einfach nur fest, dass die „Glorreichen 7“ gar nicht (mehr) so glorreich sind? Denn auch die Apple-Aktie (NASDAQ:AAPL) schwächelt seit Dezember und hat seit Jahresbeginn gut 5 % verloren – während die Märkte stiegen. Und die Aktie der Google-Mutter Alphabet (NASDAQ:GOOGL) konnte zwar 2024 bisher etwas zulegen (rund 3,0 %), bleibt damit aber hinter S&P 500 und Nasdaq 100 zurück, die gut 6,6 % schafften.

Sie sollten sich vorbereiten, und so können Sie das tun!

Aber egal, ob die „Glorreichen 7“ oder die KI-Aktien die Gunst der Anleger verlieren – die Folgen werden wenig erfreulich sein. Als Anleger sollten Sie sich vorbereiten und nun verstärkt auf Hinweise achten, dass sich die Stimmung an den Aktienbörsen dreht.

Mit besten Grüßen
Ihr Torsten Ewert

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