- Bislang hat der Markt die enttäuschende Prognose von Micron in der vergangenen Woche recht gut verarbeitet
- Langfristig macht das durchaus Sinn - immerhin ist Micron ein hochgradig zyklisches Unternehmen.
- Die entscheidende Frage lautet: Wie lange werden die Anleger noch an dieser langfristigen Sichtweise festhalten? Und ergeben sich in der Zwischenzeit vielleicht wo anders bessere Gelegenheiten?
Am Donnerstag gab Micron (NASDAQ:MU) einen fast schon desaströsen Ausblick auf das erste Quartal des Geschäftsjahres 2023. Die Wall Street rechnete im Schnitt mit einem Umsatz von 5,62 Mrd. USD im Auftaktquartal und einem Gewinn je Aktie von 64 Cents. Micron wiederum erwartet einen Umsatz in der Größenordnung von 4 bis 4,5 Mrd. USD und einen nahezu ausgeglichenen Ergebnis je Aktie.
Bei den Investoren löste dies jedoch im Wesentlichen nur ein Achselzucken aus. Die MU-Aktie erholte sich am vergangenen Freitag um 0,18 % und am Montag um weitere 3,2 %.
Quelle: Investing.com
Die Reaktion des Marktes ist durchaus nachvollziehbar. Micron ist ein hochgradig zyklisches Unternehmen, und es sollte nicht weiter überraschen, dass der aktuelle Zyklus für den Speicherchiphersteller ungünstig ist. Die Nachfrage nach PCs, Laptops und Smartphones ist rückläufig: Selbst Apple (NASDAQ:AAPL) nimmt Berichten zufolge eine geplante Produktionserhöhung zurück.
Vor diesem Hintergrund ist es durchaus möglich, dass der Aktienkurs die enttäuschende Prognose sehr viel schneller berücksichtigt hat, als die Wall Street-Analysten ihre Modelle aktualisieren konnten.
Letztlich ist all das nichts wirklich Neues. Die Ergebnisse von Micron waren in der Vergangenheit stets recht volatil. Wer diese Volatilität richtig einschätzen konnte, hat gut daran verdient. Diejenigen, die das nicht konnten, mussten den Preis dafür zahlen. Alles in allem deutet diese Tendenz darauf hin, dass Micron auf lange Sicht ein Kauf ist. Sie signalisiert aber auch, dass hier wahrscheinlich Geduld angesagt ist.
Alles schon mal dagewesen
Die Aussichten für das 1. Quartal des Geschäftsjahres deuten auf einen Gewinneinbruch im Vergleich zum Vorjahr hin. Micron schätzt den Gewinn je Aktie auf 14 Cent bis zu einem Verlust von 6 Cent, nachdem das Unternehmen im Vorjahresquartal 2,16 USD verdient hatte.
Aber das liegt in der Natur des Geschäfts mit Speicherchips. Auch hier gilt: Wenn sich der Konjunkturzyklus dreht, dreht er sich schnell und heftig. Im Geschäftsjahr 2016 erzielte das Unternehmen ein bereinigtes Ergebnis je Aktie von 26 Cents. Im Jahr darauf waren es 4,96 USD. Im Geschäftsjahr 2018 verdiente Micron fast 12 USD pro Aktie; im folgenden Jahr fiel der Gewinn um nahezu 50 %.
Der Hauptgrund für diese Volatilität ist die Preisgestaltung. Wenn die Nachfrage hoch ist, kann Micron den Preis bestimmen, und fast jeder Dollar aus den Umsätzen fließt direkt in den Gewinn vor Steuern. Wenn die Nachfrage zurückgeht, kehrt sich dieser Effekt um.
Ist die MU-Aktie teuer?
In der Theorie sollte der Markt dieser Volatilität durch eine entsprechende Bewertung der MU-Aktie begegnen. Am Gewinnhoch sollte das Kurs-Gewinn-Verhältnis niedrig sein. Am Tief sollte das Multiple dann steigen. Und in der Tat hat sich der Markt im Allgemeinen an diese Strategie gehalten, wie man daran sehen kann, dass MU im Jahr 2018 nur mit dem 4 bis 5-fachen des Gewinns gehandelt wurde.
Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Die Konturen eines Zyklus sind nicht immer offensichtlich, wie die aktuellen Schätzungen der Wall Street für das Geschäftsjahr 2023 zeigen. Vor 90 Tagen lag die Konsenserwartung für den Gewinn pro Aktie für das Geschäftsjahr 23 bei 11 USD. Er liegt jetzt unter 1 USD.
Auf den ersten Blick deutet dieser Konsens darauf hin, dass die MU-Aktie bei einem Kurs von 51 USD und damit dem 55-fachen der diesjährigen Gewinne ein Sell ist. Aber wie gesagt, so funktioniert die Bewertung von MU nicht. Die Anleger müssen berücksichtigen, wie die Ergebnisse zur Mitte des Zyklus aussehen, und davon ausgehend handeln.
Der langfristige Ausblick für die Micron-Aktie
Die gute Nachricht ist, dass die Gewinne in der Mitte des Zyklus immer noch recht gut aussehen, selbst wenn man von einem schwachen Ergebnis für das Geschäftsjahr 2023 ausgeht. Im Laufe des Zyklus wird Micron nicht mehr so profitabel sein wie im Geschäftsjahr 2018 (als der bereinigte Gewinn je Aktie fast 12 USD betrug) oder sogar notwendigerweise im Geschäftsjahr 2022 (8,35 USD).
Aber auch eine Performance von unter 1 USD im Geschäftsjahr 2023 würde die zugrunde liegende Ertragskraft nicht widerspiegeln. Selbst wenn sich die Konsenserwartungen erfüllen, dürfte der Fünfjahresdurchschnitt des Gewinns pro Aktie immer noch bei rund 5 USD liegen.
Mit fast 4 USD pro Aktie an Nettoliquidität in der Bilanz wird MU zu einem Kurs gehandelt, der knapp unter dem 10-fachen des Fünfjahresdurchschnitts des Gewinns pro Aktie liegt - wiederum einschließlich eines unerfreulichen Geschäftsjahres 2023. In diesem Zusammenhang ist es nicht sonderlich überraschend, dass dieselben Analysten, die für dieses Jahr einen Gewinn von etwa 1 USD pro Aktie prognostizieren, ein durchschnittliches Kursziel von 66 USD haben.
Und es muss ein weiterer Faktor berücksichtigt werden. Dass das Geschäft mit Speichermedien in der Vergangenheit so zyklisch war, lag zum Teil an den strategischen Entscheidungen der Akteure in dieser Branche. Dieses Segment verläuft ähnlich wie die meisten Rohstoffe (wie Rohöl).
Die Preise sind bei einer stärkeren Nachfrage gestiegen. Infolgedessen haben die Hersteller ihre Produktion erhöht. Als die Nachfrage zurückging, führte diese höhere Produktion zu einem Überangebot. In der Folge brachen die Preise ein.
Die Akteure im Bereich Speicher versuchen seit einigen Jahren, diese Boom/Bust-Dynamik zu vermeiden. Im Großen und Ganzen ist ihnen das gelungen. So hat Micron mit seinen Ergebnissen für das 4. Quartal angekündigt, dass das Unternehmen seine Investitionsausgaben um etwa 30 % kürzen will, der japanische Konkurrent Kioxia hat dasselbe getan. Die Branche bleibt zyklisch, aber zumindest heizen Micron und seine Konkurrenten diese Zyklizität nicht noch weiter an.
Timing des Tiefpunkts
Alles in allem gibt es eine gewisse Logik in der fehlenden Reaktion auf die Prognosen für das 1. Quartal und in der Zuversicht für die MU-Aktie, obwohl die Gewinne stark sinken werden. Aber es gibt noch einen weiteren Faktor zu berücksichtigen: das Timing.
Theoretisch warten die Anleger an der Seitenlinie, bis die Talsohle durchschritten ist und richten erst dann ihren Blick auf den nächsten Aufschwung. In der Praxis funktioniert das aber nicht immer so.
Ein extrem nervöser Markt dürfte Micron-Aktien so lange abverkaufen, wie das Unternehmen unrentabel ist, egal, ob das eine gute Entscheidung ist. Wenn die Rallye vom Montag darauf hindeutet, dass die Talsohle erreicht ist, gibt es derzeit vermutlich aggressivere, potenziell rentable Alternativen.
Daher ist hier Geduld angesagt. Die MU-Aktie sollte wieder gen Norden drehen, noch bevor die Gewinne es tun - aber weder das eine noch das andere muss sofort passieren.
Offenlegung: Vince Martin ist derzeit in keinen der hier besprochenen Vermögenswerten investiert.