In meinem Beitrag vom 8. März schrieb ich über die potenziellen, wirtschaftlichen Lehren, die man aus der Ukraine-Krise ziehen kann. Es ist vor allem aus wissenschaftlicher Sicht wichtig, solche Ereignisse kurzfristig zu nutzen neue Fragestellungen herauszuarbeiten. Langfristig müssen diese Fragen dann empirisch aufgearbeitet werden, um entsprechende Anpassungen vorzunehmen. In dem ersten Beitrag lag der Fokus der Fragestellung darauf, wie abhängig die globale Wirtschaft von westlichen Unternehmen in strategischen Schlüsselpositionen ist. Dabei ging ich insbesondere auf die 4 großen Wirtschaftsprüfergesellschaften, Deloitte, E&Y, KPMG und PwC ein, sowie die beiden Zahlungsdienstleister, Visa (NYSE:V) und Mastercard (NYSE:MA).
Auf meiner Suche nach weiteren Fragen stieß mir die Rohstoffthematik ins Auge. Wenn man im Kontext der Ukraine-Krise an russische Sanktionen und mögliche Vergeltungsschläge denkt, so kommen einem Öl und Gas in den Sinn – nicht zuletzt, weil gerade in Deutschland die Debatte um die Abhängigkeit der beiden Energieträger aktuell recht prominent ist. Allerdings gehen die Implikationen der Krise deutlich über diese beiden Rohstoffe hinaus. Auch der Lebensmittelmarkt kommt unter Druck.
Die Ukraine war 2021 mit einem Marktanteil von 10% weltweit der sechstgrößte Exporteur von Weizen. Zudem ist das Land auch einer der Top-Exporteure von Gerste, Sonnenblumenkerne und Raps, auch wenn es gleichzeitig eines der ärmsten Länder Europas ist. Der Produktionsrückgang schlägt aber derzeit global Wellen. Besonders Ägypten wurde davon getroffen, da das Land über 80% seines Weizens aus der Ukraine und aus Russland bezog. In einem Kulturkreis, in dem sämtliche Formen von Weizenbrot massiv konsumiert werden, wundert es nicht, dass der Staat die Weizenprodukte subventioniert, um hier für Preisstabilität zu sorgen. Mit den rapide steigenden Preisen, welche durch die Knappheit an Weizen angetrieben wurden, hat die Ukraine-Krise den ägyptischen Haushalt durcheinander gebracht.
Ähnlich geht es Indonesien, wo Nudelpreise durch die Decke gehen. Hier sind die abgepackten Ramen-Nudeln sehr beliebt und fester Teil der indonesischen Küche. Auch Tunesien, Thailand und Marokko setzen auf ukrainische Exporte. Freuen werden sich aber die Inder, die nach China zweitgrößter Weizenexporteur sind. Hier plant man mit einer Exportmenge von rund 12 Millionen Tonnen in diesem Jahr, was ein starker Kontrast zu den 8.5 Millionen Tonnen im letzten Jahr ist. Und hier beginnen die Fragen.
Es ist natürlich klar, dass sich Abnehmer von verschiedensten Gütern nach Alternativen umschauen, aber es zeigt auch wie sehr man sich auf die Sicherheit der Vorkrisenzeit verlassen hat. Wie kann es sein, dass ein so armes Land so verschiedene Regionen so beeinflussen kann? Wie kann es sein, dass die Produktion von verschiedenen Gütern und Rohstoffen an einigen, wenigen Schlüsselakteuren hängt? Wieso bestehen auf staatlicher Ebene in den wenigsten Ländern anständige Maßnahmen, um die Effekte von Schocks aufzugreifen?
All das sind wichtige Fragen, die gestellt werden müssen. Und das am besten, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Der Markt regelt alles, sagt man ja, aber sagen Sie das mal der ägyptischen Mutter, die nun das Fladenbrot am Abendtisch rationieren muss. Ich würde drum wetten, dass die Personen, die jetzt sagen: „was interessiert mich die ägyptische Mutter oder der Indonesier mit seinen Nudeln“, ebenfalls die Leute sind, die im Supermarkt die Kassierer angehen, weil das Sonnenblumenöl nun doppelt so viel kostet.
Was der Markt nicht regeln kann, muss der Staat mit Voraussicht planen. In einer diversifizierten Weltwirtschaft muss Produktion und Distribution dezentraler verlaufen. Heute sind es Weizen, Sonnenblumenöl und Raps. Morgen erwischt eine Dürre den Mittelmeerraum und uns gehen die Tomaten aus. Übermorgen gibt es einen Konflikt in Lateinamerika und die Bananen werden knapp. Genauso, wie die Weltwirtschaft von westlichen Finanzakteuren abhängig ist, so ist sie auch immer von bestimmten Regionen abhängig. Entweder muss hier eine flächendeckende Diversifizierung stattfinden oder ein international-rechtlicher Rahmen zur Bewahrung der Produktion von Gütern her. Wenn Sie mich fragen, so ist die erste Option deutlich realistischer, braucht aber mehr politische Voraussicht.
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