Die deutsche Wirtschaft musste gestern den nächsten Rückschlag hinnehmen. Denn laut den Daten des Statistische Bundesamt hat die Industrie im Mai das fünfte Auftragsminus in Folge verbucht. Die Bestellungen sanken dieses Mal sogar um 1,6 % zum Vormonat und damit deutlich stärker als in den drei Monaten zuvor. Aber immerhin ging es wesentlich weniger stark abwärts als bei dem mehr als 11-prozentigen Einbruch im Januar, der aber wohl ein Rückpralleffekt nach dem starken Plus vom Dezember war.
Die Tendenz ist jedenfalls seit Juli 2021 immer noch klar abwärtsgerichtet. Und so beträgt das Minus im Vergleich zum Vorjahr im Mai stolze 8,6 %.
Doch nicht nur bei den Neuaufträgen herrscht seit Monaten Flaute, sondern auch die Umsätze sind im verarbeitenden Gewerbe rückläufig, insbesondere seit November 2022.
Nach vorläufigen Angaben war der reale Umsatz im Mai saison- und kalenderbereinigt -0,7 % niedriger als im Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahresmonat summiert sich das Minus kalenderbereinigt auf -6,0 %.
Harte Daten passen zu weichen Stimmungsindikatoren
Mit Blick auf die Einkaufsmanagerdaten von S&P Global, über die ich für Deutschland zuletzt am 21. Juni berichtet hatte (siehe „Herber Rückschlag für die Wirtschaft?“), sind diese Entwicklungen keine große Überraschung. Schon seit Mitte 2022 notiert der Stimmungsindikator für die Unternehmen aus dem verarbeitenden Gewerbe im Kontraktionsbereich (siehe folgende Grafik). Und er lieferte bis vor einem Jahr ein zunehmend desaströses Bild. Seitdem geht es mit den Werten zwar wieder aufwärts, was aber bislang lediglich bedeutet, dass die Geschäfte der Industrie weniger stark schrumpfen.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zu den Auftragseingängen und Umsätzen passen also zu den Umfrageergebnissen von S&P Global.
Wirtschaft schwach, MDAX schwach
Und die Kursentwicklung von Teilen des Aktienmarktes passt zu den fundamentalen Entwicklungen. So rutschte der MDAX zum Beispiel am Dienstag auf ein neues Korrekturtief und das niedrigste Niveau seit November 2023.
Im Gegensatz zu den deutlich stärker beachteten Indizes wie dem DAX oder den US-Indizes Dow Jones, S&P 500 und vor allem Nasdaq 100, die allesamt seit Jahresbeginn im Plus liegen (und das zum Teil sehr deutlich) notierte der MDAX vorgestern mehr als 8 % im Minus.
Und wenn man sich das (folgende) längerfristige Chartbild anschaut, dann fällt die Bilanz ähnlich verheerend aus wie die Entwicklung der Auftragseingänge und Umsätze des verarbeitenden Gewerbes.
Zwar kam es ab Oktober 2022 mit zwei starken Aufwärtswellen von jeweils mehr als +20 % (grüne Rechtecke) zu einer deutlichen Kurserholung, doch von dieser ist nicht mehr viel übrig. Denn seit dem damit erreichten Hoch vom Februar 2023 befindet sich der MDAX wieder in einer Abwärtstendenz.
Und vom Rekordhoch, welches im September 2021 markiert wurde, hat der Index der mittelgroßen Unternehmen aus Deutschland – Stand: Dienstag dieser Woche – mehr als 30 % verloren.
MDAX, SDAX und TecDAX haben starke Parallelen zum Einkaufsmanagerindex
Der MDAX ist allerdings das absolute Negativ-Beispiel. Denn der DAX notiert in der Nähe seines Rekordhochs von Mitte Mai. Und SDAX und TecDAX haben sich immerhin weit besser entwickelt als der MDAX, wobei aber sowohl der Kleinstwerte- als auch der Technologiewerteindex noch mehr als 16 % unter ihren Rekordständen notieren, die sie im November 2021 markiert hatten.
Und wenn man sich die Grafiken des Statistischen Bundesamtes zu den Auftragseingängen und Umsätzen der Industrie anschaut, dann begann genau zu diesem Zeitpunkt die Flaute der deutschen Wirtschaft.
Fazit
Schaut man also nur auf den DAX, erhält man ein verzerrtes Bild der konjunkturellen Realität (wohl, weil die großen DAX-Konzerne stärker international agieren als die Unternehmen aus den kleineren Indizes). SDAX, MDAX und TecDAX spiegeln dagegen die wirtschaftliche Entwicklung recht genau wider. Und demnach ging es zuletzt sowohl mit den Konjunkturdaten als auch mit den Kursen wieder leicht abwärts. Und es bleibt abzuwarten, ob das wieder nur ein kurzer Rücksetzer in der seit Ende 2022 herrschenden Erholung war.
Ich wünsche Ihnen jedenfalls weiterhin viel Erfolg an der Börse
Ihr
Sven Weisenhaus